Für die Lebenserwartung sollen genetische Faktoren kaum eine Rolle spielen

Der Jungbrunnen von Lucas Cranach dem Älteren. Bild: gemeinfrei

Nach einer Untersuchung von Stammbäumen könnten ähnliche Lebensspannen in Familien eher durch soziokulturelle Faktoren und eine assortative Partnerwahl geprägt werden

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Normalerweise geht man davon aus, dass die Länge der Lebensspanne eines Menschen von der Geburt bis zum Tod vor allem genetisch bedingt ist, wobei allerdings viele Faktoren wie Erkrankungen, Unfälle, Konflikte, Umweltbelastungen, Naturkatastrophen, das eigene Verhalten und vieles mehr hereinspielt. Für das Altern selbst und für viele Erkrankungen geht man jedoch von starken genetischen Einflüssen aus, auch wenn im gegenwärtigen Gesundheits-Optimierungskult dem Glauben gefolgt wird, dass sich die Lebenserwartung durch eine entsprechend "gesunde" Lebensführung verlängern ließe.

Auch wenn vielfach noch davon ausgegangen wird, dass Langlebigkeit in Familien genetisch bedingt ist, gehen Schätzungen über den genetischen Einfluss jedoch oft nur von einem Anteil von 15-30 Prozent aus. Wissenschaftler der Firmen Calico Life Sciences, die mit Google zusammenhängt und Altersforschung betreibt, und Ancestry, eine Online-Plattform für die Ahnenforschung, haben nun aus den Daten von Hunderten von Millionen historischen Menschen in den öffentlichen Stammbäumen von Ancestry versucht, die Vererbbarkeit von Langlebigkeit abzuschätzen. Es liegen Daten von 54 Millionen Stammbäumen über 6 Milliarden Verwandte und Ahnen vor. Die Studie wurde in der Zeitschrift Genetics veröffentlicht.

Bislang sei die Erblichkeit vor allem auf der Grundlage genetisch Verwandter erfolgt, aber es habe sich gezeigt, dass die Korrelation auch zwischen nicht-genetisch Verwandten, also etwa zwischen Ehepaaren, feststellbar war. Daraus leiteten die Wissenschaftler ab, dass sich Partner wählen könnten, die im Hinblick auf Langlebigkeit nach genetischen und Umweltfaktoren ähnlich sind. Das nennt man eine assortative Paarung in der Evolutionstheorie.

Untersucht wurden aufgrund der Hypothese die Daten von über 470 Millionen Personen, für die Eltern-Kind- oder Ehepaar-Verhältnisse vorliegen. Singles und Personen, bei denen die Verhältnisse nicht klar waren oder Geburts- und Sterbedaten nicht vorhanden oder nicht sicher waren, weil sie beispielsweise aufgerundet wurden, wurden ausgeschlossen. Ab etwa 1800 wurden die Daten genauer erfasst, daher beschränkte man die Untersuchung auf die Geburtengänge zwischen 1800 und 1920. Nach 1920 würden die Sterbedaten schnell abnehmen, weil die Menschen vielleicht noch leben oder ihr Tod von den Verwandten nicht in die Ancestry-Datenbank eingetragen wurde. Die überwiegende Zahl der Geburtsorte im 20. Jahrhundert lagen in den USA, im oder vor dem 19. Jahrhundert in Europa, so dass sich die Analyse weitgehend auf Amerikaner mit europäischer Herkunft beschränkt.

Berücksichtigt wurden drei Variablen: die vererbbare Varianz, also die phänotypische Varianz aus vererbbaren genotypischen und soziokulturellen Faktoren; der Verwandtschaftskoeffizient, also das Maß an Übereinstimmung der genotypischen und soziokulturellen Faktoren, die von Eltern an ein Kind weitergegeben werden; und der assortative Paarungskoeffizient, der die Korrelation zwischen latenten genetischen und soziokulturellen Eigenschaften der Partner beschreibt.

Genetische Faktoren sollen nur 7 Prozent zur Lebenserwartung beitragen

Für die phänotypische Varianz, also eine genetische Komponente, wurden Geschwister und Cousins ersten Grades, die im Abstand von höchstens 10 Jahren geboren wurden, betrachtet. Nach den Berechnungen der Wissenschaftler liegt der Anteil der genetischen Vererbung für Langlebigkeit bei 7 Prozent, jedenfalls deutlich unter 10 Prozent. Die Genetik spielt also eine gewisse Rolle, aber weitaus weniger, als bislang angenommen wurde, wenn die Analyse zutrifft.

Ähnlich hoch wie die Lebenserwartung bei genetisch Verwandten lag sie bei Ehepartnern. Das könne zwei Gründe haben, schreiben die Wissenschaftler. Beide leben über lange Zeit in derselben Umgebung und/oder die assortative Partnerwahl, durch die persönliche, kulturelle, sozioökonomische und genetische Faktoren an die Nachkommen weitergegeben werden. Jedenfalls lag der Anteil der assortativen Partnerwahl und des Verwandtschaftskoeffizienten bei über 80 Prozent. Der Anteil des Lebens in einem gemeinsamen Haushalt soll den des Verwandtschaftskoeffizienten, also der übertragbaren Merkmale, deutlich übersteigen.

Auch mit anderen statistischen Verfahren habe sich der hohe Anteil der assortativen Partnerwahl jeweils weiter über 50 Prozent bestätigt, während der der genetischen Faktoren unter 10 Prozent bleibt. Aber auch die Lebenserwartung von angeheirateten Geschwistern und Cousins ersten Grades ist ähnlich hoch, was sich auch auf Onkeln und Tanten erstreckt. Das verstärkt die These, dass die Partnerwahl wichtiger sein könnte, als die gemeinsame Lebenswelt.

Bekannt ist die enorme Auswirkung des sozioökonomischen Status auf die Lebenserwartung. Zwischen den ärmsten und den reichsten Schichten einer Gesellschaft kann der Unterschied viele Jahre betragen, in den USA bis zu 20 Jahren, in Deutschland bis zu 10 Jahren. Sozioökonomischer Status umfasst viele Komponenten vom Einkommen über den Lebensstil, die Ausbildung und die Arbeit bis hin zur Wohnumgebung. Paare und deren Kindern leben in derselben Umwelt, weswegen deren Merkmale auch unabhängig von der Genetik horizontal zwischen den Ehepartnern und vertikal zu den Kindern übertragen werden. In der Partnerwahl werden oft Partner aus einer ähnlichen sozioökonomischen Schicht ausgewählt, aber auch mit einigen ähnlichen genetischen Merkmalen wie die Körpergröße, die wiederum ein wenig mit der Lebenserwartung zu tun haben.

Die Wissenschaftler sagen allerdings, dass sich im Analysezeitraum die Lebensbedingungen - und auch die Lebenserwartung - stark verändert haben. Wenn man nicht mehr nahe Verwandte betrachtet, sondern solche, deren Geburtsjahre bis zu 60 Jahre auseinanderliegen, dann nimmt der Anteil der übertragbaren Varianz stark ab. Das kann von vielen Faktoren abhängen, also von Hygiene, Ernährung, Arbeitsverhältnissen, Luftqualität, neuen Lebensstilen etc., weswegen die Wissenschaftler davon ausgehen, dass "übertragbare genetische und soziokulturelle Faktoren das Überleben in bestimmten historischen Umwelten geprägt haben, aber nicht etwas so Fundamental wie die Geschwindigkeit des menschlichen Alterns".