Friedensdiplomatie als Störfaktor

Die Mehrheit der Deutschen ist für mehr Diplomatie. Von politischen Lösungen innerhalb der Ukraine-Strategie der Bundesregierung ist aber nichts bekannt – vom Niedergang der politischen Konfliktbeilegung.

Aus den Leitlinien der Bundesregierung (2017):

In der Konfliktbewältigung stehen – neben humanitärer Hilfe zur Linderung menschlichen Leids – die Suche nach politischen Lösungen zur Beendigung der Gewalt und das Aushandeln tragfähiger Friedenslösungen durch aktive Krisendiplomatie, Mediation und Unterstützung von Verhandlungsprozessen im Vordergrund.

Der Einsatz völkerrechtlich zulässiger militärischer Gewalt bleibt für deutsche Politik ultima ratio und muss stets eingebunden sein in eine umfassende politische Gesamtstrategie.

Im aktuellen ARD-DeutschlandTrend haben sich 58 Prozent der Befragten dafür ausgesprochen, Deutschland möge seinen Einsatz für diplomatische Bemühungen im Ukraine-Krieg verstärken.

Keine andere Frage zur Ukrainepolitik hatte so hohe Zustimmungswerte wie dieser Punkt.

Es ist jedoch nicht bekannt, ob politische Lösungen innerhalb der Ukraine-Strategie der Bundesregierung überhaupt eine Rolle spielen. Der Öffentlichkeit wurde bisher überhaupt keine klar formulierte Strategie vorgestellt.

Als Beispiel für deutsche Diplomatie verwies Außenministerin Baerbock auf die Telefonate, die Scholz mit Putin führt, um ihn aufzufordern, seinen Krieg zu beenden.

Ich kenne persönlich niemanden, der sich nicht freuen würde, wenn Russland seine menschenverachtende Invasion endlich beendet. Aber Appelle sind noch keine Diplomatie. In der Diplomatie geht es um das Erreichen von Lösungen auf dem Verhandlungsweg.

Passten Kompromisse mit Russland von Kriegsbeginn an nicht ins Nato-Konzept?

Wir wissen, dass die Ukraine und Russland in den ersten Kriegswochen umfassende Verhandlungen führten (insbesondere ab März in Istanbul). Aber es darf bezweifelt werden, dass die Nato überhaupt jemals an einer diplomatischen Friedenslösung mit Russland interessiert war.

Mehrere seriöse Quellen, darunter die ukrainische Prawda und der israelische Ex-Premierminister Naftali Bennett, liefern Belege, dass westliche Akteure den diplomatischen Friedensbemühungen aktiv entgegengewirkt haben. Foreign Affairs, eine der weltweit wichtigsten außenpolitischen Fachpublikationen, hat über diese Vorgänge detailliert berichtet.

Die aktuelle Situation stellt sich deutlich verändert dar. Die Ukraine lehnt Gespräche mit Russland mittlerweile rigoros ab, solange sich russische Soldaten auf ukrainischem Gebiet, inklusive der Krim, befinden.

Niemand kann im Vorhinein wissen, ob zielführende Verhandlungen mit Russland überhaupt möglich sind. Aber den Krieg einfach so weiterlaufen zu lassen und lediglich dafür zu sorgen, dass die Ukraine militärisch gegenhalten kann, wollen viele nicht als der Weisheit letzter Schluss akzeptieren.

Die eingangs genannten 58 Prozent scheinen jedenfalls der Meinung zu sein, dass man zumindest versuchen sollte, Russland und die Ukraine wieder an den Verhandlungstisch zu bringen. In den oben genannten Leitlinien der Bundesregierung heißt ein solches Vorgehen "aktive Diplomatie", und für solche Initiativen von außen gibt es einige historische Beispiele.

Lula überrascht Scholz mit Idee einer internationalen Friedensoffensive

Am 30. Januar kam es bei einer Pressekonferenz in Brasilien zu einer Situation, in der der Bundeskanzler zum Thema "Diplomatie" öffentlich Farbe bekennen musste.

Im Vorfeld hatte Scholz versucht, von Präsident Lula da Silva eine Zusage für die Lieferung von Panzermunition an die Ukraine zu bekommen, aber Lula hatte dies abgelehnt. Brasilien sei ein Land des Friedens, wolle kein indirekter Kriegsteilnehmer sein.

Eigentlich ging es in dieser Veranstaltung um wirtschaftliche Zusammenarbeit und den Klimawandel, aber Lula überraschte seinen Gast mit einer Vermittlungsinitiative zur Beendigung des Ukraine-Krieges.

Seiner Einschätzung nach befinde sich der Krieg an einem Punkt, an dem es nur noch Verlierer gibt. Sowohl die Ukraine als auch Russland bräuchten den Frieden, wollten aber keinen Millimeter von ihrer Haltung abrücken und hätten in dieser Sackgasse keinerlei neue Ideen.

Außenstehende, einflussreiche Länder wie China, Indien, Indonesien oder Brasilien sollten in dieser festgefahrenen Situation nicht untätig bleiben. Als Gemeinschaft könnten sie Russland und der Ukraine dabei helfen, einen Frieden auszuhandeln.

Scholz zeigt keinerlei Interesse

Die Reaktion von Scholz – was er sagte, und was er nicht sagte – vermittelte ein selten klares Bild der deutschen Ukraine-Strategie.

Noch vor zehn Jahren hätte jede deutsche Regierungschefin ein solches Friedensengagement ganz selbstverständlich gelobt und begrüßt. Ist man jedoch stark involvierter Waffenlieferant für eine Kriegspartei, verschiebt sich die Perspektive ganz entscheidend.

Lula hatte also einen Vermittlungsvorschlag gemacht – und der Bundeskanzler zeigte sich desinteressiert. Er schenkte dem brasilianischen Präsidenten sein berühmtes Scholz-Lächeln und ging mit keinem einzigen Wort auf sein Angebot ein.

In ähnlicher Weise hatte die Bundesregierung bereits die Friedensinitiativen Italiens und der Vatikan-Arbeitsgruppe ins Leere laufen lassen. Aber hier spielte sich die Ignoranz vor laufender Kamera ab.

Keine Reaktion ist auch eine Reaktion – und dann referierte Scholz seine Sicht der Dinge:

Für mich ist klar, dass es über die Köpfe der Ukrainerinnen und Ukrainer und des Landes hinweg keinen Frieden geben kann. (…) Die Voraussetzung für alles ist, dass Russland einen Schritt macht, der mit dem Rückzug von Truppen verbunden ist.

Der Plan, dass in irgendeiner Weise versucht wird, sich einen Teil des Territoriums als Folge dieses Krieges anzueignen, darf nicht aufgehen.

Olaf Scholz

"In Friedensverhandlungen geht es darum, Leben zu retten, Zukunft zu gestalten und Sicherheit herzustellen"

Gerne möchte man Scholz hier zustimmen. Gerechtigkeit ist ein hohes Gut. Aber das Konzept der diplomatischen Konfliktlösung orientiert sich an den realen Möglichkeiten und zielt auf Schadensbegrenzung ab.

In Friedensverhandlungen geht es nicht um die Frage, ob der Gegner Zugeständnisse verdient hat. Es geht darum, Leben zu retten, Zukunft zu gestalten und Sicherheit für alle Kriegsparteien herzustellen.

Give Peace a Chance

Mit dem Truppenabzug und der Aufgabe aller territorialen Kriegsziele fordert Scholz von Russland etwas, von dem er weiß, dass es bestenfalls langfristig umgesetzt werden wird. Und damit hängt er die Latte für Verhandlungsvoraussetzungen ganz bewusst so hoch, dass Verhandlungen bis auf weiteres unmöglich bleiben.

Die von Scholz präsentierte Strategie baut darauf auf, dass der Druck auf Russland bald stark genug sein wird, ein Einlenken zu erzwingen. Auf diesen Weg ist er fixiert, und Vorschläge für voraussetzungsfreie Verhandlungen nimmt er vermutlich als störende Querschüsse wahr.

Wer sich also von der Bundesregierung eine Ausweitung diplomatischer Bemühungen wünscht – und nach der jüngsten ARD-Erhebung tun dies in Deutschland viele Millionen Menschen – muss erkennen, dass er derzeit nichts zu erwarten hat.