Für ein "gutes" Wirtschaftswachstum und eine "neue" Wirtschaftsordnung
Eine Umfrage der Bertelsmann Stiftung soll die Zustimmung zur Sozialen Marktwirtschaft demonstrieren - es darf gezweifelt werden
Ungefesselter Kapitalismus und freier Markt gefallen den Deutschen und den Österreichern nicht mehr sonderlich. Nach einer repräsentativen Emnid-Umfrage bei 1001 Deutschen und 1000 Österreichern im Auftrag der Bertelsmann Stiftung scheinen die Menschen die Finanz- und Wirtschaftskrise als Zeichen dafür verstanden zu haben, dass am Wirtschaftssystem etwas geändert werden muss. Ob nun grundsätzlich, radikal, mit kleinen oder großen Reformen, bleibt freilich im vermutlich bewusst im Dunklen.
Immerhin ist bei aller Vagheit trotzdem erstaunlich, dass gleich 90 Prozent der Österreicher und 88 Prozent der Deutschen irgendwie unzufrieden mit der vorhandenen Wirtschaftsordnung sind, wobei man sich fragen kann, ob nur die gemeinhin postulierte soziale Marktwirtschaft ein wenig aus dem Ruder geraten ist oder man neue Wege einschlagen sollte. Kein Wunder, wenn die deutschen Liberalen, die just das vertreten, was mit der Krise in die Krise geraten ist, massiv an Zustimmung verloren haben, nicht mehr in der Mitte stehen und zur radikalen Splitterpartei wurden.
Genauer stimmen 90 Prozent der Aussage zu, dass wir als Folge der Wirtschafts- und Verschuldungskrise eine neue Wirtschaftsordnung brauchen, bei der der Schutz der Umwelt, der sorgsame Umgang mit Ressourcen und der soziale Ausgleich in der Gesellschaft stärker berücksichtigt wird. Das ist schön und edel gedacht, zumal fast ebenso viele in der Bundes- und der Alpenrepublik meinen, jeder solle doch seine Lebensweise überdenken, ob wirtschaftliches Wachstum alles für ihn ist. Das kommt nach der neuen Ethik offenbar nicht mehr gut an, gefragt wurde allerdings nicht, wie sich denn konkret das Wirtschaftssystem verändern sollte.
Möglicherweise war dies dem Auftraggeber auch zu heikel. Zumindest will man bei der Bertelsmann Stiftung mit dem Ergebnis der Umfrage für die soziale Marktwirtschaft werben, wie das Gunter Thielen, der Vorstandsvorsitzende der Stiftung, mit seiner Interpretation macht: "Die Soziale Marktwirtschaft ist über Jahrzehnte eine stabilisierende und ausgleichende Kraft in unserem Land und damit auch ein Garant für den sozialen Zusammenhalt. Auf ihrem Fundament muss jetzt eine langfristige Strategie zum Umgang mit Krisen entwickelt werden. Vertrauen, Nachhaltigkeit und sozialer Ausgleich müssen die Grundpfeiler einer solchen Strategie sein." Da wäre doch eigentlich auch gut gewesen, man hätte die Bürger direkt befragt, ob sie die soziale Marktwirtschaft – was immer man genauer darunter auch verstehen mag, schließlich ist das ein sehr dehnbarer Begriff – unterstützen oder verändern wollen.
Wie üblich bei solcher abgefragten Volkesmeinung ist diese keineswegs konsistent. Zwar zweifeln die Menschen am freien Markt und vertrauen kaum mehr auf die einst viel beschworenen Selbstheilungskräfte – und mit höherer Schulbildung nimmt der Zweifel auch noch zu! Gleichzeitig sind über 80 Prozent der Deutschen und Österreicher nicht nur überzeugt, dass Wirtschaftswachstum weiter sein muss, sondern auch, dass das doch mit der Schonung der natürlichen Ressourcen und dem Umweltschutz zusammen gehen könne. Für drei Viertel der Befragten sind Umweltschutz und Schuldenabbau gar wichtiger als eine weitere Zunahme des materiellen Reichtums. Aber das lässt sich in Umfragen leicht so sagen, wenn es aber an den Geldbeutel geht, würden die Meisten da wohl doch zurückhaltender werden.
Dass die Menschen gut sein wollen, ist wenig überraschend. Der Zweifel am Wirtschaftssystem dürfte sich aber nicht nur aus der Finanz- und Wirtschaftskrise speisen, die vorher verteufelte Kritik am Kapitalismus wieder hoffähig gemacht hat, sondern vor allem daran, dass die Menschen merken, dass sie selbst am Wirtschaftswachstum, findet es denn statt, nicht wirklich teilhaben, sondern nur eine bestimmte Schicht, also dass die sich weiter aufspreizende Kluft zwischen den Vermögenden und dem Rest der Bevölkerung nicht mehr stillschweigend hingenommen wird. So glaubt eine Mehrheit nicht, dass Wirtschaftswachstum mit einer Verbesserung der eigenen Lebensqualität einhergeht.
Solange die große Mehrzahl der Bevölkerung am Wirtschaftswachstum beteiligt war, akzeptierte man nicht nur die Wirtschaftsordnung, sondern auch die wachsenden Einkommensunterschiede. Das aber hat sich spätestens seit Ende der 90er geändert, als die Einkommen der Meisten stagnierten, aber die Vermögen der Reichen immer schneller wuchsen und die Schicht der Superreichen zunahm, während die Politik unter der neoliberalen Ideologie alles dafür tat, diese Umschichtung voranzutreiben, weil man nur so meinte, das Wirtschaftswachstum fördern oder wieder in Gang bringen zu können.
Aber das wäre wohl nicht der gewünschte Ausgang der Umfrage gewesen. Deswegen fragte man nicht, was die Menschen für politisch oder gesellschaftlich am wichtigsten halten, sondern was für die persönlich am wichtigsten ist. Das seien, so die Interpretation der Stiftung, vorwiegend immaterielle Werte, während "Geld und Besitz mehren" – finanzielle Sicherheit wäre sicherlich neutraler gewesen - gegenüber "Gesundheit", "intakte Familie und Partnerschaft", "Sein Leben weitgehend selbst bestimmen", "friedliches Zusammenleben mit anderen Menschen und soziales Engagement" und "Schutz der Umwelt" praktisch unbedeutend und vernachlässigenswert wird.
Allerdings sind diese von den Menschen für ihr persönliches Leben wichtigen "Werte" auch nicht unabhängig von Gesellschaft und Einkommen, so sagen denn auch 49 Prozent der Österreicher, dass der "soziale Ausgleich in der Gesellschaft" für sie wichtig ist, aber nur 38 Prozent der Deutschen. Das trifft dann zu, wenn es mit der Gesundheit schwierig wird, wenn man unbesorgt in Familie und Partnerschaft leben und das auch noch weitgehend selbstbestimmt führen will. Auch das friedliche Zusammenleben wird schwieriger, wenn die Kluft zwischen den Schichten wächst. Aber was so eindeutig daherkommt, wird doch anders, wenn man zusammen nimmt, was die Menschen für sehr wichtig und wichtig halten.
"Der Aspekt 'Geld und Besitz mehren' bildet in beiden Ländern das Schlusslicht der Rangliste – nur jeder siebte Österreicher (14%) und jeder achte Deutsche (12%) misst ihm sehr hohe Wichtigkeit bei. Nimmt man hingegen die Top-Two-Werte, so hält diesen Punkt in Deutschland fast eine Zwei-Drittel-Mehrheit (62%) für 'sehr wichtig' und 'wichtig', in Österreich ist es dagegen mit 45% nicht einmal jeder Zweite."
So wäre dann auch die schöne Orientierung auf die immateriellen Werte dahin, die Menschen würden dann doch auch mehr Anteil am gesellschaftlichen materiellen Wohlstand fordern oder diesen für wichtig halten – auch diejenigen mit höherer Schulbildung. Interessant aber könnte, gerade im Hinblick auf den gegenwärtigen Erfolg der Grünen sein, dass den Umweltschutz vor allem die älteren Menschen für wichtig halten, bei den Jüngeren scheint aber diese Orientierung zu schwinden.
Was wissen wir nach dieser Umfrage, sollte sie tatsächlich repräsentativ sein? Dass die Menschen marktliberale Ideologien ablehnen und wenig mehr Regulierung fordern, wenn man jedoch nur von Wirtschaftswachstum spricht, die darauf ausgerichtete Politik mit einem grünen Mäntelchen bedeckt und verhalten mit ein bisschen mehr materiellen Wohlstand (Geld und Besitz mehren) garniert, dann würde derzeit möglicherweise noch alle gut laufen. Das entspräche vermutlich der Politik der Grünen mit Überschneidungen in die Union, SPD und Linkspartei, aber nicht dem schwarz-liberalen Projekt, wie es bislang formuliert wurde. Allerdings wissen wir eben nicht, was hinter dem Wunsch nach einer neuen Wirtschaftsordnung wirklich steckt, weil die geistig-moralische Wende bei der Umfrage im Vordergrund stand, bei der die Vermögens-, Umverteilungs- und Eigentumsverhältnisse nicht so wichtig sind.