Fusionitis

Mit vereinten Kräften in die Krise?

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Im ersten Halbjahr 2014 wechselten Unternehmen im Wert von 1,75 Billionen Dollar den Besitzer. Damit erreichten die Deals erstmals wieder ungefähr das Vorkrisen-Niveau von 2007. Dank großer Barbestände und niedriger Zinsen investieren die Konzerne teilweise astronomische Summen. Von einem erschreckend hohen Preis-Niveau und einer Inflation bei den Vermögenswerten sprechen Beobachter deshalb; nicht wenige haben schon eine Blasen-Bildung ausgemacht. Und in der Tat gehen Fusionswellen oft Börsencrashs voraus.

Mitte Juli hat der US-amerikanische Pharma-Riese Abbvie für 40 Milliarden Euro den irischen Arznei-Hersteller Shire gekauft. Auch zuvor schon kam es in der Branche zu vielen Transaktionen: Medtronic erwarb Covidien, Amgen Onyx, Bayer eine Merck-Sparte und Actavis Forest. Anderswo tat sich ebenfalls so einiges. GE übernahm Alstom, O2 Eplus, Comcast Time Warners Kabel-Geschäft, der Tabak-Konzern Reynolds den Konkurrenten Lorriard und Facebook WhatsApp. Bis Mitte des Jahres wechselten Unternehmen im Wert von 1,75 Billionen Dollar den Besitzer - eine Steigerung von 35 Prozent gegenüber 2013. Nur im Vorkrisen-Jahr 2007 gab es noch voluminösere Deals. 4,8 Billionen Dollar markieren das derzeitige Allzeithoch, aber wenn das Shopping-Fieber anhält, könnte der Rekord noch fallen.

Kaum noch Investitionen

Die Firmen halten es derzeit für profitabler, auf Einkaufstour zu gehen, als in den Ausbau eigener Fertigungsstätten zu investieren. Offenbar glauben sie nicht daran, in nächster Zeit den Absatz ihrer Waren erhöhen zu können.

Nach einer Studie der "Kreditanstalt für Wiederaufbau" (KfW) überstiegen die Investitionen bei den bundesdeutschen Großunternehmen seit 2004 nur zweimal die Abschreibungen, und das auch nur knapp. "Die Großunternehmen erhalten in der Summe ihren Kapitalstock am Standort Deutschland demnach nicht", warnt die KfW. Auch global nimmt die Investitionsrate kontinuierlich ab. In den OECD-Ländern fiel ihr Anteil an der Wirtschaftsleistung nach Angaben des IWF von 25 Prozent im Jahr 1980 auf 19,5 Prozent im Jahr 2013. Riesige Kapital-Reserven haben Apple & Co. deshalb angehäuft. Allein die 50 größten US-Gesellschaften sparten 1.000 Milliarden Dollar an.

Um trotz geringer Wachstumsraten die von den Märkten geforderten Ertragssteigerungen zu erwirtschaften, führten die Konzerne Rationalisierungsmaßnahmen durch. Sie optimierten ihre Betriebsabläufe und strichen Arbeitsplätze. "Doch jetzt ist die Zitrone ausgepresst", hält Martin Jetzer vom Vermögensverwalter Bellecapital fest. Also gingen die Konzerne dazu über, nach Übernahmekandidaten Ausschau zu halten. "In einem schwierigen ökonomischen Klima stellen Fusionen eine der wenigen Möglichkeiten dar, die Profite zu erhöhen", erläutert Matthew Lynn in einer Bloomberg-Kolumne.

Der Aufkauf der Konkurrenz bereinigt den Markt und gestattet es so, höhere Preise zu verlangen. Der Abbau von Parallelstrukturen bei der Zusammenlegung gehört ebenfalls zu den vielbeschworenen Synergie-Effekten. Darüber hinaus können die Unternehmen durch die Erwerbungen ihre Abgaben reduzieren. Die Shire-Akquisition durch Abbvies und andere Mergers mit US-amerikanischer Beteiligung sind nicht zuletzt von dem Motiv getragen, sich damit einen günstigeren Ort für die Steuer-Veranschlagung einzuhandeln. Aber auch für bundesdeutsche Firmen lohnen sich die Übernahmen fiskalisch. "Bayer rechnet ab dem ersten Jahr nach dem Vollzug mit signifikanten Steuer-Einsparungen", verkündete der Leverkusener Multi nach dem Merck-Deal.

Eine Inflation von Vermögenswerten

Die Firmen lassen sich ihre Expansionsbestrebungen viel kosten. Die hohen Barbestände und das niedrige Zins-Niveau machen es möglich. Brachten die Unternehmen für ihr jeweiliges Objekt der Begierde in der Vergangenheit durchschnittlich das Vierfache von dessen Umsatz auf, so liegen die Summen heute weit darüber. Bayer etwa zahlte für die Merck-Sparte mit den "Dr. Scholl's"-Fußpflegemitteln und anderen freiverkäuflichen Pharmazeutika das Sechsfache.

"Das Preis-Niveau ist erschreckend hoch", sagt dann auch Ulf von Haacke von der Beteiligungsgesellschaft 3i. Und Thomas Koch vom Finanzinvestor EQT geht in der Faz sogar noch weiter: "Wir haben ganz klar eine Inflation der Vermögenswerte - mir macht das Angst." Erschwerend kommt noch hinzu, dass "Private Equity"-Gesellschaften im Merger-Geschäft oft mit Krediten operieren, die kaum besichert sind - allerdings spielen sie in diesem Segment bislang keine allzu große Rolle.

Träte hier eine Überhitzung ein, so gäbe es keine Alternative mehr. Wenn nach Produktionsausweitungen und Rationalisierungsmaßnahmen auch die Übernahmen als Mittel zur Profitsteigerung ausgereizt sind, dann ist das Ende der Fahnenstange erreicht. Die FAZ mag das nur halb einräumen. Für sie "stützt die Vielzahl von Fusionen und Übernahmen das Bild einer in die Jahre gekommenen Hausse", einen Absturz mag die Zeitung jedoch trotzdem nicht prophezeien. Sie rät lediglich zur Zurückhaltung bei Aktien-Käufen.

Tatsächlich aber gehen Fusionswellen oftmals Kurseinbrüchen voraus. Ihren bisherigen Kulminationspunkten 2007, 2000, 1985, 1969 und 1929 folgten bedenklich oft Wirtschaftskrisen. Mit Blick auf die Entwicklung der letzten 110 Jahre konstatiert der Ökonom Stefan L. Eichner: "Betrachtet man darüber hinaus für diesen langen Zeitraum auch das Fusionsgeschehen auf den Märkten, dann lässt sich auch ein Zusammenhang zwischen der Entwicklung der Einkommens- und Vermögenskonzentration, Fusionswellen bzw. Phasen verstärkter Unternehmenskonzentration sowie Krisen und Crashs feststellen."

Dabei schätzt Eichner die Einkommenskonzentration eher als ein sekundäres Phänomen ein. Er fasst sie nicht zuletzt als einen Effekt der Aktienkurs-Steigerungen, die mit den Mergers in der Regel einhergehen. Matthew Lynn hatte bereits 2009 einen neuen Übernahme-Boom vorausgesagt und gewarnt: "Wenn das passiert, kann nur eine Schlussfolgerung gezogen werden: Wir haben nichts aus der Krise im letzten Jahr gelernt." Allerdings ist es auch ein schier unmögliches Unterfangen, dem Kapitalismus beizubringen, seine Überproduktionsprobleme nicht länger durch eine Kapitalvernichtung an den Börsen zu lösen.