Fünf Parteien suchen eine Regierung
Nach der Landtagswahl steht Hessen vor schwierigen Verhandlungen
Große Koalition, Schwarz-Grün oder doch Rot-Rot-Grün? Nach der Hessischen Landtagswahl dürfte die zentrale Frage der Regierungsbildung noch längere Zeit offen bleiben. Wie sich das Fünfparteien-Parlament aus CDU (38,3 Prozent), SPD (30,7), Grünen (11,1), Linken (5,2) und FDP (5,0) letztlich arrangiert, hängt von der Kompromissbereitschaft der Personen und Programme ab. Allein die AfD (4,0) bekam einen klaren Wählerbescheid: sie wird in der kommenden Legislaturperiode nicht gebraucht.
Spitzenkandidaten und Ehrenworte
Jahrzehntelang sorgten die Hessischen Landtagswahlen auch bundesweit für Schlagzeilen. 2013 hielt sich das (überregionale) Interesse in Grenzen - und das nicht nur, weil zeitgleich auch im Bund die Karten neu gemischt wurden. Thematische Kontroversen waren zwar reichlich vorhanden, traten aber nur selten zutage, da alle Parteien bemüht waren, sich angesichts einer schwierigen Gemengelage möglichst viele Optionen offenzuhalten.
Amtsinhaber Volker Bouffier (CDU) versuchte zehn Tage vor dem Urnengang, den rüden Lagerwahlkampf vergangener Jahre noch einmal aufleben zu lassen. Angriffslustig wie ein Oppositionsführer verlangte er im TV-Duell von Herausforderer Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD) ein ultimatives Ehrenwort, falls dieser tatsächlich nicht beabsichtige, sich mit den Stimmen der Linkspartei zum Ministerpräsidenten wählen zu lassen.
Sein Kontrahent, der eine Zusammenarbeit zwar "politisch", nicht aber "formal" ablehnen wollte, machte in diesen Minuten keine gute Figur, bewegte sich ansonsten aber auf Augenhöhe mit einem Ministerpräsidenten, der sich schon lange nicht mehr als reizbarer Hardliner präsentiert, sondern tagaus tagein den besorgten Landesvater gibt. Dumm nur, dass Bouffier wenige Tage später sein eigenes Wort verpfänden musste, um die Annäherungsversuche an die AfD wieder ins rechte Licht zur rücken.
Wie auch immer: viele Zuschauer mochten schon beim TV-Duell den Eindruck haben, dass die von den Kontrahenten mit großem Aufwand beschworenen Unterschiede in der Wirtschafts-, Steuer-, Umwelt- oder Bildungspolitik im koalitionären Praxistest auf Undefinierbares zusammenschmelzen könnten. Umso bemerkenswerter war am Sonntagabend der deutliche Anstieg der Wahlbeteiligung um rund 12 Prozent.
Die Grünen, die FDP und die Verspargelung der Landschaft
Auch die bis dato zweitgrößte Oppositionspartei bekannte sich ausdrücklich zur Nicht-Ausschließeritis und bereitete die Wählerinnen und Wähler so langfristig auf möglicherweise erhebliche programmatische Abstriche vor. Andere Konstellationen als Rot-Grün bezeichnete Tarek Al-Wazir zwar als "schwierig", aber "aus Prinzip" als durchaus möglich: "Wenn alle alles ausschließen, dann kann es passieren, dass am Ende nichts mehr geht", erklärte der Grünen-Chef eine Woche vor der Wahl. Spitzenkandidatin Angela Dorn ergänzte am Sonntagabend: "Wir haben noch nie etwas ausgeschlossen. Wir werden das auch weiter nicht tun."
Wer sein Kreuz bei den anpassungsfähigen Bündnisgrünen machte, konnte also nicht wissen, wer im Erfolgsfall noch auf der Regierungsbank Platz nehmen würde.
Die FDP wusste immerhin, dass sie dort unbedingt bleiben und keinesfalls mit Rot-Grün zusammenarbeiten wollte, hatte ansonsten aber kaum mehr zu sagen als im Rest der Republik. Aus programmatischer Verzweiflung widmeten sich die selbsternannten Liberalen deshalb einem Lieblingsthema der Konkurrenz. Was die FDP, die sich trotz schlechter Regierungsbilanz ins neue Parlament retten konnte, über Schattenschlag, Bedrängungswirkungen, Anlagenwildwuchs, die Verspargelung der Landschaft und eine Mindestwindgeschwindigkeit von 5,75 m/s denkt, spielt nun allerdings wohl keine Rolle mehr.
Erfolge der Linken?
Für die Linkspartei, deren Kooperationsbereitschaft 2008 die politische Karriere von SPD-Spitzenkandidatin Andrea Ypsilanti durchkreuzte, ist das Projekt Westdeutschland offenbar noch nicht beendet. Die Flügel hatten sich im Wahlkampf um Geschlossenheit bemüht und in einem leicht bizarren, aber offenkundig erfolgreichen Vorstoß versucht, auf zurückliegende Erfolge hinzuweisen.
Simon Zeise, Bundesgeschäftsführer des SDS-Studierendenverbandes, nannte da beispielsweise "die Abschaffung der Studiengebühren, Reden im Landtag anlässlich des Jubiläums der Ermordung Rosa Luxemburgs oder die Mobilisierung der Blockupy-Proteste" - als handele es sich hier um politische Vorhaben, die ausschließlich von der Linkspartei verantwortet wurden. Kurz vor dem Urnengang setzte das Team um Janine Wissler auf Hilfe aus Berlin (Sahra Wagenknecht) und Griechenland (Alexis Tsipras), um nicht das zu erleben, wovor der Vorsitzende der Bundestagsfraktion so eindringlich gewarnt hatte:
Hessen hat eine herausragende Bedeutung für die Gesamtpartei. Wenn wir in Hessen nicht in den Landtag kommen, dann müssen wir, was die alten Bundesländer betrifft, einige Fragen noch einmal grundsätzlich stellen und diskutieren.
Dietmar Bartsch
Und nun?
Eine grundsätzliche Diskussion würde der Linken sicher nicht schaden, aber geredet wird in den nächsten Tagen und Wochen auch bei den anderen Parteien. SPD und Grüne möchten zunächst miteinander sprechen. Dabei wird es wohl vor allem um die Frage gehen, ob man sich in Anbetracht der komplexen Gesamtlage nicht doch auf eine Zusammenarbeit mit der Linkspartei verständigen sollte. Immerhin bedeutet deren Einbeziehung für beide Wunschpartner nicht nur die einzige realistische Machtoption, sondern auch die einzige Chance, eine vom bisherigen Regierungslager substanziell abweichende Programmatik durchzusetzen.
Volker Bouffier erhebt als Vorsitzender der mit Abstand stärksten Partei einen Gestaltungsanspruch, der in absehbarer Zeit genutzt werden muss, um bei Sozialdemokraten oder Grünen Ersatz für den ausgefallenen Koalitionspartner zu finden. Zwar darf die CDU zunächst geschäftsführend weiterregieren - und die 18. Legislaturperiode des Hessischen Landtags endet erst Mitte Januar 2014. Die Union ist aber der Gefahr ausgesetzt, durch eine lange Hängepartie den Eindruck fehlender Gestaltungskraft zu vermitteln.
Ausgeschlossen scheint nach derzeitigem Stand allein die Ampelkoalition, der die FDP vor der Wahl eine eindeutige Absage erteilte. Sie dürfte auch für Rot-Grün keine ernsthafte Alternative sein.
Unter den gegebenen Umständen ist es gut möglich bis sehr wahrscheinlich, dass die "hessischen Verhältnisse" bald wieder jede Menge Schlagzeilen produzieren.