Vietnam On Speed

History in the Making. Teil 1: US-Soldaten im Irakkrieg als Filmhelden

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Irak ist nicht Vietnam. Es mag Parallelen geben, aber auch große Unterschiede. Einer " und nicht der unbedeutendste " besteht darin, wie die Kriegsrealität am Anfang des 21.Jahrhunderts an die Außenstehenden vermittelt wird. "Iraq is Vietnam on speed" war vor kurzem in der New York Times zu lesen. Brauchten die Briefe der Soldaten, die in Vietnam kämpften, noch viele Tage, bis sie die Angehörigen zuhause in den Händen hielten, so können Mütter, Väter, Geschwister, Geliebte und Freunde die Erfahrungen ihrer Lieben jetzt beinahe "live" nachlesen - in Emails oder Blogs. Auch das größere Publikum kann seine Neugier jetzt schneller befriedigen. Während es nach dem Vietnam-Krieg noch Jahre dauerte, bis Hollywood und Pop-Kultur den Krieg aufarbeiteten, sind die ersten Scripts für den Irakkrieg auf dem Big-Screen oder auf dem Fernsehschirm schon längst geschrieben, teils abgedreht, teils auf Preview-Tournee oder gar schon im regulären Programm.

Der Stoff ist verlockend. Der Krieg im Irak ist ein "großes menschliches Drama", so bringt es John Landgraf auf den Punkt. Landgraf arbeitet für die amerikanische TV-Anstalt "FX", der Krieg hat ihn zu einer Serie inspiriert, die im Sommer dieses Jahres in Amerika anlaufen wird: "Over There". Im Mittelpunkt der Serie steht eine Truppe, die im Irak stationiert ist. Landgraf ist nicht der Einzige aus dem Milieu der professionellen Storyteller, die die historische Gelegenheit, history in the making so schnell als möglich dramatisch umzusetzen, nutzt.

Großes menschliches Drama

Anfang November soll "No True Glory: The Battle for Fallujah" in den amerikanischen Kinos anlaufen (vgl. Die Schlacht um Falludscha als Hollywoodfilm). Die Aufsehen erregende Dokumentation "Gunner Palace" tourt zur Zeit als Preview in den USA, offizieller Start ist der 4. März. Vom gegenwärtigen Irak-Krieg abgesehen, gilt ,wie USA Today vor einigen Tagen bemerkte, generell, dass Military culture heißer sei denn je. Seit Januar gib es im amerikanischen Fernsehen den "Military Channel", neben dem "Pentagon Channel" und dem "Military History Channel" der mittlerweile dritte Fernsehkanal, der ganz militärischen Stoffen gewidmet ist. Programmhöhepunkt im ersten Monat war "Delta Company": Bilder von "eingebetteten Kameras" über den Vorstoß einer Panzereinheit der Delta Company auf Bagdad zu Anfang des Irakkrieges.

Zum Angebot aus Film und Fernsehen kommen noch Computerspiele hinzu. Im Februar letzten Jahres lancierte der Spielehersteller "Kuma Reality Games" ein Game namens "War on Terror", das auf echten Militäroperationen im Irak und in Afghanistan basierte. Das Computerspiel "America's Army" von der US-Armee wurde mehr als 17 Millionen mal aus dem Netz geladen.

Der Boom der Military Culture

Quelle:www.thedonovan.com

Gut möglich, dass der Boom der Military Culture in manchen der jüngeren Zuschauer Begeisterung für die Armee erweckt. Tatsächlich würde es einen Zusammenhang zwischen den Zahlen der Rekrutierungswilligen und der positiven Darstellung des Militärs in den Medien geben, behauptet zumindest David Robb, der Autor des Buches "Operation Hollywood: "How the Pentagon Shapes and Censors Movies", das letztes Jahr erschienen ist. Immer dann, wenn positive Bilder von der Armee in Kinofilmen oder im Fernsehen gezeigt werden, würden die Rekrutierungszahlen "Gipfelwerte" erreichen.

Der damit einhergehende Vorwurf, Hollywood würde die Realität falsch wiedergeben, sie verzuckern, ist so alt wie Hollywood selbst. Neu an allen amerikanischen Film-und Fernsehserienproduktionen, die den Irakkrieg thematisieren, die "Anti-War"-Streifen von Michael Moore und anderen eingeschlossen, ist, dass die Soldaten, die im Irak kämpfen, von (harter) Kritik verschont bleiben. Während die Anti-War-Fraktion im Vietnamkrieg allmählich eine antimilitärische, antisoldatische Einstellung entwickelte, seien die neuen Filme "pro-soldier", so Bing West, der Drehbuchautor von "No True Glory: The Battle for Fallujah".

"Das Einzige, worüber wir uns nicht lustig machen, sind die Soldaten"

Dem schließt sich auch das Bekenntnis von Tim Robbins an. "Das Einzige, worüber wir uns nicht lustig machen, sind die Soldaten", so der bekannte Kriegsgegner, der mit "Embedded" eine Filmsatire über den Irak gemacht hat. Das Paradigma, das für den Vietnam-Krieg gültig war, dass Kritik am Krieg gleichzusetzen sei mit der Kritik an den Truppen, wie es Falken gerne darstellten, gelte für den Konflikt im Irak nicht mehr, stellte der New York Times Autor Frank Rich Ende Januar fest:

Die Amerikaner, einschließlich der Kriegsgegner, lieben die Truppen (Lynndie England immer ausgeschlossen).

Ein Blick in die dezidiert gegen den Krieg argumentierenden Blogs von Juan Cole oder Today in Iraq kann dies auch Zweiflern bestätigen.

"Gunners Palace"

Während den großen "Salut the Troops"-Patrioten peinliche Fehler unterlaufen, wie etwa bei den Festivitäten zum Amtsantritt des wieder gewählten Präsidenten Ende Januar, wo sich amputierte Irakkriegsversehrte beim "Heroes Red, White and Blue Inaugural Ball" Stimmungsmacher wie "Clap your Hands" und "Dance to the Beat" anhören durften, wie von der Washington Post berichtet, werden eher unsentimentale Dokumentationen der Realität der Soldaten im Irak gerechter, so Frank Rich. Als leuchtendes Beispiel dafür führt er die Dokumentation "Gunner Palace" an, die momentan als Preview durch verschiedene Städte mit Militärbasen in den USA tourt.

Teil 2. Die Dokumentation "Gunner Palace" und Soldatenblogs.