Friedensnobelpreis oder Nobelpreis für Menschenrechte?
Seite 2: Der Friedensnobelpreis im Kontext der Geopolitik
- Friedensnobelpreis oder Nobelpreis für Menschenrechte?
- Der Friedensnobelpreis im Kontext der Geopolitik
- Wenn der Friedensnobelpreis "humanitär" wird
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Im Dezember 1971, vor knapp 51 Jahren, erhielt Willy Brandt den Friedensnobelpreis für seine Versöhnungsgeste in Polen und den auf der Höhe des kalten Krieges revolutionären Tabubruch mit dem Osten ins Gespräch zu gehen – entgegen der Politik der Stärke, die wesentlich den Geist seiner Vorgängerregierungen und den öffentlichen Diskurs bis dato prägte.
Obwohl es hier wirklich um das große übergeordnete Thema "Frieden" ging, kann man durchaus auch darin einen Tribut an den Zeitgeist mit eurozentrischer Perspektive attestieren. Die neue Ostpolitik war mitten im Prozess, aber der Bruch des Misstrauens war sicher der Würdigung wert. Der Blick des Komitees weitet sich in den folgenden Jahren.
Zu den ungewöhnlichen, als unüberbrückbar scheinende Gräben überwindenden Initiativen gehört die Annäherung zwischen Ägyptens Präsident Anwar el-Sadat und seinem israelischen Gegenüber Menachem Begin, die 1978 gewürdigt wurde.
Der Mediator und langjährig friedensbewegt agierende US-Präsident Jimmy Carter wurde in diese Ehrbekundung nicht einbezogen, er erhielt den Preis 2002 für sein Lebenswerk als – teils auch unglücklicher – Friedensstifter.
Gewürdigt wurden immer wieder zurecht unerwartete Schritte auf dem Weg zum Frieden. In die gleiche Richtung wies der Nobelpreis für Yitzhak Rabin, Shimon Peres und Yassir Arafat 1994 für das mutige Oslo-Abkommen von 1993 zur Befriedung des Israel-Palästina-Konflikts, dessen Umsetzung schließlich an der Ermordung Rabins scheiterte.
Nachhaltiger war die Auszeichnung für die Aussöhnung in Südafrika, die zum Ende der Apartheid führte – zumindest, was die Rechtslage anbelangt, der Kampf gegen strukturellen Rassismus dauert bis heute an; daran konnte auch die Präsidentschaft des geehrten, langjährig inhaftierten ANC-Führers Nelson Mandela nicht so viel ändern, wie er gewollt hatte.
Einen stilleren Preisträger hätte man sich in dem Kontext auch vorstellen können: Denis Goldberg, der als Kommunist und einziger Weißer 22 Jahre im Pretoria-Gefängnis saß, weil er für die Gleichberechtigung von Schwarzen und Weißen und eine klassenlose Gesellschaft eintrat. Goldberg hatte sein Leben für das Mandelas angeboten – sie blieben beide lange interniert.
Zu häufig fallen die stillen Hartnäckigen hinten herunter, wohl auch weil die Medienaufmerksamkeit anderen Kriterien der Zuwendung folgt. Albert Schweitzer, der für die Gründung eines Tropenkrankenhauses und seine langjährige Menschenrechtsarbeit in Afrika 1952 ausgezeichnet wurde, passte da wiederum besser in das Schema.
Auch bei diesen Friedensnobelpreisen ging es um Menschenrechte, aber darüber hinaus auch um das Völkerrecht und insgesamt eine weitere, globalere Perspektive. Erstmalig allein für den Kampf um Menschenrechte ausgezeichnet wurde der Physiker und Entwickler der Wasserstoffbombe, der langjährig verfolgte russische Dissident Andrei Sacharow in der Sowjetunion 1975, viel später folgten viele weitere.
Als Organisation, die übergeordnet von konkreten Konflikten, aber dennoch als Kind der Zeit geehrt wurde, könnten die Ärzte gegen den Atomkrieg (IPPNW) bei der Verleihung des Friedensnobelpreises 1985 gelten.
Nach den großen Friedensdemonstrationen gegen die Stationierung atomarer Kurz- und Mittelstreckenraketen, die Deutschland diesseits und jenseits des Eisernen Vorhangs zur Pufferzone machten, gab es in den 1980er Jahren und erst recht in den 1990ern nach Michail Gorbatschows Perestroika und der folgenden Maueröffnung zwischen Ost und West der Idee vom Frieden Auftrieb – so verstand der Politikwissenschaftler Francis Fukuyama seinen Aufsatz vom "Ende der Geschichte".
1988 wurden dann die "Friedenstruppen der Vereinten Nationen", die sogenannten Blauhelme, ausgezeichnet; ein Gegenstand der Diskussion, wie auch die spätere Auszeichnung der Europäischen Union, die 2006 für ihre 60-jährige Friedensstiftung in Europa ausgezeichnet wurde; wobei der Krieg in Jugoslawien anscheinend übersehen wurde, ebenso wie krisenfördernde Wirtschaftsverträge und Soldatenentsendungen in sogenannte Entwicklungslänger.
Die These
Vielleicht täusche ich mich, aber ich möchte gerne einen Eindruck meinerseits als These erörtern: Die Nobelpreisverleihung nimmt in den letzten Jahren immer dichter instrumentelle Züge an und droht damit gar in Richtung Missbrauch zu degenerieren.
Man vergleiche noch einmal den Stiftungswillen von Alfred Nobel, den Erfinder des Dynamits freilich, und setze diesen zu einigen neueren Preisverleihungen in Bezug. Vielleicht liegt die Instrumentalisierung aber auch mehr in der Interpretation des Komiteewillens als in den Entscheidungen selbst.
Friedensnobelpreis für…
Herausheben möchte ich dabei vor allem den Friedensnobelpreis für Barak Obama, den dieser nach einigen (zu) viel versprechenden Reden im Jahre 2009 erhielt – er allein, nicht gemeinsam mit anderen, die bereits viel für Frieden und Gerechtigkeit geleistet hatten, wurde damit bedacht und selbst überrascht.
In seinem Fall hatte der Nobelpreis Aufforderungscharakter, auch die Dinge umzusetzen, die er angekündigt hatte – im Nahen Osten eine neue Politik zu realisieren und darüber hinaus zur Völkerverständigung beizutragen. Seine Regierungszeit, auch die zweite Amtszeit, bei der es um keine Wiederwahl mehr gehen konnte, zeichnete vor allem eines aus: Kontinuität.
Auch und noch in besonders ausgeprägtem Maße setzte er die Abzeichnung der sogenannten "Kill-List" einmal in der Woche fort, sprich: Er entschied und unterschrieb, wer aufgrund von Verdachtsmomenten als Terrorverdächtiger "liquidiert" werden solle, was im Normalfall das Töten Verdächtiger mittels Drohnen bedeutete.
Außerhalb eines rechtsstaatlichen Prüfverfahrens, das mit einem Urteil abschließt, wurden auf seinen Befehl Verdächtige ermordet via der US-Militärbasis Ramstein in Rheinland-Pfalz als Kommandozentrale.
Dieser Friedensnobelpreis war eine große Fehlentscheidung, der es Obama gar ermöglichte, ihn gleichzeitig anzunehmen und die "gerechten Kriege" der USA zu verteidigen; übrigens eine Verve, die sich aus seinen Ankündigungsreden bereits herauslesen ließ.
Friedensnobelpreis gegen…
Im Zentrum der verliehenen Friedensnobelpreise stand langjährig die Überwindung von Feindbildern, Grenzen und Schranken, bestenfalls sogar Aussöhnung. Die Nichtannahme durch den vietnamesischen Verhandlungspartner von Henri Kissinger deutete allenfalls auf einen fortbestehenden Antagonismus hin.
Ob die Verleihung des Nobelpreises 2021 an die Journalisten Maria Ressa (Philippinen) und Dmitri Muratow (Russland) wegen ihres, teils lebensbedrohlichen, Einsatzes für die "Meinungsfreiheit als Voraussetzung für Demokratie und Frieden" schon in Richtung Instrumentalisierung weist, mag ich nicht zu beurteilen. Sie setzt zumindest einen neuen Fokus und verweist wiederum stark auf einen Teilaspekt.
Der Preis stärkte das Anliegen des Journalismus, wofür auch die Reaktion des UNO-Menschenrechtsbüros spricht… "congratulates all journalists". Auch bei diesem Nobelpreis kann ein Aufforderungscharakter ausgemacht werden zum Schutze von Journalisten weltweit.
Muratow widmete ihn seinem Kollegium bei der Tageszeitung Novaja Gazeta, sowohl den Lebenden, als auch den Ermordeten, allen voran Anna Politkowskaja. Eine Kommentierung, die nur in eine Richtung verwies, konnte ich nicht feststellen (vgl. Leitmedium Spiegel-Online).
In diesem Jahr ist die Kommentierung anders, aggressiver, vielleicht verständlich angesichts des russischen Angriffs auf die Ukraine. Aber es wirkt befremdlich, wenn etwa die Entscheidung der Preisjury als "Zeichen gegen Putin" gewertet wird oder als "Signal gegen Putin und Lukaschenko" in der spanischen La Vanguardia am Tag der Verkündigung.
Auf Twitter lassen einige ihrem Hass – je nachdem gen Russland oder gegen die Ukraine oder Belarus – regelrecht freien Lauf, alles das Gegenteil von dem, was ein Friedensnobelpreis als Signalwirkung haben sollte.
Und auf Tagesschau.de wird eigenwillig bis paradox kommentiert: "Mit den diesjährigen Friedensnobelpreis-Trägern setzt das Komitee ein starkes Zeichen gegen den post-sowjetischen Imperialismus des Kremls: Denn die Friedens- und Freiheitsschicksale der drei Völker sind unauflöslich miteinander verbunden."
Handelt es sich nur um mutwilliges Hineininterpretieren der eigenen Erwartung in die Zuerkennung an die drei Ausgezeichneten? Indem man eine Botschaft aus vielen möglichen herauspickt? Oder handelt es sich diesmal um eine Juryentscheidung, die (noch) mehr von geopolitischem Kalkül und Instrumentalisierung als vom Geist des Stifters und seiner Ideengeberin Bertha von Suttner geprägt ist?
Eigentlich hat das Nobelkomitee eine Mischung aus Geopolitik und Diplomatie vorgelegt, indem man die drei Preisträger gemeinsam ehrt. Diese Strategie lässt sich auch 2014 belegen mit der Auszeichnung der Kinderrechtsaktivisten Malala Yousafzeh aus Pakistan und gleichzeitig Kailash Satyarthy aus Indien.