Fuck the War
"Soldierblogs". Die Wahrheit des Irakkriegs aus der Sicht der US-Soldaten. History in the Making, Teil 3
Irak, Irak, Irak, Irak, den ganzen Tag, die ganze Nacht, den ganzen Tag: Irak, Irak, Irak, Irak. Und wenn das vorbei ist, selbst wenn sie zuhause sind, hört der "Puls des Krieges" nicht auf. Viele können sich nicht mehr normal bewegen; auf den Straßen, in den Supermärkten vermuten sie Bomben, jedes laute Geräusch weckt die Überlebensinstinkte und -reflexe, die sie im Krieg erworben haben. Sie haben Schwierigkeiten, wieder in den familiären Alltag einzusteigen oder in ihren "Citizen Joe"-Job - wenn der überhaupt noch zu haben ist. Tausenden von heimkehrenden US-Soldaten droht die Obdachlosigkeit, 15 bis 17 Prozent der Veteranen erfüllen nach jüngsten Untersuchungen die diagnostischen Kriterien für schwere Depressionen, Angstneurose oder Post-Traumatic Stress Disorder (PTSD): "Fuck the War!"
Das berüchtigte "F..Wort" steht in vielen Blogs von US-Soldaten, eben so oft "It sucks", aber auch " I love...": den Soldatenjob, den Kampf. Kein Erlebnis, keine Erfahrung wie diese. Für Zivilisten, zumal solche, die den Krieg verabscheuen, nur contre-coeur nachzuvollziehen, aber die Neugier ist da. Die Gründe dafür sind vielfältig.
Mag sein, dass Menschen, wie Wolfgang Sofsky, Autor von "Zeiten des Schreckens", unterstellt, vom Augenblick der Angstüberwindung besonders angezogen werden, dass man also nach Berichten von Soldaten im Krieg "giert", weil man dort aus sicherer Entfernung heraus Gewalt-Erlebnissen nachspüren kann, die mit der Angst vor dem Tod und deren Überwindung zu tun haben. "Gewalt stößt ab, aber sie verlockt zugleich. Man erkennt, was einem bevorstehen kann." (Sofski). Mag sein, dass die Neugier auf die Geschichten der Soldaten im Irakkrieg von weniger existenziellen Motiven bewegt wird. Man will einfach nur wissen, was die dort den ganzen Tag machen, was sie denken, was sie erleben, was sie fühlen. Wie der Krieg aus ihrer Sicht aussieht, die wirkliche Geschichte (vgl. Teil 2 Jackass goes to War).
...ich suchte nach einem Blog, den ein Soldat schreibt, der im Irak Dienst tut. Nach Details, die den Konflikt realistischer erscheinen lassen für jene von uns, die keine Vorstellung davon haben, wie es wirklich sein muss "over there".
Aus einem Leserbrief eines Studenten der Universität von Houston
Für den "eingebetteten" Defence Week-Reporter Nathan Hodge sind Blogs das "charakteristische kulturelle Phänomen des Irakkriegs", so wie "die psychedelische Musik den Soundtrack zum Vietnamkrieg geliefert hat." Es gäbe ein Dutzend Blogs von Irakern, Blogs von Zivilangestellten in der "Green Zone" und nach Schätzungen der Army Times über Hundert Soldierblogs. Zum einen solche, die ihre Familien zuhause auf dem Laufenden halten wollen, zum anderen solche, die sich an andere Soldaten wenden, um sie zu informieren. Unter denen, die sich an ein unbestimmtes Publikum wenden, unterscheidet Hodge zwischen patriotischen Blogs und "persönlichen Abrechnungen".
Zu letzteren später, zunächst zu "Just Another Soldier", Jason Hartley, der seit Anfang diesen Jahres wieder als Normalo-"citizen Joe" in Amerika lebt. Jason Hartley sorgte Ende Januar mit einem öffentlichen E-Mail für einiges Aufsehen.
"Just another Soldier"
Von Beginn seines mehrmonatigen Einsatzes im Irak (im sunnitischen Dreieck) an führte Hartley einen Blog, sehr zum Ärger seines Vorgesetzten, der "ausflippte", als er von der "Family Readiness Group" des Bataillons darauf aufmerksam gemacht wurde. Zunächst hielt sich Hartley an das Blog-Verbot, verschickte seine Stories aber weiter als Emails an über Tausend Interessierte, schließlich nahm er sogar den Blog ohne Einverständnis seines Kommandeurs wieder auf. Der drohte ihm, ihn vor Gericht zu bringen, ließ es aber dann doch "nur" mit einer Degradierung gut sein. Die rechtliche Handhabe dafür liefern die Vorgaben der "Operation Security (OPSEC)", weitgehend eine Auslegungssache ("ähnlich wie Pornographie", so Hartley), aber im Falle eines Soldaten im Einsatz ist die OPSEC gewichtiger als das das Recht auf Redefreiheit, die das First Amendment garantiert. Etwas naiv vielleicht wundert sich Hartley in seinem Mail darüber, wie ihm der ganze Hassel passieren konnte, wollte er in den Stories doch nur "mehr Details einschließen, in der Hoffnung, eine ehrlichere und humorvollere Perspektive auf das, was das Soldatendasein typischerweise ausmacht, zu liefern" - im Gegensatz zu den meisten anderen Soldaten, vor allem Infanteristen, die ihre "von Jerry Bruckheimer befeuerten Phantasien mit machohafter Inbrunst verwirklichen wollen".
Ich könnte schreiben: "Wir haben heute Abend eine Militärrazzia durchgeführt. Wir rissen die Tür aus den Angeln und säuberten das Haus, aber der Kerl, den wir suchten, war nicht zuhause." Stattdessen hätte ich schreiben können: "Heute Abend brachen wir zu einer Razzia auf. Sie war für 3 Uhr morgens angesetzt und ich konnte nicht schlafen, also masturbierte ich, bevor wir aufbrachen. Auf dem Weg zur Razzia verirrten wir uns, aber nachdem wir etwas herumfuhren, fanden wir endlich das Haus. Wir versuchten, das Tür aus Verankerung in der Wand zu brechen, aber der ganze Vorgang endete unglücklicherweise damit, dass wir die ganze Wand niederrissen. Als wir das Haus untersucht haben, stellten wir fest, dass es das falsche war. Als wir dann herausfanden, wo das richtige Haus stand, brachen wir dort ein. Aber der Typ, den wir suchten, war nicht da. Als ich die Straße sicherte, merkte ich, dass der Fraß, den wir zum Abendessen hatten, mit meinem System nicht zurechtkam und als ich versuchte, einen Furz zu lassen, ging etwas in die Hose. Als wir dann mit der Hausdurchsuchung fertig waren, sprangen wir in unsere Humvees und fuhren in die Straße, von der wir glaubten, dass sie auf unserer geplanten Rückkehrroute lag, aber stattdessen war sie eine Sackgasse, die zu einem Kanal führte. Während wir umdrehten, blieb einer der Humvees im Sumpf stecken. Die meisten Razzien verlaufen nicht so mies. Allmählich schafften wir es zu unser Basis zurück, 'safe and sound'. Mein Arsch war wund vom "Sharten", also duschte ich, masturbierte und ging schlafen. (Dies ist ganz nebenbei eine wahre Geschichte).
Hätte er die Geschichte so erzählt, wäre er von seinem Kommandeur nicht nur in wütenden Worten belehrt worden, weil er seine Truppe als unfähig und unprofessionell porträtiert hätte, sondern er wäre auch eines Verstoßes der OPSEC beschuldigt worden, weil er taktische Einzelheiten über eine Hausdurchsuchung verraten hätte, so Hartley, der die Eingriffe auf den Inhalt seines Blogs klar als "Zensur" wertet, wie die Oberzeile seines Blogs deutlich macht.
Zensur?
Die Armeeführung hat das neue Kommunikationsmittel noch nicht im Griff, so das Fazit eines aktuellen Artikels der Army-Times über Soldatenblogs. Regeln und Verordnungen, die spezifisch auf Email und Bloggen zugeschnitten sind, gibt es noch nicht, nur eben die Richtlinien der OPSEC. Nach der entsprechenden Direktive 5205.2 dürfen die Soldaten keine Hinweise auf Truppenbewegungen und die Art der durchgeführten Operationen geben und nichts darüber verraten, was Rückschlüsse auf ihre Einheit oder die Sicherheit ihrer Basis zulässt. Ganz allgemein gilt die Order, dass die Zuständigkeit dafür bei den Kommandeuren der Einheiten liegt und: Deren Vorgehensweise muss mit den Richtlinien des Pentagon übereinstimmen, er darf sie strenger handhaben, aber niemals weniger streng, so Chris Karns, Sprecher des U.S. Central Command.
Spätestens seit Jason Hartleys Fall sind die Beschränkungen und Freiheiten der Blogger ein Thema, die Unsicherheiten sind groß. Nach Angaben des Bloggers Blackfive hätten ihn seit Anfang Januar etwa 40 Blogger kontaktiert, weil ihnen von ihrem Kommandeur befohlen wurde, den Blog zu schließen. Das Wort "Zensur" wird von den Bloggern jedoch meist vermieden. Man äußert logischerweise weitgehend Verständnis für die Sicherheitsbedürfnisse der Army zu Zeiten, in denen das Internet auch vom Gegner als Informationsquelle genutzt wird. Es ist eher so, dass Blogger wie Daggerjag den Störenfried in der Presse wittern, die für ihre Stories gerne nach "Zensur" suchen würde:
...Man will definitiv den Eindruck erwecken, dass die Soldaten von ihren Befehlshabern wegen ihrer Blogs verfolgt werden und dass ihr Recht auf freie Meinungsäußerung von einer Führung beschnitten wird, die nicht will, dass die Stories erzählt werden.
Die Situation sei aber komplexer, weil der Feind "Computer-savvy" genug sei, um Emails und andere Internetkommunikation abzufangen, so könnten auch potentiell unschuldige Statements wichtige Informationen enthalten. Viele der namhaften Blogger, wie z.B. Sgt. Missick – "A Line in the Sand" teilen diese Auffassung, welche auch bei vielen Artikeln über die Soldierblogs immer wieder betont wird. Einerseits will man die true stories, die ungefilterte Kriegsberichterstattung von den Soldaten, anderseits achtet die Führung doch sehr darauf, welches Bild vermittelt wird, und es sind nicht nur OPSEC-Kriterien, die eine wichtige Rolle spielen. Es geht auch um das Bild der Armee nach außen, darum wie die Truppe gezeichnet wird. Kameradschaft ist wichtig. Mit der Schwierigkeit, was man nach außen sagen kann und was besser nicht, weil es die Truppe in ein schlechtes Licht rücken könnte, sind alle konfrontiert, die über einen längeren Zeitraum hinweg enger mit den Soldaten zusammen waren, angefangen von eingebetteten Reportern bis zu Filmregisseuren, wie etwa Michael Tucker (vgl. Jackass goes to War). Man ist sich nahe gekommen, hat sich sogar angefreundet und über Freunde sagt man nichts Abträgliches...