Friedensdemo in Berlin: Große Erwartungen, wenig Teilnehmer

Wagenknecht bei Kundgebung am 3. Oktober. Bild: Screenshot

Die Friedensdemo in Berlin lockte nur 30.000 Menschen an. Das ist weit unter den Erwartungen der Organisatoren. Warum blieben die Massen fern?

Obwohl rund zwei Drittel der Deutschen laut der aktuellen INSA-Umfrage für ein stärkeres Engagement der Bundesregierung für Friedensverhandlungen in Bezug auf den Krieg in der Ukraine sind, kamen jedoch nur rund 30.000 Personen am 3. Oktober zur bundesweiten Friedensdemonstration und -kundgebung in Berlin. Was sind die Ursachen für diese doch recht geringe Teilnehmerzahl?

Der Aufruf der Initiative

Bereits der Aufruf der Initiative "Nie wieder Krieg!" enthielt eine Reihe nachvollziehbarer friedenspolitischer Forderungen, allerdings richtet sich die darin enthaltene Kritik einseitig an den Nato-Westen:

Statt sich für Frieden einzusetzen, liefert der Westen – einschließlich der Bundesregierung – immer mehr Waffen und beschleunigt die Eskalation durch die Erlaubnis, diese auch gegen russisches Gebiet einzusetzen. Atomwaffen werden wieder einsatzfähig gemacht. Die deutsche Regierung rüstet auf wie nie zuvor. Wir alle sollen kriegstüchtig gemacht werden.

Die notwendige Distanzierung vom völkerrechtswidrigen Angriffskrieg der Russischen Föderation und die Bezugnahme auf den blutigen Überfall der Hamas auf Israel fehlten bereits im Aufruf, der allerdings zu Recht ein stärkeres Engagement des Westens – einschließlich der Bundesregierung – für einen Waffenstillstand und einen Friedensvertrag im Ukraine-Krieg forderte.

Zum Ablauf der Kundgebung

Drei dezentrale Kundgebungen waren an diesem Tag der zentralen Veranstaltung am Großen Stern in Berlin vorgeschaltet. Ausgehend von diesen dezentralen Kundgebungen bewegten sich dann drei Demonstrationszüge auf den zentralen Platz an der Siegessäule zu.

Zunächst sprach die Polizei von unter 10.000 Teilnehmern, korrigierte dies dann aber auf einen unteren fünfstelligen Bereich. Die Organisatoren sprachen während der Veranstaltung von 32.000 Teilnehmern.

Doch selbst wenn gut 30.000 Teilnehmer tatsächlich da waren, muss gefragt werden, wo denn die anderen Millionen Kriegsgegner gewesen sind. Allein in Berlin leben aktuell knapp 3,9 Millionen Einwohner. Von hier aus hätte man es doch einfach und bequem gehabt, zur Friedensveranstaltung zu kommen. Doch selbst aus Berlin kamen dann wohl nur ein paar Tausend zur Kundgebung.

Hier soll die These vertreten werden, dass der zu einseitige Aufruf der einladenden Initiative und die erwartete Einseitigkeit der Redebeiträge viele Menschen davon abgehalten haben, an der Veranstaltung teilzunehmen – auch wenn sich hier erste Öffnungen zu einem erweiterten Meinungsspektrum andeuteten (Stegner, Gauweiler).

Die zentrale Kundgebung wurde vom Mitinitiator und altbekannten Friedensaktivisten Rainer Braun eröffnet. In gewohnter Manier kritisierte er den Nato-Westen, thematisierte zu Recht die undemokratisch vorgenommene Planung von US-Mittelstreckenraketen in Deutschland, verlor allerdings kein Wort an die russische Aggression oder den Hamas-Überfall.

Gesine Lötzsch (MdB, die Linke) wiederholte die bereits bekannten friedenspolitischen Forderungen der Linken, kritisierte ebenfalls die vorgesehene Raketenstationierung in Deutschland, richtete ihre Kritik aber auch nur in Richtung Westen. Von der Seite her versuchten Teilnehmer einer Gegendemonstration durch Rufe wie "Keine Russland-Propaganda" die wesentlich größere Veranstaltung zu stören.

Ralf Stegner (SPD) war der einzige Redner auf der zentralen Kundgebung, der die russische Aggression auf die Ukraine angemessen thematisierte: "Wir haben in der Ukraine einen russischen Angriffskrieg, der jeden Tag Tod und Zerstörung bringt. (…) Die Ukraine hat ein Recht auf Selbstverteidigung." (Buh-Rufe, Zwischenruf "Falsche Einstellung" und "Hau ab!"-Chöre). Er erntete wütende Pfiffe und Zwischenrufe mit dem Ziel, seine Rede zu unterbrechen.

Moderatorin musste intervenieren

Dies gelang dann auch, als die Moderatorin das Mikrofon an sich nehmen musste und verlangte, dass man – auch wenn eine andere Meinung vorherrsche – sich doch gegenseitig zuhören sollte.

Allerdings war zu beobachten, dass vor allem eine sehr lautstarke Gruppe von mehreren Hundert Personen, die sich zu einem Block zusammengefunden hatten, zu stören versuchte.

Stegner bekam auch von vielen Teilnehmern Beifall für seinen Versuch für den Krieg in der Ukraine nicht nur den Westen verantwortlich zu machen und für sein Plädoyer für die Lieferung von Luftabwehrsystemen an die Ukraine, die jeden Tag Menschenleben retten würden.

Auch setzte Stegner sich kritisch mit der künftigen US-Mittelstreckenraketen Stationierung auseinander. Er bezeichnete die Mittelstreckenwaffen als Problem. Selbst der Nato-Doppelbeschluss, "gegen den ich damals demonstrierte", beinhaltete ein Verhandlungsangebot.

CSU-Politiker Gauweiler spricht

Peter Gauweiler (CSU) fand von Anfang an den Kontakt zur Zuhörerschaft und brach das Eis, indem er betonte, dass dies seine erste Friedensdemo sei, bei der er als Redner auftrete. Er betonte, dass er bereits mehrfach gegen westliche Militäreinsätze und Kriegsführungen in der Vergangenheit protestiert habe, etwa gegen das Bombardement gegen Serbien im Jahr 1999.

Dann bezog er sich auf das Grundgesetz und bezeichnete damit Bundeswehreinsätze in anderen Ländern als verfassungswidrig, da dort nur der Verteidigungsauftrag der Bundeswehr festgeschrieben sei. Selbst, dass er sich hierbei positiv auf Franz Josef Strauß bezog, eckte nicht an.

Sahra Wagenknecht bekam den meisten Beifall für ihre Rede. Oskar Lafontaine stand seitlich vom Rednerpult. Oftmals wird ihr in den Medien von der parteipolitischen Konkurrenz vorgeworfen, sie sei eine Putin-Freundin und würde die russische Aggression nicht verurteilen.

AfD und BSW wird gleichgesetzt

Gleichzeitig wird versucht AfD und BSW gleichzusetzen. Auch in dieser Rede machte Wagenknecht aber ihre kritische Haltung zum völkerrechtswidrigen russischen Krieg deutlich.

Sie folgerte, dass wenn man Putin als Verbrecher bezeichnet, weil er einen Angriffskrieg führe, dann müsste man auch George W. Bush als Verbrecher bezeichnen, da er ebenfalls Kriege zu verantworten habe.

Auch warnte sie vor der vorgesehenen Stationierung von US-Mittelstreckenraketen, da diese die russischen Nuklearraketen auf Deutschland "wie ein Magnet" anziehen würden. Sie forderte den Krieg in der Ukraine und im Nahen Osten sofort zu beenden und die Lieferung von Angriffswaffen dorthin einzustellen.

Wagenknechts Rede stellte den Höhepunkt der Kundgebung dar, wenn man die Intensität des Beifalls und die Präsenz während der Kundgebung als Maßstab nimmt. Danach begannen zahlreiche Teilnehmer die Kundgebung zu verlassen, andere Beiträge, insbesondere zum Krieg im Nahen Osten, wurden kaum noch – auch später in der auswertenden Presse nicht - registriert.

Perspektiven für die Friedensbewegung

Der Auffassung, dass hier ein mächtiger Auftakt einer wiederbelebten Friedensbewegung zu sehen war, wie es Mitinitiator Rainer Braun gern gesehen hätte, soll hier nicht gefolgt werden. Angesichts der in repräsentativen Umfragen deutlich gewordenen Unzufriedenheit der deutschen Bevölkerung mit dem auf militärische Durchsetzungsstrategien setzenden Verhalten der Bundesregierung hätten Hunderttausende, wenn nicht sogar Millionen Teilnehmer an der einzigen größeren Friedensveranstaltung in diesem Jahr erwartet werden können.

Natürlich wird nicht jeder, der für Friedensverhandlungen eintritt, bereit sein, auf eine Demonstration nach Berlin anzureisen. Dennoch soll hier die Auffassung vertreten werden, dass die Einseitigkeit des Aufrufs und die eindimensionale friedenspolitische Festlegung der meisten Mitglieder der Initiative "Nie wieder Krieg – Legt die Waffen nieder!" verantwortlich dafür sind, dass sich viele mögliche Teilnehmer im Vorfeld der Veranstaltung gegen eine Teilnahme entschieden haben.

Breites Bündnis nötig

Hier müsste von Anfang an ein politisch breites Bündnis zu bundesweiten Widerstandsaktionen gegen den vorherrschenden Bellizismus in der Politik aufrufen. Hierbei müssten auch das Selbstverteidigungsrecht der Ukraine und die hierfür notwendige Unterstützung zulässige Forderungen sein, die mit einem zu verstärkenden Fokus auf Friedensverhandlungen zu verbinden sind.

Es müssten friedenspolitisch engagierte Vertreter von SPD, Bündnis 90/ Die Grünen und von CDU/CSU hierbei in die Vorbereitung öffentlich einsehbar – neben den Vertretern von Linkspartei und BSW sowie weiteren friedenspolitisch engagierten Personen und Initiativen – eingebunden sein.

Hajo Funke und ich haben hierbei in einem anderen Beitrag betont, dass im Vordergrund einer Friedensperspektive positive Entwicklungsmöglichkeiten stehen müssten.

Hierzu wäre es notwendig, dass eine wirkmächtige und mit einem legitimierten Mandat ausgestattete Verhandlungskommission direkt mit der russischen und ukrainischen Staatsführung verhandelt. Um diese beiden Staaten an den Verhandlungstisch zu bringen wäre es insbesondere konstruktiv, die positiven Perspektiven einer Friedenslösung in humanitärer, politischer und ökonomischer Hinsicht auszuarbeiten.

Dies ist jedoch bisher nicht geschehen und könnte auch ein Beitrag aus der Friedensbewegung sein, von dem die herrschende Politik lernen könnte.

Möglicherweise ist der aktuelle chinesisch-brasilianische Friedensplan ein auszubauender Ansatzpunkt für Verhandlungen, um das Töten in der Ukraine zu beenden.

Dies muss allerdings alles sehr zeitnah geschehen. Hierdurch werden dann auch kurzfristig Kräfte frei, sich wirkungsvoll um die Beendigung des gegenseitigen Abschlachtens und Ermordens im Nahen Osten und in anderen Regionen, wo derzeit Krieg geführt wird, zu bemühen.

Klaus Moegling, Prof. Dr. i.R., Politikwissenschaftler und Soziologe, Autor u.a. von ‚Neuordnung. Eine friedliche und nachhaltig entwickelte Welt ist (noch) möglich.‘ Aktualisierte frei lesbare 5. Auflage (2024).