Für einen "Equal Age Day"
- Für einen "Equal Age Day"
- Ist "das Patriarchat" schuld?
- Auf einer Seite lesen
Gedanken zum Weltmännertag mit Blick auf die unterschiedliche Lebenserwartung
"Zumindest beim Alkohol schließt sich die Geschlechterlücke", hieß es vor Kurzem. Eine Untersuchung des Epidemiologen Tim Slade von der University of New South Wales (Australien) und seiner Kollegen im angesehenen British Medical Journal hatte 68 Studien identifiziert, in denen das Trinkverhalten der Geburtsjahrgänge von 1891 bis 2001 verglichen wurde.
Das Ergebnis war deutlich: Waren im frühen 20. Jahrhundert Männer 2,2-mal so häufig Alkoholkonsumenten wie Frauen, schrumpfte diese Rate bis zum Ende des Jahrhunderts auf nur 1,1. Von Schäden durch Alkohol waren Männer früher 3,6-mal so oft betroffen, später nur noch 1,3-mal. Die Forscherinnen und Forscher empfehlen, das Trinkverhalten der jungen Menschen von heute vorsorglich bis in deren 30er und 40er Jahre zu untersuchen.
Relativ ist nicht absolut
Zunächst einmal muss man anmerken, dass solche relativen Wahrscheinlichkeiten auf zwei Weisen gelesen werden können: Entweder trinken Frauen heute mehr als früher - oder Männer trinken heute weniger als früher. In beiden Fällen würden die relativen Geschlechterunterschiede abnehmen. Auch eine Kombination von beiden Faktoren ist denkbar.
Das ist für die Interpretation der Gesundheitsempfehlungen entscheidend: Würde der Rückgang der Unterschiede im Wesentlichen auf zunehmende Zurückhaltung von Männern beruhen, wären das gute Neuigkeiten; dann wären aber auch keine speziellen Folgeuntersuchungen geboten. Würden hingegen Frauen heute wesentlich mehr trinken als früher, wäre das in der Tat ein Aufgabenfeld für die Forschung; dann stellt sich aber auch die Frage, ob der (schädliche) Alkoholkonsum von Männern in der Vergangenheit für Forscherinnen und Forscher nicht der Mühe wert war.
Unterschiedliche Lebenserwartungen
Wir wollen solche Spitzfindigkeiten nicht unnötig aufblasen. Am Weltmännertag geht es aber um die Gesundheit von Männern. Dass das Thema Aufmerksamkeit verdient, lässt sich schon an den Zahlen zur Lebenserwartung ablesen: "Frauen erreichen in den meisten Industrieländern eine um vier bis acht Jahre höhere Lebenserwartung (Westdeutschland fünf Jahre, Ostdeutschland sechs Jahre)", um der Einfachheit halber einmal Wikipedia zu zitieren.
Dass zur Erklärung solcher Unterschiede biologische Faktoren nur eine untergeordnete Rolle spielen, dafür sprechen zwei Fakten: Zum einen variiert die Lebenserwartung zwischen den Ländern enorm - und das gilt sowohl für die Lebenserwartung insgesamt als auch für die Unterschiede zwischen Frauen und Männern. Zum anderen ergaben beispielsweise Untersuchungen mit Mönchen, dass dank deren Lebenswandel der Geschlechtsunterschied dahinschmilzt.
Russland am stärksten betroffen
Aufschlussreich ist ein Blick auf diese Übersichtsgrafik. Zu erkennen ist, dass die Unterschiede in Russland am größten sind: Die Lebenserwartung zum Zeitpunkt der Geburt beträgt für Frauen dort 73 Jahre, für Männer nur 60, also ein Unterschied von dreizehn Jahren. Aber auch in Monaco, das die Liste anführt, dürfen sich Frauen im Mittel auf 94 Lebensjahre freuen, Männer jedoch nur auf 86. Dass fast alle Punkte über der Geraden liegen, bedeutet, dass in fast allen Ländern Männer früher sterben als Frauen.
Für Russland brachte der Pharmakologe David Nutt, der einen gesünderen Ersatzstoff für Alkohol entwickeln will, im Interview mit Science eine politische Erklärung ins Spiel. Die Regierung würde dort absichtlich Alkohol verwenden, um die Opposition zu schwächen: "Wie schlecht es ihnen auch geht, wie sehr sie auch ihre Regierung oder ihr Land hassen, sie werden einfach trinken, bis sie das umbringt, sodass sie nicht protestieren." Dabei bezog er sich jedoch nicht ausdrücklich auf Männer.
Männer viel häufiger betroffen
Allerdings schätzt die Weltgesundheitsorganisation, dass dort 16,5% der Männer gegenüber 3,3% der Frauen alkoholabhängig sind. Das Geschlechterverhältnis beträgt also 5:1. Der Wert ist für beide Geschlechter im Mittel mit 9,3% übrigens mehr als doppelt so hoch wie in anderen europäischen Ländern (4,0%). Vom Tod durch Leberzirrhose seien dort Männer 1,9-mal so häufig, durch Verkehrsunfälle im Zusammenhang mit Alkohol 3,5-mal so häufig betroffen wie Frauen.
Diese Zahlen deuten daraufhin, dass übermäßiger Alkoholkonsum nicht nur große Folgen für die Gesundheit hat - eine Gruppe um den bereits erwähnten David Nutt hält ihn, vor allem wegen der gesamtgesellschaftlichen Folgen, sogar für die schädlichste Droge weltweit, noch vor Heroin, Crack und Crystal Meth (Die Doppelzüngigkeit der Gesundheitspolitik) -, sondern ihm auch kulturelle Faktoren unterliegen.
Eigene Erfahrung
Aus eigener Erfahrung weiß ich zu berichten, wie Alkohol zur Stresskompensation, ein oder zwei (große) Gläser Rotweins am Abend, auf drei Flaschen pro Woche hinausliefen. Dazu kamen dann natürlich noch die üblichen "sozialen Ereignisse", wie Kneipenabende, geselliges Essen im Restaurant, Feste und so weiter. Beim Entsorgen der Flaschen fiel mir irgendwann aber auf, dass da etwas nicht stimmt: Alkohol zur Entspannung, Kaffee zur Motivierung.
Ich erinnere noch einmal an das vor Kurzem besprochene Schicksal der US-Autorin Kristi Coulter (Der Preis fürs "perfekte Leben"). Diese beschrieb, wie die Anforderungen der Arbeitswelt sie zur Alkoholabhängigen machten - und gab schlicht "dem Patriarchat" die Schuld für ihre Sucht.