Ganz Spanien im merkwürdigen "Alarmzustand"
Die Regierung, die bisher abgetaucht war und unfähig, den massiven Ansteckungsherd Madrid zu sperren, zieht nun die Fäden in der Coronavirus-Bekämpfung an sich
Nun sollen viele Menschen in Spanien zuhause bleiben. So will es nun die spanische Regierung. Schon am Freitag gegen 15 Uhr hatte der Regierungschef Pedro Sánchez den "Alarmzustand" angekündigt, allerdings brauchte seine Regierung noch einmal 30 Stunden, um ihn real zu verkünden und um konkrete Maßnahmen zu ergreifen.
Erst am Samstag gegen 20 Uhr verkündete sie der spanische Regierungschef. Weitere 30 Stunden waren sinnlos verstrichen, fast acht Stunden war zwischenzeitlich im Kabinett über das Vorgehen gestritten worden. Und auch mit dem Alarmzustand wurde Madrid, das sich zu einem der größten Infektionsherde weltweit entwickelt hat, nicht abgeriegelt.
Von den bisher gezählten 289 Toten findet sich mit 213 die überwiegende Mehrheit in der Hauptstadt. Dort ist auch etwa die Hälfte aller offiziell mit dem Covid-19 infizierten Personen (derzeit fast 7500) registriert worden.
Doch statt am Freitag Madrid zu sperren, gab es lange Staus auf den Ausfallstraßen der Hauptstadt in Richtung Andalusien und Valencia, zahllose Menschen verließen fluchtartig die Hauptstadt. Allen mit "gutem Beispiel" voran der ehemalige rechte Regierungschef José María Aznar und seine Ehefrau.
Auch sie fuhren in ihr Ferienhaus in Marbella. Aber an den Küsten von Valencia, Murcia und Andalusien waren die Hauptstädter alles andere als willkommen. Zum Teil bauten dort Einwohner Barrikaden. Sie fürchten, dass darüber das Virus aus Madrid importiert wird, sie das Gesundheitssystem überlasten und Supermärkte leerkaufen. Die Madrider verstünden die Quarantäne offenbar als eine Art Urlaub, hieß es im Süden empört.
Es war ein unverantwortliches Vorgehen der sozialdemokratischen Regierung zuzulassen, dass aus dem größten Infektionsherd im Land das Virus in alle Landesteile getragen werden kann. Telepolis hatte schon vor zwei Wochen festgestellt, dass das Virus im Land außer Kontrolle ist. Reagiert hatte die spanische Regierung in der gesamten Zeit nicht. Ihr Vorgehen bewegte sich auf einem ähnlichen Niveau wie das der rechten Regionalregierung Madrids.
Die hatte zwar schon zuvor die Schulen und Universitäten geschlossen, sorgte aber nicht dafür, dass die Studenten in ihre Heimstädte zurückströmen konnten. Auch dadurch wurde das Virus weiterverbreitet, wie allseits kritisiert wurde.
Ohnehin musste Sánchez quasi zu Maßnahmen erst gezwungen werden. Länder wie Österreich hatten schon angekündigt, dass es ab Montag keine Flugverbindungen nach Spanien mehr geben wird. "Wir sind gezwungen Flugverbindungen mit #Spanien, #Frankreich und der #Schweiz einzustellen, da sich das #Coronavirus dort sehr schnell verbreitet", twitterte Bundeskanzler Sebastian Kurz am Freitag.
Auch die katalanische Regierung hatte längst drastische Maßnahmen verhängt und mit Igualada schon eine Kleinstadt komplett abgesperrt, da es dort vergleichbar viele Ansteckungen gab. Regierungschef Quim Torra hatte bereits massive Maßnahmen ergriffen.
Wie der Autor in Barcelona in Augenschein nehmen konnte, waren Kneipen, Bars und Geschäfte am Samstag in Katalonien geschlossen. Torra hatte schon am Freitag die komplette Sperrung Kataloniens verlangt. Durchsetzen konnte er die Abriegelung selbst nicht, da die Autonomieregierung keine Kompetenzen für die Sperrung von Häfen, Flughäfen oder Bahnhöfen hat. Seine Anfrage an Madrid blieb unbeantwortet.
Erst am späten Samstag kündigte Sánchez dann real den Alarmzustand an, um die Bewegungsfreiheit der Menschen einzuschränken. Mit dem Inkrafttreten des Dekrets dürfen die Menschen seit Sonntag nur noch ihre Wohnungen verlassen, um sich mit Lebensmitteln zu versorgen, zum Arzt oder zur Arbeit zu gehen, den Hund auszuführen, andere zu pflegen oder zum Friseur zu gehen!
Das Letztere sorgte er für etwas Verstörung in dem Gewerbe, weil Haareschneiden keine Grundversorgung sei. Wie man dabei den angeordneten Mindestabstand von einem Meter einhalten kann, bleibt das Geheimnis einer zerstrittenen Regierungskoalition.
"Die Maßnahmen sind drastisch und werden Konsequenzen haben", sagte Ministerpräsident Pedro Sánchez bei seiner im Fernsehen übertragenen Pressekonferenz am Abend, bei der die Journalisten nur zugeschaltet waren. Ein geeintes Spanien werde den Kampf gegen das Virus gewinnen, beschwor er dabei mehrfach.
Doch der verkündete Alarmzustand ist höchst widersprüchlich. Ansteckungsherde wie Madrid werden weiter nicht vollständig gesperrt. Da es weiter allen erlaubt ist, an ihren Wohnort zurückzukehren, dürfen die Menschen auch ganz legal Ansteckungsherde weiter verlassen und das Virus verbreiten.
Allerdings greift man an anderen Stellen hart durch und setzt faktisch die Kompetenzen der Autonomieregierungen über eine Zentralisierung außer Kraft. Sämtliche Sicherheitskräfte sind nun dem umstrittenen Innenminister Fernando Grande-Marlaska unterstellt, der bei Bedarf auch auf das Militär zurückgreifen kann.
Das Vorgehen gegen das Virus wird in den Händen derjenigen in der Hauptstadt Madrid konzentriert, die bisher tatenlos zugelassen haben, dass sich das Virus massiv verbreiten kann. Und das kritisieren vor allem Katalonien und das Baskenland.
Sowohl Torra als auch der baskische Regierungschef Iñigo Urkullu wollen die Beschneidung der Kompetenzen nicht hinnehmen. "Wir akzeptieren die Kompetenzbeschneidung nicht", erklärte Torra nach einem Telefonat mit Urkullu.