Fulbe verübten Genozid an Berom
Angehörige der eigenen Volksgruppe wurden angeblich per SMS vorgewarnt
Am Sonntag überfielen Mitglieder der Volksgruppe der Fulbe drei Dörfer der Berom in der Nähe der nigerianischen Stadt Jos. Opferberichten zufolge töteten sie in Dogo Nahawa, Ratsat und Zot nicht nur alle dort ansässigen Berom-Bauern, derer sie habhaft werden konnten, sondern auch Frauen, Kinder und Alte mit Schusswaffen, Macheten, Äxten und Dolchen. Insgesamt sollen nach Auskunft von Gregory Yenlong, dem Informationsminister des Bundesstaates Plateau, in dem die Ortschaften liegen, mehr als 500 Menschen ums Leben gekommen sein. Etwa 200 Verletzte werden derzeit in Krankenhäusern behandelt.
Angeblich setzten die Angreifer sogar Netze und Tierfallen ein, um möglichst Wenige entkommen zu lassen. Angehörige der eigenen Volksgruppe, die in den Dörfern lebten, wurden Medienberichten nach mit SMS vorgewarnt. Zudem sollen die Überfallkommandos auch anhand von Zurufen in ihrer eigenen Sprache überprüft haben, welcher Volksgruppe jemand angehört, und ihn je nach Zufriedenheit mit der Antwort entweder getötet oder laufen gelassen haben.
Schwere Vorwürfe erhoben die Überlebenden auch gegen die nigerianische Armee: Obwohl ihre Kasernen nur etwa fünfzehn Kilometer von Dogo Nahawa entfernt lagen und wegen der angespannten Lage erhöhte Alarmbereitschaft herrschte, sei sie erst nach zwei Stunden angerückt. Mittlerweile nahm man laut Polizeisprecher Mohammed Lerama 93 tatverdächtige Fulbe fest; vier wurden von Patrouillen erschossen. Zu den Motiven der Massaker gibt es unterschiedliche Angaben. Eine Erklärung sieht einen Viehdiebstahl aus Auslöser, eine andere geht von einer Racheaktion für vorhergehende tödliche Auseinandersetzungen in dieser Gegend aus, bei denen auch Fulbe ums Leben kamen.
In jedem Fall hat das nicht erst seit der Massenvernichtung gespannte Verhältnis zwischen Fulbe und Berom ökonomische, ethnische und religiöse Komponenten: Während die Berom Ackerbau betreiben, sind die Fulbe Rinderzüchter. Deshalb kommt es häufig zu Konflikten um Wasser, Land und Vieh. Und während die zu drei Vierteln christlichen Berom mit etwa 300.000 Menschen eine relativ kleine Volksgruppe sind, leben die nahezu ausschließlich moslemischen Fulbe fast in jedem Land der Sahel-Zone - vom Senegal bis in den Sudan. Im Zuge des sogenannten Fulbe-Dschihad im 18. und 19. Jahrhundert gründeten sie mehrere Reiche - darunter das Sokoto-Kalifat im Norden Nigerias, Massina, das sich vom heutigen Mali bis nach Burkina Faso erstreckte, Futa Dschalon in Guinea und Futa Toro im Senegal und in Mauretanien.
Das Bewusstsein, einst die Herren in all diesen Gebieten gewesen zu sein, wirkt auch heute noch nach. Ein potenzielles Problem ist dies unter anderem deshalb, weil die Volksgruppe trotz ihrer insgesamt großen Zahl von geschätzten 13 bis 25 Millionen in allen Staaten, in denen sie siedelt, in der Minderheit ist. Allerdings ist sie besonders in Nigeria durchaus nicht ohne politische und ökonomische Macht. Unter anderem entstammen die vormaligen Staatsoberhäupter Shehu Shagari und Muhammadu Buhari sowie der bis vor Kurzem amtierende Präsident Umaru Musa Yar'Adua der Fulbe-Aristokratie. Unklar ist, inwieweit die (offiziell vorübergehende) Übertragung der Amtsgeschäfte vom seit längerem schwerkranken Yar'Adua auf den Vizepräsidenten Goodluck Jonathan, einem christlicher Ijaw aus dem Nigerdelta, bei den Geschehnissen vom Sonntag eine Rolle spielte.
In Jos protestierten Berom vor dem Hill Station Hotel, wo derzeit eine Friedenskonferenz stattfindet. Aus Angst vor weiteren Gewaltausbrüchen schloss man mittlerweile die Schulen und Ämter der Stadt. Zudem erwartet man eine Flüchtlingswelle aus den Dörfern, wo Bauern Angst vor weiteren Attacken haben, die offenbar auch gezielt geschürt wird. Gabriel Gyang Bot, der Dorfvorsteher von Shen, sagte der BBC, dass er SMS-Botschaften erhalten habe, deren Absender die Urheberschaft der Überfälle beanspruchten und weitere ankündigten.
Joe Igbokwe, ein Sprecher der Oppositionspartei Action Congress (AC), wertete die Ereignisse als Zeichen dafür, dass sein Land kurz vor dem Zusammenbruch stehe. Noch weiter gingen Rafiu Durodoye und Gbenga Oyedepo vom im amerikanischen Exil ansässigen Nigerian Movement for Justice. In einer gemeinsamen Stellungnahme bezeichneten sie die Massenvernichtungsattacken als weiteres Indiz dafür, dass Nigeria als Staat bereits gescheitert sei.