Für Gott, Schusswaffen und Marihuana
Kanye West hat seinen Präsidentschaftswahlkampf eröffnet
Am 4. Juli, dem amerikanischen Unabhängigkeits- und Nationalfeiertag, gab der Rapper Kanye West bekannt, dass er bei der Präsidentschaftswahl im November antreten werde. Eingerahmt von der Verlautbarung, man müsse jetzt "das Versprechen Amerikas realisieren", indem man "Gott vertraut, unsere Vision vereint und unsere Zukunft baut". Am 15. Juli bestätigte die Federal Election Commission, dass West sich auch offiziell bewarb - als Kandidat einer BDY-Party. Eine Abkürzung, die für "Birthday Party" steht.
Nun hat er im Exquis Event Center in Charleston im US-Bundesstaat South Carolina seine erste Wahlveranstaltung abgehalten - in einer kugelsicheren Weste und vor geladenen Gästen, die Corona-Masken tragen mussten. Trotz dieser Vorsichtsmaßnahmen meinte der Rapper, der sich die Zahl "2020" ins Haupthaar rasieren ließ, er "riskiere nun [sein] Leben für die Wahrheit". Aber jemanden zu haben, der sich nur vor Gott fürchte, sei "eine neue Welt".
Abtreibung
Gott spielt eine große Rolle im Wahlkampf des Kandidaten, der sich die weiße christliche Lebenshilfeberaterin Michelle Tidball zu seiner Vizepräsidentschaftskandidatin erwählte. Das zeigte sich unter anderem am Thema Abtreibung, zu dem der Rapper unter Tränen meinte, sein Vater hab vor seiner Geburt auf eine Schwangerschaftsunterbrechung gedrängt, weil er "zu beschäftigt" gewesen sei - aber seine Mutter habe ihm damals "das Leben gerettet".
Danach erklärte West, auch er selbst habe "fast [s]eine Tochter getötet", als die damals noch nicht mit ihm verheiratete Kim Kardashian mit ihr schwanger war. Er habe aber rechtzeitig ein Zeichen Gottes erhalten, worauf hin er die armenischstämmige Anwaltstochter anrief und ihr sagte: "Wir werden dieses Kind haben!" Das alles, so West, erzähle er jetzt, obwohl ihm andere Leute davon abgeraten hätten, darüber öffentlich zu reden. Danach stellte er klar, dass er zwar nicht für eine Strafandrohung bei Abtreibung sei, aber glaube, man müsse Frauen, die vor so einer Entscheidung stehen, stärker unterstützen. Die "Maximalsteigerung" wären "eine Million Dollar oder etwas in diesem Bereich".
Wie Wests Vergangenheitsschilderungen beim Wähler ankommen, ist noch unklar. Kulturgeschichtlich spricht aber einiges dafür, dass sie ihm eher nützen als schaden: Das Motiv des bekehrten Sünders, des "verlorenen Sohnes", ist vor allem im US-Christentum sehr präsent - und von Edmee Chavannes Vorwurf, der "Schwarzenkiller Nummer Eins" sei die für Abtreibungsbeihilfe bekannte Organisation Planned Parenthood, bis hin zum robust unangreifbaren Slogan Baby Lives Matter bewegt das Thema in den USA gerade wieder mehr Gemüter als in den letzten Jahren. Dazu hat auch West selbst beigetragen, als er dem Forbes-Magazin letzten Monat sagte, die Abtreibungseinrichtungen von in den amerikanischen Städten existierten, weil "weiße Suprematisten das Werk des Teufels verrichten".
Zwischen zwei und acht Prozent
Aus dem biblischen Gebot "Du sollst nicht töten" leitet West aber nicht nur eine Gegnerschaft zur Abtreibung ab, sondern auch eine zur Todesstrafe. Ein Verbot, Waffen zu tragen, kann der Rapper der Heiligen Schrift dagegen nicht entnehmen, weshalb er für die Beibehaltung des Rechts auf privaten Waffenbesitz eintritt. Ebenso wie für ein Recht auf den Besitz von Marihuana. Damit verbindet er zwei Positionen, die die großen Parteien in den USA zwischen sich aufgeteilt haben.
Bei einem anderen gerade viel diskutierten Thema versucht er, eine vermittelnde und versöhnende Position einzunehmen: Er beteiligte sich an Protestveranstaltungen gegen Polizeibrutalität und übernahm die College-Gebühren von George Floyds Tochter, spendete aber auch zwei Millionen Dollar für die Opfer der Plünderungen und Brandstiftungen und stellte öffentlich klar, dass "auch Polizisten Menschen sind".
Mit diesen Positionen bringt es der Rapper in den Umfragen bislang auf Stimmenanteile zwischen zwei und acht Prozent. Ob er aus dieser Position heraus die Wahlen im Herbst gewinnen kann, scheint fraglich. Auch deshalb, weil er bislang nur in Oklahoma zugelassen wurde, aber in Indiana, New Mexico, North Carolina - und vor allem im großen und einwohnerreichen Texas - die Zulassungsfristen versäumt hat. Aber er könnte ohne weiteres jene Rolle spielen, die Ross Perot oder Ralph Nader in vergangenen Wahlkämpfen spielten: Sie kosteten jeweils einer der großen Parteien mehr als der anderen und bestimmten dadurch indirekt den Sieger mit.
Übung für 2024?
Für Ross Perot stimmten 1992 viele Wähler, die sich sonst vielleicht für George Bush senior entschieden hätten. Für Ralph Nader waren es 2000 solche, die sich nicht mit dem demokratischen Kandidaten Al Gore anfreunden konnten. Ob Kanye West dem Demokraten Joseph Biden oder dem Republikaner Donald Trump mehr Stimmen kostet, muss sich noch herausstellen. In der Vergangenheit neigte er mal dem einen, mal dem anderen Lager zu: Er brachte sich erst selbst als Vizepräsidentschaftskandidat von Hillary Clinton ins Gespräch und posierte später mit Make-America-Great-Again-Mütze.
Vor allem aber präsentierte er sich immer wieder als Nonkonformist und Individualist. Als solcher könnte er 2024, bei der übernächsten Präsidentschaftswahl, auch von den Republikanern aufgestellt werden, bei denen Donald Trump das Parteiestablishment aufgebrochen und für Außenseiter und Quereinsteiger wie ihn selbst geöffnet hat. West thematisierte das in einem seiner Stücke mit den Worten: "I know Obama was heaven-sent, but ever since Trump won, it proved that I could be president."
Wie auch Trump ist West keiner der etablierten Politiker (die viele Wähler abstoßen), verfügt aber über eine enorme Bekanntheit. Nicht zuletzt deshalb, weil er in den außergewöhnlich fernseh- und boulevardbekannten Kardashian-Clan eingeheiratet hat. Und so wie Trump den Republikanern vorher unerreichbar erscheinende Arbeiterstimmen aus dem Rust Belt sicherte, könnte West ihnen Stimmen von Schwarzen sichern.
Tritt Kanye West 2024 bei den Republikanern an, und schafft er es durch die Vorwahlen, könnte sich die interessante Situation ergeben, dass ein Schwarzer, der kein Opfer sein will, gegen eine blonde und blauäugige Frau antritt, die ihren Vorsprung bei der Opfer-Olympiade eher großzügig interpretierte: Elizabeth Warren (vgl. 1/64 bis 1/1.024 Indianerin).
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