Jackass goes to War
Wahre Geschichten von US-Soldaten im Irakkrieg. History in the Making, Teil 2
Dem deutschen Publikum wollte man den Film nicht zumuten. Als Michael Tucker seinen Dokumentarfilm über ein amerikanisches Bataillon im Irak letztes Jahr deutschen Fernsehsendern anbot, lehnten sie "Gunner Palace" geschlossen ab. Der Abu Ghraib-Skandal erhitzte damals die Gemüter; man befürchtete, das deutsche Publikum würde den Film "im Umfeld der Diskussion um Folter und Zukunft des Irak" nicht verstehen. Die Sorge teilten selbst die, die den Film für "das klarste Porträt der amerikanischen Soldaten im Irak hielten".
Der Film des nach eigener Aussage eher linken Filmemachers mit Wohnsitz am Prenzlauer Berg habe noch immer keinen Verleih, stand letzten Sommer am Ende des lobpreisenden FAZ-Artikels über Gunner Palace. Mittlerweile schon, trotz Schwierigkeiten auch in den USA. Seit dem 4.März läuft der Dokumentarfilm über das 2.Bataillon der 3.Feldartillerie, die so genannten "Gunners", die ihr Quartier in einem ehemaligen Wochenendpalast von Udai Hussein aufgeschlagen hatten, in 15 amerikanischen Städten, in New York, Washington, Los Angeles, San Francisco.
Sehnsucht nach der anderen Seite des Krieges
Die Reaktion amerikanischer Kinogänger zeigt, jenseits aller Urteile darüber, ob es sich nun um einen Antikriegsfilm oder ein inszeniertes Porträt von neuen Kriegshelden handelt, dass an den Film vor allem eine Erwartung gestellt wird: Man will etwas über die wirkliche, die echte Geschichte der Soldaten im Irak erfahren, nicht die, die in den Nachrichten, in den politischen Ansprachen und den Kommentaren über den Krieg erzählt wird. Endlich mal etwas über den Irak ohne politischen Spin, ohne Propaganda, nur "Menschen", die ihre Geschichten erzählen; das Publikum verlangt nach einer authentischen Version der "Boys". Offenbar bleiben von der Sehnsucht nach der anderen Seite des Kriegs selbst Skeptiker und Kritiker des Waffengangs nicht verschont:
Wenn man "Gunner Palace" sieht, dann realisiert man, dass Amerikas Mission zum Scheitern verurteilt ist, selbst wenn man die Männer und Frauen bewundert, welche den Auftrag freiwillig ausführen. Hier findet man endlich die versprochenen Szenen von unseren Truppen, die einen humanitären Plan erfüllen. Entzückte Kinder folgen den Soldaten wie dem Rattenfänger von Hameln; Schulen öffnen wieder; eine unzureichend ausgestattete Verwaltung erhält geniale und vorbehaltslose Hilfe von Amerikanern. In einer bewegenden Szene hält der Soldat James Moats zärtlich ein Waisenkind in den Armen, während er über die Geburt seines eigenen erstgeborenen Sohnes zuhause spricht: "Ich habe Bilder gesehen, aber ich konnte ihn bis jetzt nicht in den Armen halten." Er beklagt sich nicht, er erklärt nur. Er lebt den Moment und öffnet sein Herz nur dem verletztlichen Kind in seiner Armbeuge.
Den Film "stark beeindruckend" zu nennen, wäre eine grobe Vereinfachung. Er ist es, aber noch viel mehr. "Gunner Palace" schafft, was kein Buch, keine Nachricht und kein Blog kann - es macht die Soldaten des 2. Bataillons lebendig, für die, die den Film erleben, in einer Art, wie sie es nur könnten, wenn sie persönlich anwesend wären. Der Film zeigt nur wenig von dem Krieg, wie wir ihn von CNN oder von Pressekonferenzen des Verteidigungsministeriums kennen; man erfährt nichts über große Strategien oder Taktiken oder vom Auf und Ab von Siegen und Niederlagen. Nein, was man hört, sind Geschichten von Soldaten von den unteren Rängen bis zu den Bataillonskommandeuren.
Phillip Carter, Intel Dump
Schon der Untertitel des Films - "Some War Stories will never make the Nightly News" - greift die Zugkraft der Erwartung nach "wahren Geschichten" über den Krieg auf. Diskussionen über den Film in einem amerikanischen Militärblog deuten an, was in dieser Erwartung als patriotisch motivierter Ethos bei vielen mitschwingt: Man will die Soldaten - anders als im Vietnamkrieg - nicht in den "Schmutz gezogen" sehen. Sie sollen nicht als "Babymörder" diffamiert werden wie beim Vietnamkrieg, als Menschen will man sie sehen - und als gute Amerikaner. So bringt es ein Email auf den Punkt, das der Mudville Gazette zugesandt worden ist, um für die Unterstützung des Films zu werben:
Weil unsere Soldaten und Marines, so wenig perfekt, wie sie sein mögen, im ganzen gute Amerikaner sind, die gute Dinge tun. Sie verdienen es so gezeigt zu werden - mit Warzen und allem (aber nicht "mit Warzen und noch mehr Warzen" wie es CNN tut)
Das Vietnamtrauma ist noch immer sehr lebendig. Eine ganze Reihe von Beiträgen ehemaliger Soldaten zur "MilBlog"-Diskussion über den Film beschäftigte sich hauptsächlich mit dem Eröffnungssatz aus einer Filmkritik.
Spuckgeschichten
Nicht dass der Film, wie ihm diese Kritik vorwirft, die Soldaten als "selbstmitleidige Rowdies" zeigt, als Teenager, die im Pool von Udai herumtollen, auf seinen Greens Golfbälle dreschen und sich über den Mangel an Alkohol beschweren, regt die Veteranen besonders auf, sondern vor allem die eigene Erinnerung an ihren Empfang zuhause nach dem Krieg. Der Kritiker der "New York Metro" hatte die beiden "Gunner Palace"-Filmemacher Michael Tucker und Petra Epperlein, mit den Leuten verglichen, die damals auf die Heimkehrer aus Vietnam spuckten. Und James Wallcott von Vanity Fair hatte die Chuzpe das Bespucken von Vietnam-Veteranen als "Urban Myth" zu bezeichnen, der vorwiegend dazu ins Leben gerufen wurde, um die Anti-War Bewegung zu diskreditieren. Entrüstete Widerlegung seitens der Veteranen, die erbost ihre eigenen, wahren und echten Spuck- und Diffamierungsgeschichte posteten. Es entsteht beinahe der Eindruck, als ob sie lange darauf warten mussten, endlich diese Geschichten loszuwerden und der Versuch, US-Soldaten im Irakkrieg nicht mehr als Mördermaschinen zu porträtieren, gibt ihnen die lang ersehnte Möglichkeit dazu.
Nach dem Befund des New York Times-Journalisten Frank Rich (vgl. dazu Vietnam On Speed) findet eine bestimmte Art von Post-Vietnam-Paranoia allerdings nur mehr in den Köpfen von Falken statt, der überwiegende Teil von Amerikanern hat längst eine positive Einstellung zu den Truppen:
Aber wir sind wenigstens in dieser Beziehung nicht mehr auf Vietnam zurückgeworfen. Zwar setzen "Iraq Hawks", wie früher die "Vietnam Hawks", die Kritik an Amerikas Mission im Irak oft mit der Kritik an den Truppen gleich. Aber dieses Paradigma hält nicht mehr. Amerikaner, inklusive Kriegsgegner, lieben die Truppen (Lynndie England ausgeschlossen).
Love the Troops
Auch die von Rich als neues Paradigma ausgerufene patriotische "Liebe zu den Truppen" ist der journalistischen Lust am Festschreiben eines neuen Trends wahrscheinlich ebenso geschuldet wie der Beobachtung von Indizien für die allgemeine Stimmung: Denn natürlich gibt es auch hier ein "anderes Lager", die unbelehrbaren "leftoids", wie sie in Militärbloggerkreisen bezeichnet werden. "Da ist etwas Seltsames an alledem und - nein - sie (die Soldaten im Film) stehen ganz sicher nicht für die Demokratie ein", so der Kommentar zum Film auf einem "linken Blog":
Ich befürchte, dass ihre echte Mission sehr wohl das Gegenteil von Demokratie sein könnte. So let's get over "the troop"-worship.
Thinker
Thinker ist wahrscheinlich nicht der einzige Amerikaner, der skeptisch auf das reagiert, was für Mike Tucker gerade Grund zum Stolz ist. Er fühle, dass es ihm gelungen sei, die Geschichte auf eine Art zu erzählen, die diese Soldaten menschlicher macht, ist das Fazit, das Tucker in einem Interview zieht.
Was aber macht Soldaten "menschlicher", bzw. welche menschliche Seite des Soldaten wird von denen gesucht, welche die "wahren Geschichten" hören und sehen und gerne auch weit verbreitet sehen wollen und welche menschliche Seite wird von den Soldaten geliefert, die weder von einem Regisseur begleitet noch von einem Redakteur korrigiert werden?
Die Antwort darauf könnten die so genannten Soldier-Blogs liefern. Für den "eingebetteten" Defence Week-Reporter Nathan Hodge sind Blogs das "charakteristische kulturelle Phänomen des Irakkriegs, so wie "die psychedelische Musik den Soundtrack zum Vietnamkrieg geliefert hat."
In Teil 3: "Soldierblogs". Die Wahrheit des Irakkriegs aus der Sicht der US-Soldaten.