Für die "schwarze Null" in die Altersarmut

Seite 2: Medien und die Rentendebatte: von fehlenden und falschen Fakten

Von all dem erfährt man in den Medien nichts. Schweigen im Blätterwald und Rauschen bei den Sendern. Unerklärlich, warum Vorgänge, bei denen es um unglaublich hohe Milliardenbeträge geht und hinter dem sich ein sozialpolitischer Skandal verbirgt, einfach ausgeblendet bleiben. Das sollte ein Untersuchungsgegenstand der Medienwissenschaft sein.

Stattdessen geht bei den angekündigten Rentenerhöhungen im nächsten Jahr die mediale Post ab. Um nur zwei paradigmatische Fälle zu nennen:

Goldene Jahre für Rentner! Aber: Zahlen müssen Arbeitnehmer.

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Die Rentenerhöhung ist ungerecht… Das ist den Jüngeren schwer vermittelbar. Die Ampelkoalition sollte für Generationengerechtigkeit sorgen.

Handelsblatt

Nicht nur, dass viele Journalist:innen anscheinend nicht in der Lage sind, den Durchschnitt von vier Jahren zu berechnen (null Prozent (2021); +5,2 Prozent (2022); + 4,9 Prozent (2023); +0 Prozent (2024) = 10,1 Prozent, geteilt durch vier ergibt 2,5 Prozent pro Jahr).

Sie würden darauf kommen, dass die Renten durchschnittlich um 2,5 Prozent steigen, die Lohnsteigerungen aber auf drei Prozent prognostiziert werden. Sind Journalist:innen schon nicht in der Lage, so einfache Rechnungen anzustellen, scheinen sie im Traum nicht darauf zu kommen, investigativ folgenden Fragen nachzugehen:

  • Wie kann es sein, dass seit Jahren angeblich steigende Mehrbelastungen der Beitragszahler beklagt werden, aber die Beitragssätze auf 18,6 Prozent gesunken sind, wo sie wahrscheinlich bis 2023 bleiben werden?
  • Wie kann es sein, dass der Beitragssatz damit auf den Stand von vor 35 Jahren zurückgegangen ist, obwohl der Anteil der über 65jährigen an der Gesamtbevölkerung in diesem Zeitraum um 50 Prozent gestiegen ist?
  • Wie kann es sein, dass der Beitragssatz sinkt, obwohl die nicht beitragsgedeckten Leistungen, ohne Zahlungsausgleich des Bundes, exorbitant steigen?
  • Wie kann es sein, dass trotz der Mehrbelastungen und der gesunkenen Beitragssätze die Rücklagen der DRV mit 40 Milliarden Euro ein Allzeithoch erreichte?
  • Wie kann es sein, dass von einschlägigen, als Wissenschaftler getarnten Versicherungslobbyisten ständig behauptet wird, das Rentensystem stehe vor dem Kollaps, obwohl die Altersversorgungsaufwendungen in Deutschland gerade einmal zehn Prozent des Bruttoinlandprodukts ausmachen? Dass dagegen in Österreich knapp 14 Prozent, in Frankreich und Spanien über 14 Prozent ohne "Kollaps" aufgewendet werden, wird nicht zur Kenntnis genommen und schon gar nicht berichtet.

Kann es sein, dass die meinungsbeherrschenden Medien davon nichts mitbekommen? Das ist sehr unwahrscheinlich.

Die Antwort ist wohl eher, dass Aufklärung nicht gewollt ist. Das stört nur die Erzählungen des neoliberalen Mainstreams. Die journalistische Bearbeitung von sozialen Themen erfolgt zunehmend durch die Wirtschaftsressorts und die Wirtschaftsredakteure schreiben in der überwiegenden Mehrzahl mit stark neoliberal eingefärbten Brillen. Eine weitere Antwort ist natürlich die interessengeleitete Besetzung der Chefredaktionen durch die Besitzer bzw. Aufsichtsgremien der Medien.

Noch eine Richtigstellung zu der falschen Behauptung, die Rentenversicherung erhalte Zuschüsse von über 100 Milliarden Euro aus dem Bundeshaushalt:

  • Der sogenannte Bundeszuschuss, der, wie oben dargestellt, faktisch kein Zuschuss, sondern eine unvollständige Kompensation für versicherungsfremde Leistungen darstellt, beträgt 75,3 Milliarden Euro.
  • Dazu kommen die Beiträge für Erziehungszeiten nach 1992 geborener Kinder in Höhe von 16 Milliarden Euro.
  • Bundeszuschuss an die Knappschaft (gewissermaßen Sozialplankosten für den Strukturwandel im Kohlebergbau und bei der Bahn) von fünf Milliarden Euro und
  • Erstattungen nach dem Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetz – AAÜG, also Leistungen aus DDR-Sonderversorgungssystemen: über sechs Milliarden Euro.

Wer aus all den Überschriften produziert wie wieder typisch die Bild-Zeitung am 16.11.21:

STEUER-ZUSCHUSS EXPLODIERT! Der Bund musste 106 Milliarden Euro aus dem Haushalt zuschießen.

Damit nicht genug legt das Blatt nach ...

Arbeitnehmer müssen 10-Prozent-Zeche für Rentner zahlen. Der überraschend starke Anstieg der Bezüge für Senioren in den nächsten zwei Jahren um voraussichtlich gut 10 Prozent (Bild berichtete) muss finanziert werden. Und zwar von denjenigen, die jetzt in die Rentenkasse einzahlen. Was droht, ist eine Explosion des Rentenbeitrags.

… und trägt dazu bei, die jungen und älteren Generationen gegeneinander aufzuhetzen.