"Für die Rückzahlung der Schulden wird die Demokratie ausgehöhlt"
Gespräch mit Werner Rügemer über den Anteil der Rating-Agenturen an der Euro-Krise und die "Debtocracy". Teil 2
Durch eine fragwürdige Gesetzgebung wurden die Rating-Agenturen von politischer Seite in eine Machtposition erhoben, welche sie als Teile des Finanzkapitals prompt gegen die Staaten ausnützen. Gleichzeitig wird nicht nur in Deutschland über die "Schuldenbremse" mit Nachdruck daran gearbeitet, die Handlungsmacht des Staates noch einmal drastisch zugunsten jener Akteure zu reduzieren, welche für die Finanzkrise verantwortlich sind und auch weiter von ihr profitieren. Teil 2 des Gesprächs mit Werner Rügemer über sein neues Buch Rating-Agenturen. Einblicke in die Kapitalmacht der Gegenwart.
Welche Rolle spielen die Agenturen bei der Euro-Krise?
Werner Rügemer: Diese Krise haben sie mitverursacht wie andere Finanz- und Wirtschaftskrisen auch. Ein Beispiel: In den Jahren 1999 bis 2001 half die US-Investmentbank durch diverse Tricks der griechischen Zentralbank, die hohen griechischen Staatsschulden auf das Maß herunterzudrücken, das den Maastricht-Kriterien entsprach und deshalb Griechenland in die Eurozone aufgenommen werden konnte. Dabei wurden beispielsweise die Gebühren des Flughafens Athen der nächsten 30 Jahre verkauft - so kam kurzfristig Geld in die Staatskasse. Dass damit aber langfristig eine Einnahmequelle trockengelegt wurde, interessierte damals weder die EU noch die griechische Regierung noch die Kreditgeber.
Denn auf dieser getricksten Grundlage gaben die Agenturen Griechenland in den Folgejahren gute Noten und die Kredite von Deutscher Bank, Société Générale und Goldman Sachs flossen nach Griechenland. Auch die traditionelle Steuerflucht der griechischen Eliten ließ man weiterlaufen. Gleichzeitig ließ man die weit über dem EU-Durchschnitt liegenden Rüstungskäufe der korrupten griechischen Regierungen nicht nur zu, sondern förderte sie. Dass das nach wenigen Jahren zu einer erneuten hohen Verschuldung führen musste, war jedem klar.
Erst im letzten Moment schalteten die Agenturen um und vergaben ab 2010 plötzlich schlechte Noten. Die Zinsen stiegen, die Kreditgeber freuten sich. Die von den Agenturen routinemäßig auch vorgeschlagenen "Spar"maßnahmen eröffnen den Finanzakteuren und Konzernen neue Geschäftsfelder: Aufkauf öffentlicher Unternehmen zum Schnäppchenpreis und ähnliches.
Warum wurde überhaupt das US-Ratingsystem auch für die EU und Deutschland eingeführt?
Werner Rügemer: Das ist eben die vielberedete "Globalisierung": US-Interessen und US-Strukturen wurden weltweit etabliert. Auch daran wird auch deutlich, wie die wirklichen Machtverhältnisse heute beschaffen sind. Das gilt eben nicht nur für den militärischen Bereich.
"Insider-Beziehungen und Verfilzung"
Sie schreiben in Ihrem Buch, dass die Arbeitsweise der Agenturen auf eine "kriminogene Situation" hindeute. Was bedeutet das?
Werner Rügemer: "Kriminogene Situation" bedeutet: Die Umstände erleichtern, fördern kriminelles Handeln, laden sogar dazu ein. Der Staat duldet, schützt das sogar. Das heißt, dass man nicht unbedingt kriminell werden muss, dass es aber eines starken Charakters und eines eigenen, gefestigten demokratischen Wertgefüges bedarf, um nicht kriminell zu werden. Die Bezahlung der Agenturen durch die Verkäufer der Kredite und Finanzprodukte habe ich schon genannt.
Die Agenturen verkaufen nicht nur Ratings, sondern gleichzeitig auch viele weitere Dienstleistungen wie Design von strukturierten Finanzprodukten, Kredit- und Risikoanalysen, Marktrecherchen, Finanzsoftware und Training an dieselben Kunden. Das fördert die Insider-Beziehungen und die Verfilzung. Dazu kommt das "Shopping and Hopping": Wenn zum Beispiel Goldman Sachs bei der einen Agentur nicht schnell ein gutes Rating bekommt, geht die Bank eben zur nächsten, die sich darauf einlässt, weil sie im scharfen Konkurrenzkampf mit den anderen Agenturen jeden neuen Auftrag gern übernimmt und ihn im Interesse des Kunden so ausführt, dass der nicht zur übernächsten Agentur weiterläuft.
Des weiteren haben nicht nur die Eigentümer der Agenturen, sondern auch sie selbst, ihre juristischen Sitze in den wichtigsten Finanzoasen wie Delaware und Cayman Islands. Hier können wichtige Transaktionen versteckt werden. Transparenz und Amtshilfe für andere Staaten und für Kunden gibt es nicht. Zu den kriminogenen Bedingungen gehört auch die staatlich geförderte, vollständige Haftungsfreistellung. Schließlich trägt auch die staatliche Beauftragung in Verbindung mit der Nicht-Aufsicht ein kriminogenes Element in sich: Die Agenturen können sich ihre Bewertungskriterien selbst stricken. Ich nenne das wie andere Autoren auch "regulatory capture": staatliche Komplizenschaft; die Aufsicht deckt die Tätigkeit des Beaufsichtigten.
Sie beschreiben in Ihrem Buch die "Debtocracy": Können Sie uns das kurz darlegen?
Werner Rügemer: Die Tätigkeit der Agenturen führt in Abstimmung mit den Finanzakteuren zu einer Situation, in der sich die Vorherrschaft der Finanzakteure über Staat und Wirtschaft am Ende zuspitzt, mit dem Ergebnis: Unter den einseitigen Verpflichtungen für die Rückzahlung der Schulden wird die Demokratie ausgehöhlt, weil die Zustimmung der Bevölkerungen und auch oft der gewählten Volksvertreter nicht zu bekommen ist. Deshalb haben beispielsweise die EU, die Europäische Zentralbank und der Internationale Währungsfonds in Griechenland und Italien ohne demokratische Wahlen Ministerpräsidenten eingesetzt und Regierungskoalitionen zusammengeschoben.
Ist eine Reform der Rating-Agenturen in Sicht?
Werner Rügemer: Nein. Es wird zwar in den USA seit dem von den Agenturen vor einem Jahrzehnt mitverursachten Bankrott des damaligen Starunternehmens Enron über Reformen nachgedacht. Aber dabei ist nichts herausgekommen außer dass die Börsenaufsicht SEC sechs zusätzlichen Agenturen eine Lizenz gegeben hat; das hat aber nichts verändert, die drei großen Agenturen haben ihren Anteil am Rating-Weltmarkt seit der letzten Finanzkrise 2007 sogar von 95 auf 97 Prozent gesteigert.
Auch in der EU laboriert seit einem Jahrzehnt an Reformen. Das europäische Parlament hat 2011 beschlossen, dass eine Europäische Agentur gegründet werden soll. Es soll aber eine Agentur sein, die von einer privaten Stiftung finanziert wird. Und das Parlament hat keine Vorgaben für andere Kriterien als die bisherigen gemacht.
"Kommunist und überzeugter Marktwirtschaftler"
Sind die chinesische Rating-Agentur Dagong und Wikirating Auswege aus dem Dilemma?
Werner Rügemer: Wikirating ist kein Ausweg. Es ermöglicht zwar die Beteiligung von Bürgern, die ihre Bewertungen abgeben können. Aber auch Wikirating geht einseitig von den Interessen der Kreditgeber aus. Da ist die chinesische Agentur Dagong schon ein anderes Kaliber. Sie wurde 1994 auf Initiative der chinesischen Zentralbank gegründet. Der Chef Guan Jiazhong ist Kommunist und überzeugter Marktwirtschaftler. Er weist auf grundsätzliche Fehler der führenden westlichen Agenturen hin: Sie sind, wie auch das Beispiel des wichtigsten kapitalistischen Staates USA zeigt, gar nicht an der Rückzahlung der gegenwärtig 15 Billionen Altschulden interessiert; sie wollen im Interesse ihrer Eigentümer lediglich, dass die USA weitere Kredite aufnehmen und weiter Zinsen für die alten und auch die neuen Schulden zahlen. Deshalb besage ein gutes derartiges Rating gar nichts über die tatsächliche Rückzahlungsfähigkeit.
Dagong orientiert sich dagegen, jedenfalls in der Theorie, an der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung. Er rät den US-Akteuren: "Sie sollten an die langfristigen Interessen ihres Landes denken. Es ist sehr teuer, Weltpolizist zu sein und gleichzeitig mehrere Kriege zu führen. Wenn diese hegemoniale Strategie verändert wird, werden sich auch die Ausgaben reduzieren. Am Ende wird das einfache Volk in Amerika den Nutzen davon haben. Wenn man ständig Geld borgen muss, um seine Hegemonie zu finanzieren, ist das langfristig nicht tragbar."
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