Friedensnobelpreis oder Nobelpreis für Menschenrechte?

Seite 3: Wenn der Friedensnobelpreis "humanitär" wird

Neuerdings scheint die Fokussierung auf das "letzte Jahr" die Verleihung des Preises nach aktuell vorherrschenden Interessen zu begünstigen. Also mehr Zeitgeist als lebenslanges Engagement mit weltweiter Wirkung?

Dabei würde auf die 2022 Prämierten das Kriterium der Langjährigkeit und Ausdauer ja sogar zutreffen. Die Kommentierung in einzelnen Medien zeigt jedoch, dass die Preise als strategisches Zeichen in der aktuellen Konfliktlage im Osten Europas verstanden werden (s.o.).

Problematisch wird das neue Framing für den Nobelpreis aber erst dann, wenn man es in Relation setzt zu dem, was wir ebenfalls in den letzten Jahren an geopolitischer (Neu-)Ausrichtung beobachten können: Die Legitimation von militärischem Eingreifen als "humanitäre Intervention" zur Begründung von Kriegshandlungen – sei es beim Eingreifen in Kriege oder gar als Begründung für deren Beginn, die dann natürlich anders heißen – wie wir lange am Gerangel um die Bezeichnung "Krieg" nach der Militärintervention in Afghanistan beobachten konnten.

Wir nähern uns also der Orwell’schen Warnung, die auf historischer Erfahrung basiert, wo Begriffe umgedeutet werden und das Gegenteil aussagen von dem, was ist: "Krieg ist Frieden"(sSicherung).

Hier dient der Kampf für Menschenrechte manchmal sogar zur Rechtfertigung von militärischer Gewalt, die strategische Ausrichtung wird dabei oft erst klar, wenn man die Auswahl der Ziele mit den vielen vergleichbaren Konflikten weltweit betrachtet, die nicht mit Interessen belegt sind und für die keine "humanitäre Intervention" gefordert wird.

Diese Strategie lebt also vom KleinKlein der Betrachtung von Einzelfällen und Einzelaspekten. Deshalb wird es für die Zukunft von besonderer Bedeutung sein, die humanitären Fragen im komplexen globalen Kontext zu betrachten. Und hier rede ich nicht mehr nur vom Friedensnobelpreis, sondern von einer friedlichen Welt.

Die Auszeichnung steht noch aus

Dass Johan Galtung bis heute nicht geehrt wurde, markiert eine der vielen Leerstellen der Preiszuerkennung. Niemand kann sich länger für Friedenslösungen eingesetzt haben als er, seine Schüler gehören zu den vielen unermüdlichen gewaltfreien Streitern für den Frieden, die kreativen Lösungen von Konflikten auf allen Gewalt- und Verstrickungsniveaus füllen Bücher, das Galtung-Institut garantiert den Fortbestand des gesammelten Erfahrungswissens.

Wenn der Preis weiblicher werden sollte, dann gäbe es weltweit ebenfalls verdiente Anwärterinnen. Nach der langen Phase der ersten 80 Jahre des Friedensnobelpreises, in der fünf Frauen die Ausnahme bei den Ausgezeichneten bildeten und die mit der Ernennung Mutter Teresa 1979 endete, kann seit 1982 bis heute eine langsame Öffnung und Weitung des Blicks in Richtung Frauen und Persönlichkeiten des globalen Südens beobachtet werden, wovon sich allerdings drei Frauen des globalen Südens 2011 den Preis teilen mussten: Ellen Johnson Sirleaf, Leymah Gbowee aus Liberia und Tawakkol Karman aus dem Jemen.

Die weltweit aktiven Frauengruppen für Frieden und Menschenrechte, die sowieso gerne übersehen werden, gehören zu den primären Anwartschaften der Zukunft. Ob es gelingt, sie zu bündeln, wie es bei der UN angesiedelt ist und auch Peace Women around the Globe versucht, wird sich zeigen.

Auf jeden Fall müssen sie die eingefahrenen Strukturen stören, wie dies musterhaft und sehr originell Medea Benjamin und Code Pink vorführen, die nicht selten aus den Sälen des Establishments und der Selbstbeweihräucherung in den USA von Security-Kräften herausgetragen werden.

Dazu gehören auch die vielen Aktiven in Lateinamerika, die sich gegen Femizide, für den Wasserschutz und Mutter Natur insgesamt einsetzen. In Zeiten von Social Media werden vielleicht mehr Formen von Guerilla-Aktionen kleinerer NGOs in den Blick geraten, bei denen die Ordnungswidrigkeit oftmals vor dem Anliegen diskutiert wird.

Mit Blick auf das steigende Bewusstsein für die Endlichkeit der Ressourcen unseres Planeten und das wachsende Risiko für die Lebensgrundlagen einer menschlichen Existenz dürften mehr Organisationen und Personen in den Blick geraten, die sich für den Erhalt der Lebensgrundlagen einsetzen.

Denn tatsächlich ist der Kampf für ein nachhaltiges Leben und Wirtschaften und somit eine gerechtere Verteilung der Ressourcen – also Investitionen in Ernährung statt in Waffen – Arbeit an der Basis der Friedenschancen.

Insofern könnte die Entwicklung der Auslobung des Friedensnobelpreises in Richtung Basisrechte zeitgemäß und durchaus im Sinne des Stifters Nobel sein, der in seiner Zeit diese Zusammenhänge noch kaum durchschauen konnte.

Davon, den globalen Frieden mit der Natur, in dem sich niemand mehr auf Kosten von anderen bereichert und die Hierarchien, die das verhindern, abgebaut werden, sind allerdings die bisherigen Preisentscheidungen noch weit entfernt.

Eine persönliche Widmung

Diesen Text schreibe ich in memoriam Manfred Diebold, einem der vielen Steten im Kampf gegen Gewalt, der mitten im Wirken plötzlich verstarb. Ein Großteil seines umfassenden Wissens in friedlicher Konfliktlösung geht mit ihm, das Vermittelte wird in der Friedensbewegung weiter getragen; dem Erlanger Bündnis für den Frieden sowie in der DFG-VK.

Man kann ihm und uns allen wünschen, dass dieses Wissen von Medien und Politik weniger ignoriert wird. In Johan Galtungs Buch "Konflikte & Konfliktlösungen. Eine Einführung in die Transcend-Methode." sind genügend Beispiele aufgezeigt von denen sich das Lernen lohnt.

Sabine Schiffer leitet das unabhängige Institut für Medienverantwortung (IMV) in Berlin. In ihrem Lehrbuch Medienanalyse stellt sie das notwendige Handwerkszeug für die Analyse von Medienbeiträgen zusammen.

Das IMV richtet sich an Medienschaffende und Mediennutzende gleichermaßen und klärt über Darstellungsmechanismen, Medieninhalte und Produktionsbedingungen auf und bietet Medienbildung in Seminaren, Publikationen und Konzepten.