Für Tempolimit fehlen Volker Wissing die Schilder

Bild: Felix Müller auf Pixabay

Erfolgreiche Petition für allgemeine Geschwindigkeitsbegrenzung. Zustimmung bei SPD und Grünen, FDP dogmatisch. Verkehrsminister um keine Ausrede verlegen.

Der Bundestag wird sich mit der Forderung nach einem allgemeinen Tempolimit befassen müssen. Eine entsprechende Eingabe, die sich außerdem für autofreie Sonntage sowie und ein Verbot von Inlandsflügen einsetzt, hatte am vergangenen Montag, einen Tag vor Ablauf der gesetzlichen Frist, das nötige Quorum von 50.000 Unterschriften erreicht. Am Freitagmorgen waren es bereits mehr als 65.000 Unterstützer. Damit muss sich der Petitionsausschuss des höchsten deutschen Parlaments mit der Thematik beschäftigen. Wegen der Dringlichkeit wird die Angelegenheit in den kommenden zwei bis drei Wochen behandelt.

Antragsteller sind der Klimaschützer Tino Pfaff und die Mobilitätsexpertin Katja Diehl, die mit ihrem Buch "Autokorrektur" seit Wochen unter den Spiegel-Bestsellern gelistet ist. "Ich erwarte eine Debattenverstärkung und, dass der Druck auf die Regierung zunimmt", äußerte sich Pfaff unter der Woche gegenüber dem Berliner Tagesspiegel. Er und seine Mitstreiterin machen sich für Geschwindigkeitsbeschränkungen von 100 Stundenkilometern auf Autobahnen, 80 Km/h außer- und 30 Km/h innerorts stark.

Die beiden Aktivisten sehen insbesondere Bündnis 90/Die Grünen in der Bringschuld. Hochrangige Parteivertreter, darunter die Co-Parteichefin Ricarda Lang und Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann hatten sich zuletzt für ein mindestens befristetes Tempolimit von 130 Km/h auf Autobahnen ausgesprochen. Auch innerhalb der SPD melden sich immer mehr Befürworter der Maßnahme zu Wort, darunter der Bundestagsabgeordnete Sebastian Roloff und die Landesvorsitzenden von Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein, Thomas Kutschaty und Thomas Losse-Müller.

Liberale Bremser

Zur Bundestagswahl waren die Sozialdemokraten wie auch die Grünen noch mit dem Versprechen eines generellen "Tempolimits von 130 Kilometern pro Stunde auf Bundesautobahnen" angetreten, was wegen des Widerstands der FDP nicht Eingang in den Koalitionsvertrag fand. Angesichts der im Gefolge des Ukraine-Krieg massiv in die Höhe geschnellten Energie- und Spritpreise wirkt die Abwehrhaltung der Liberalen gegen einen in jeder Hinsicht vernünftigen Schritt jedoch wie aus der Zeit gefallen.

In ihrem Dogmatismus – wie üblich Ausdruck einer strammen Klientelpolitik –, scheuen die Freidemokraten keine Peinlichkeit. So ließ sich etwa vor drei Wochen ihr Fraktionschef im Bundestag, Christian Dürr, damit zitieren, "die Auswirkungen einer solchen Maßnahme auf unsere Energiereserven wären gleich null".

Das Umweltbundesamt (UBA) kalkuliert dagegen bei einem Tempolimit von 100 Km/h auf Autobahnen und 80 Km/h auf Landstraßen mit jährlichen Einsparungen von 2,1 Milliarden Litern an Sprit, was 3,8 Prozent der im Verkehrssektor verbrannten Kraftstoffe entsprechen würde. Hielten sich tatsächlich alle Fahrer an die Vorgaben, stiege der Nutzen demnach sogar um weitere 20 Prozent.

Weniger Sprit, weniger Treibhausgase

Die Petitionsführer Pfaff und Diehl rechnen unter Rückgriff auf eine Studie der Umweltschutzorganisation Greenpeace mit einem Einsparpotenzial von 13,4 Millionen Tonnen an fossilen Brennstoffen oder 30 Millionen Tonnen CO2, sollte ihr Komplettpaket aus zehn kurzfristig zu beschließenden Rezepten umgesetzt werden.

Neben besagten Punkten umfasst dieses unter anderem die kostenlose Nutzung des öffentlichen Personennahverkehrs (ÖPNV) für drei Monate, die Einrichtung von Pop-Up-Radwegen, ein Sofortprogramm für Sammeltaxis auf dem Land sowie ein Ende der staatlichen Förderung von Plug-in-Hybrid-Fahrzeugen.

Nach den Worten von Pfaff sind die Grünen "in der Pflicht, sich da jetzt gegen die FDP durchzusetzen". Als ökologische Partei müssten "sie nicht liberale Ideologien verteidigen". Zu den Mitunterzeichnern zählt auch Luisa Neubauer von Fridays For Future. Dem Tagesspiegel sagte sie: "Es ist Klimakrise, es ist Krieg und wir müssen die Regierung mit aller Kraft auf allen Wegen selbst zu Minimalmaßnahmen wie einem Tempolimit überreden."

Dagegen glaubt sich der verkehrspolitische Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion, Bernd Reuther, gegen "Symbolpolitik" wehren zu müssen. Diese helfe "uns nicht weiter und verfehlt das eigentliche Ziel", gab ihn das Blatt wieder.

Einsicht selbst beim ADAC

Mit diesem Starrsinn steht die Wirtschaftspartei inzwischen ziemlich allein auf weiter Flur. Mit dem Auto Club Europa (ACE) hatte schon Ende März der nach Mitgliederzahlen zweitgrößte Automobilklub in Deutschland ein befristetes Tempolimit von 100 Km/h auf Autobahnen empfohlen.

"Das wäre ein starkes gemeinsames Signal, die Wichtigkeit zur Einsparung von Energie sichtbar zu machen", erklärte damals Verbandschef Stefan Heimlich. Bereits 2019 hatte der ACE per Beschluss der Hauptversammlung für ein "dauerhaftes Tempolimit von 130 Km/h" plädiert.

Selbst der Marktführer ADAC ließ 2020 durchblicken, seine Fundamentalopposition in der Frage überdenken zu wollen. Passend dazu befand Michael Kosemund, neuer Verbandsvorsitzender für Niedersachsen/Sachsen-Anhalt vor vier Tagen im Interview mit der Bild-Zeitung: "Die Akzeptanz für ein Tempolimit wird größer werden."

Womit er Recht hat. Ein Umfrage des YouGov-Instituts aus der Vorwoche hatte eine Zustimmung zu einer generellen Geschwindigkeitsbegrenzung von 130 Km/h auf Autobahnen bei 57 Prozent der über 2.000 Befragten ergeben. Selbst unter den FDP-Anhängern votierten nur 52 Prozent dagegen.

Verkehrsminister erfindungsreich

Bei einer solchen Stimmungslage bedarf es "guter" Argumente, um dem Druck der Straße standzuhalten. Im Bundesverkehrsministerium ist das Chefsache von Volker Wissing (FDP). Der hatte Anfang April im Gespräch mit der Hamburger Morgenpost den Vorstoß der Grünen für ein Tempolimit auf Zeit mit dem Mangel an Verkehrsschildern gekontert. Wollte man das umsetzen, müsste man diese erst aufstellen, "wenn man das für drei Monate macht und dann wieder abbauen", was ein "erheblicher Aufwand" wäre, und außerdem: "So viele Schilder haben wir gar nicht auf Lager."

Das beweist zwar mehr Einfallsreichtum als die steile These seines Amtsvorgängers Andreas Scheuer (CSU), ein Tempolimit sei "gegen jeden Menschenverstand", beißt sich aber kein bisschen weniger mit der Wirklichkeit. Zum Glück kann Wissing auf Aufklärung seitens der Deutschen Umwelthilfe (DUH) bauen. Die Maßnahme erfordere "nicht mehr, sondern deutlich weniger Verkehrsschilder" teilte der Verband umgehend mit.

FDP kann man nicht helfen

So genüge es, an den Grenzübergängen Hinweisschilder durch Folienaufkleber zu aktualisieren und solche mit einer höheren Angabe als Tempo 100 zu verhüllen, ebenso die zur Aufhebung der Geschwindigkeitsbeschränkung. Für die Straßenmeistereien gehöre dies zur täglichen Arbeit, bemerkte DUH-Geschäftsführer Jürgen Resch gegenüber dem Bayerischen Rundfunk (BR). Falls erwünscht, packe die DUH innerhalb von vierzehn Tagen gemeinsam mit Freiwilligen beim Verhüllen und Bekleben mit an.

Von einer Rückmeldung Wissings ist nichts bekannt. Dafür torpediert er munter die Planungen der Ampelkoalition, ein auf drei Monate begrenztes Neun-Euro- Ticket für den ÖPNV aufzulegen. Als FDP-Mann kann man einfach nicht aus seiner Haut.

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