Friedensnobelpreis oder Nobelpreis für Menschenrechte?

Friedensnobelpreis Henry Dunant. Bild: Henry Mühlpfordt/CC BY-SA 3.0

Die Verleihung des Friedensnobelpreises rückt weg vom globalen Friedensanliegen hin zu Menschen- und Freiheitsrechten. Ist das eine gute Entwicklung oder die Einengung eines großen Anliegens - mit instrumentellen Zügen?

Eine Stunde bevor am 7. Oktober 2022 die Erwählten für den diesjährigen Friedensnobelpreis benannt gegeben wurden, twitterte ich: "Mein Friedensnobelpreis-Träger ist Johan Galtung", wohl wissend, dass die feststellbar geopolitische Ausrichtung der Preisverleihung in den letzten Jahren seine längst überfällig Ernennung unwahrscheinlich machte. Dabei kann kaum jemand auf ein längeres, dauerhaftes und kreatives Wirken für den Frieden und Friedenslösungen in unzähligen Konflikten blicken.

Verliehen wird der Preis am 10. Dezember in diesem Jahr an den in Belarus illegal inhaftierten Menschenrechtsanwalt Ales Bjaletzki sowie eine russische und eine ukrainische Menschenrechtsorganisation: Memorial und das Center for Civil Liberties, denen man diese Ehrung aufgrund ihres jeweiligen persönlichen Einsatz auf keinen Fall absprechen möchte, denen die Anerkennung gebührt.

Dennoch bleibt die Frage nach der Ursprungsidee und Ausrichtung der Preisentscheidungen, denen schon länger eine eurozentrische Ausrichtung vorgeworfen wird, wobei diese Einschätzung mit den vielen Preisträgern aus den USA auf jeden Fall zu kurz greift. Klug gewählt ist die Aufteilung auf die drei diesjährigen Preisträger, die sich für Menschen- und Freiheitsrechte in Belarus, Russland und der Ukraine einsetzen.

Dieser Nobelpreis selbst überwindet durch diese Kombination der Preisträger die als unüberwindlich erscheinenden Grenzen im Kriegs- und Konfliktgebiet Osteuropas. Gleichzeitig setzt sich jedoch die Tendenz fort, die schon länger zu beobachten ist – eine Verschiebung des (globaleren) Friedensanliegens auf den Kampf für Menschenrechte.

Unbenommen führt die Einhaltung von Menschenrechten zu mehr Gerechtigkeit und ist somit ein Beitrag zum Frieden, aber dennoch liegt in der Neuausrichtung des Nobelpreises eine gewisse Reduktion des großen Anliegens, das Sprengstoff-Entwickler Alfred Nobel als Tribut an seine kritische Freundin und Friedensikone Bertha von Suttner in Form des Stiftungsgeldes einrichtete.

Die besondere Anstrengung gegen militärische Auseinandersetzungen

In der Erklärung Nobels in seinem Testament betont er im Wesentlichen die besondere Anstrengung gegen militärische Auseinandersetzungen und für die "Verbrüderung der Völker" sowie die Organisation von Friedenskongressen als Bedingung für den Zuspruch des Preises.

Der Fokus auf die Anstrengungen dafür auf das jeweils vergangene Jahr scheint heute stärker im Vordergrund der Entscheidungen in Oslo zu stehen. Auf der Website der Stadt heißt es zur Geschichte des Friedensnobelpreises im Wortlaut:

Der Friedensnobelpreis wurde von dem schwedischen Erfinder und Industriellen Alfred Nobel gestiftet. Nach seiner Maßgabe soll er an denjenigen vergeben werden, "der am meisten oder am besten auf die Verbrüderung der Völker und die Abschaffung oder Verminderung stehender Heere sowie das Abhalten oder die Förderung von Friedenskongressen hingewirkt" und damit "im vergangenen Jahr der Menschheit den größten Nutzen erbracht" hat.

Website der Stadt Oslo

Das Nobelpreiskomitee besteht aus fünf Personen, die vom norwegischen Parlament bestimmt werden. Ihnen steht das Nobel-Institut beratend bei. Der Entscheidungsprozess ist geheim.

Das Nominierungsverfahren setzt auf elitäre Auswahl, vorschlagsberechtigt sind ehemalige Preisträger, Staatsspitzen und andere renommierte Persönlichkeiten oder Organisationen. So nutzte der EU-Abgeordnete der Satire-Partei Die PARTEI, Martin Sonneborn, seinen Status, um den illegal internierten Wikileaks-Gründer Julian Assange für den Friedensnobelpreis 2022 vorzuschlagen.

Tatsächlich war mit der Entscheidung für zwei Journalisten, Maria Ressa und Dmitri Muratow, im letzten Jahr das Thema Meinungs- und Pressefreiheit mehr in den Vordergrund der Nobelpreisentscheidungen gerückt. Auch Edward Snowden stand in diesem Jahr auf der langen Liste der 278 Nominierten.

Die Überwindung des Freund-Feind-Denkens

Der erste Preisträger, der Schweizer Henri Dunant, hatte mit der Gründungsidee für das Rote Kreuz seinen revolutionären Gedanken in die Tat umgesetzt: Medizinische Hilfe sollten allen Verletzten in Kriegen zukommen, unabhängig von der Fahne, unter welcher sie zu kämpfen hatten.

Damit legte er bereits einen essentiellen Grundstein für das humanitäre Völkerrecht, das später definiert werden würde. Solche weitreichende Veränderungen verdienten die Auszeichnung. Dass später mit dem Begriff "humanitäre Intervention" gar für Kriege geworben werden wird (s.u.), schien damals unvorstellbar.

Die ersten und lange Jahre zeichneten die Träger des Friedenspreises das Überwinden des Freund-Feind-Schemas aus. Neben der Gründung von Friedensligen und -büros sowie der Implementierung von Friedenskonferenzen, etwa in Den Haag als regelmäßiger Kongress, wurde auch Mediation ausgezeichnet, zum Beispiel in persona Theodore Roosevelts 1905, der erfolgreich zwischen den Kriegsparteien Japan und Russland vermittelt hatte.

Aber bereits nach seiner 20-jährigen Preis-Geschichte nahmen auf Europa – und die Beendigung von Kriegen dort – fixierte Kapitulations- und Friedensverträge viel Raum in den Entscheidungen des Nobelpreis-Komitees ein. Neben der Fixierung auf die Nordhalbkugel stellten natürlich Männer die Mehrzahl der Ausgezeichneten.

So schlug sich die Gründung der ältesten Frauenfriedensorganisation, die ihren Auftakt bei der Frauenfriedenskonferenz 1915 in Den Haag fand, nicht in den Nobelpreisen nieder. Erst 1931 erhielt Jane Adams als erste Präsidentin der Women’s International League for Peace and Freedom (WILPF, dt. IFFF) den prestigeträchtigen Preis. Dass Frieden und Freiheit – im Sinne von Selbstbestimmung und Mitbestimmung – eine enge Verbindung haben, wurde aus Frauensicht vielleicht schneller klar.

Mit dem viel geehrten Völkerbund und den Vereinten Nationen gerieten verstärkt Geflüchtete und übergeordnete humanitäre Fragen ins Blickfeld der Preisverleiher; und mit der Ehrung für Martin Luther King 1964 auch der Kampf gegen Rassismus und für Gleichberechtigung, sowie im Folgejahr Kinderrechte.

Für die Beendigung des Vietnam-Krieges wird schließlich Henri Kissinger geehrt, nicht etwa der Whistleblower Daniel Ellsberg, der mit dem Leak der Pentagon Papers zum Bekanntwerden der US-amerikanischen Kriegsverbrechen in Vietnam gesorgt hatte, was neben einigen anderen Ereignissen einen wesentlichen Beitrag zur Beendigung des Krieges darstellte.

Kissingers vietnamesischer Verhandlungspartner Le Duc Tho nahm die Auszeichnung nicht an.

Der Preis wurde zu dieser Zeit staatstragend in einem westlichen Sinne. Erst zum Jahrtausendwechsel wird die Preisvergabe diverser. Ärzte ohne Grenzen, der Leiter der Atomenergiebehörde und schließlich die internationale Kampagne gegen Atomwaffen ICAN werden ausgezeichnet; viele Aktive und Aktivistinnen für Menschenrechte erhalten den Preis.

Mit Mohammed Junus und seiner Grameen Bank in Bangladesch wird der Fokus 2006 auf die sozialen Menschenrechte gelegt.