Ganz neue Spielchen
Von Microsoft angeregte Prozesse gegen Mod-Chip-Hersteller sind bisher zwar nicht bekannt, aber durchaus zu erwarten - Die neuen Spielkonsolen werden zum Schlachtfeld im Kampf um die Freiheit digitaler Unterhaltung und Information
Zwischen 180 und 360 Euro sollen die billigsten Simputer zur Überwindung der digitalen Kluft in Indien kosten. 300 Euro werden für den brasilianischen Volkscomputer veranschlagt. Eine heute bereits verfügbare Hardware-Alternative dürfte nur wenig mehr kosten: 249 Euro will Microsoft derzeit für seine Xbox-Spielkonsole haben, in den Vereinigten Staaten gar nur 200 Euro. Daraus ließe sich mit einigen Veränderungen an Hard- und Software ein vollwertiger Heimcomputer machen, schließlich ähnelt die Architektur der Xbox stark einem PC. Nur sind die Funktionen der Konsole künstlich arg begrenzt. Der Kampf um diese Schranken hat sich nun verschärft.
Anfang vergangener Woche präsentierte das Xbox-Linux-Projekt erstmals Screenshots, die zeigen, wie die Programme Staroffice, Tux Racer und Openoffice auf einer Xbox unter Linux laufen. Am selben Tag erklärte das Hongkonger Unternehmen Lik-Sang den Xbox-Mod-Chip "OpenXbox - PC-BioXX" für lieferbar. Kurz darauf sagte ein Microsoft-Sprecher, der neue Online-Dienst Xbox-Live könnte durchaus eingesetzt werden, um gegen modifizierte Konsolen vorzugehen. Die Lizenzbestimmungen beim Betatest von Xbox-Live schließen solche Geräte explizit aus. Den Zusammenhang dieser Ereignisse beschreibt Michael Steil, Mitinitiator des Xbox-Linux-Projekts so: "Microsoft hat darauf gesetzt, dass die Xbox-Käufer passive Konsumenten kostenpflichtiger Angebote bleiben." Denn Geld will das Unternehmen durch die eingeschränkte Freiheit der Xbox-Nutzer verdienen. Deshalb wird die Hardware auch so großzügig subventioniert: Der Käufer tauscht seine Autonomität gegen günstige, künstlich eingeschränkte Hardware.
Selbst der allein an Spielen interessierte Xbox-Nutzer bemerkt bald die um ihn gezogenen Grenzen. Denn selbst Spielen kann man nur unter bestimmten Auflagen. Die Wahlfreiheit beim Kauf vorhandener Software ist eingeschränkt: Amerikanische und japanische Spiele laufen aufgrund von Regionalcodes nicht in Europa. Der Nachteil für Spieler: Das außerordentliche Spiel "Morrowind" ist in den USA bereits im Juni für die Xbox erschienen, in Deutschland wird man es erst am 17. Oktober - kaufen können. Und das für bis zu 69,99 Euro, während das Spiel in den USA umgerechnet etwa 50 Euro kostet.
Die zweite Art von künstlichen Schranken werden vielleicht etwas weniger Nutzer bemerken: Die Hardware der Xbox eröffnet theoretisch weit mehr Anwendungsmöglichkeiten als das Spiel. Doch trotz des immensen Potentials, bleibt die Konsole bislang künstlich aufs Spielen beschränkt. Zusatzfunktionen muss man bezahlen. So kostet beispielsweise die Möglichkeit DVDs abzuspielen 29,99 Euro. Beim Start der Xbox rätselten einige Beobachter, ob Microsoft hier eine eigene Plattform für digitale Unterhaltung zu pushen versucht, nachdem Versuche wie WebTV und MSN in dieser Hinsicht nicht die erwünschten Erfolge waren. Wenn die Xbox tatsächlich eine solche Plattform werden soll, muss die Strategie schon recht langfristig angelegt sein: Erst kommt das Gerät als billige Konsole getarnt ins Haus. Haben sich die Nutzer dann an das System gewöhnt, können sie gegen Geld langsam zusätzliche Funktionen kaufen. Aber ganz gleich, ob eine solche Strategie hinter dem ungenutzten Potential der Xbox steht oder nicht - das Ergebnis ist das gleiche. Es treibt Bastlern wie Milosch Meriac, Mitinitiator des Xbox-Linux-Projekts, fast schon Tränen in die Augen:
Es ist für uns nicht mit anzusehen, dass Eltern ihren Kindern der einen besseren Münzspielautomaten ins Zimmer stellen - und auch noch bereit sind dafür Geld auszugeben. Dies entspringt in einigen Fällen finanziellen Gesichtspunkten, da ,die Kinder sowieso nur spielen wollen' - aber oft einfach der Bequemlichkeit oder der fehlenden Sachkenntnis, nicht ein gebrauchtes PC-System zu einem vergleichbaren Preis zu kaufen.
Die dritte Art von Beschränkungen bei der Xbox betrifft die Software: Auf der Konsole laufen nur mit einem speziellen, von Microsoft vergebenen Code, signierte Programme. Einerseits ist das durchaus verständlich, immerhin finanzieren sich Hersteller von Videospielsystemen durch Lizenzabgaben der Hersteller und haben des weiteren naturgemäß etwas gegen Raubkopien. Nur kann man aufgrund des Signaturzwangs auch auf handelsüblichen Xbox-Konsolen auch keine alternativen Betriebssysteme laufen lassen.
Nicht alle dieser technischen Schranken sind gesetzlich nachempfunden. Es ist in Deutschland durchaus legal, Xbox-Spiele aus den Vereinigten Staaten oder Japan zu importieren. Allein die Technik verhindert, dass sie auf europäischen Systemen laufen. Es ist auch prinzipiell nicht illegal, Linux auf der Xbox laufen zu lassen. Die Hardware unterliegt keiner Lizenzvereinbarung, die das verbieten könnte. Probleme entstehen allein daraus, dass man zur Umgehung der technische Schranken nicht Microsofts Rechte am Bios und dem auf Windows 2000 beruhenden Betriebssystem der Xbox verletzten darf.
Einige Mod-Chips tun das, wenn sie von vornherein mit einer veränderten Version von Microsofts Bios ausgeliefert werden. Milosch Meriac erklärt: "Grundsätzlich sehen wir Mod-Chip-Anbieter, die in den meisten Fällen gegen geltendes Recht ,entschärfte' Versionen von Microsofts Xbox-Betriebssystem verkaufen, nicht gerne. Wir haben eine ROM-Version von Xbox-Linux entwickelt. Diese ermöglicht es dem Benutzer unserer Meinung nach, Xbox-Linux zu benutzen ohne die Rechte von Microsoft zu verletzen. Diese Version ist unter anderem auf wiederbeschreibbaren Mod-Chips lauffähig, welche wir für rechtlich unkritisch halten, wenn die Chips leer oder mit Xbox-Linux ausgeliefert werden."
Einer dieser wiederbeschreibbaren Mod-Chips der dritten Generation ist der vom Hongkonger Unternehmen Lik-Sang veröffentlichte OpenXbox - PC-BioXX, der ursprünglich in Deutschland entwickelt wurde. Dieser kann jederzeit über eine parallele Schnittstelle von einem Windows-PC aus mit einem neuen Bios bespielt werden.
Derzeit sind solche Mod-Chips der einzige Weg, um unsignierten Code auf der Xbox zum Laufen zu bewegen. Der Einbau ist für Elektronik-Laien nicht empfehlenswert. Die Platine des Mod-Chips muss man mit jener der Xbox verlöten. Dazu braucht man Erfahrung - oder etwas Wagemut, denn die meisten Mod-Chips werden zwar mit detaillierten Anleitungen geliefert, doch nach dem Öffnen des Xbox-Gehäuses erlischt jeder Garantieanspruch. Zerstört man beim Einbau das System, kann natürlich auch nicht der Hersteller des Mod-Chips belangt werden. Aber es gibt genügend fähige und Mod-Chips zugeneigte Elektronikbastler.
Rechtlich bewegen sich Mod-Chips in einer - international sehr unterschiedlichen - Grauzone. Lik-Sang etwa versendet Mod-Chips nicht mehr in die USA, da dort laut Digital Millenium Copyright Act (DMCA) das Umgehen von Kopierschutz - gleich zu welchem Zweck - illegal ist. Wobei noch kein Gericht abschließend entschieden hat, ob das Umgehen von Kopierschutz die wesentliche Eigenschaft der Mod-Chips ist.
Man kann mit ihnen zwar auch legale wie illegale Kopien laufen lassen, Ende Juli aber entschied ein australisches Gericht, dass der Kopierschutz nicht das wesentliche Anliegen der Hardwareproduzenten ist, sondern auch Vermarktungsstrategie eine Rolle spielen. Bundesrichter Ronald Sackville führt in seinem Urteil, dass die von Mod-Chips - im konkreten Fall ging es um die Playstation - umgangene Technologie kein Kopierschutz ist, weil sie auch legales Verhalten unmöglich macht, wie zum Beispiel das Abspielen importierter Spiele oder privater Sicherheitskopien:
There is nothing in the evidence to suggest that the major purpose or objective of the protective device, from the applicants' perspective, was to ensure that the PlayStation consoles could only play PlayStation games lawfully acquired in Australia or Europe.
Gleichwohl befand Sackville den Angeklagten Eddy Stevens für schuldig, Sonys Urheberrecht verletzt zu haben, indem er Raubkopien von Playstation-Spielen verkaufte.
Raubkopierer wie Stevens liefern Konzernen Argumente gegen Entscheidungen wie die Sackvilles und gegen Projekte wie Xbox-Linux. Sony-Vertreter Steve Wherrett wetterte dann auch in Australien: "Unsere Investitionen finanzieren sich aus den Spielen. Wenn wir kein Geld für Investitionen haben, wird es nicht zum Kopieren geben." Milosch Meriac betont hingegen:
Es ist nicht richtig, wenn Käufern von Mod-Chips automatisch unterstellt wird, Raubkopien zu benutzen - denn es gibt viele Leute, die Mod-Chips ausschließlich dazu nutzen, unabhängige Software auf ihrer Xbox zu starten. Wir möchten dem Benutzer eine Alternative bieten und ihm so nebenbei die Welt außerhalb Microsofts öffnen. Wir sehen die Xbox als eine einmalige Chance, normalen Computer-unerfahrenen Menschen weltweit zu zeigen, was ein Computer jenseits von kommerzieller Software und Raubkopien ermöglicht.
Nicht alle Gerichte teilen diese Sichtweise. In Kanada wurde Ende Juli der Computerhändler Robert Garby zu 17000 Dollar Strafe und einem Jahr auf Bewährung verurteilt, weil er Mod-Chips und Raubkopien verkaufte. Sony-Vertreter Riley Russell jubelte:
Wir bekämpfen solche Umgehungsmittel innerhalb der US-Grenzen seit Jahren. Wir freuen uns, dass unser Nachbar im Norden die Illegalität dieser Geräte anerkannt hat.
Ähnlich urteilte Anfang des Jahres auch ein britisches Gericht bei einem von Sony angeregten Prozess gegen den Mod-Chip-Hersteller Channel Technology: Der Chip habe durchaus legale Anwendungsmöglichkeiten, allerdings würde er Raubkopien absolut unkontrollierbar machen.
Noch sind Mod-Chips im Rest Europas aber legal. Das könnte sich hierzulande bis Jahresende ändern, je nachdem wie die EU-Urheberrechtsrichtlinie in nationales Recht umgesetzt wird. Doch selbst bei einem dem amerikanischen DMCA stark ähnelnden Ergebnis würde die Entscheidung bei den Gerichten liegen. So war es zumindest in Australien, wo Richter Sackville in letzter Instanz trotz dem DMCA ähnelnder Gesetze im Sinne der Verbraucher entschied.
Von Microsoft angeregte Prozesse gegen Mod-Chip-Hersteller sind bisher zwar nicht bekannt, aber durchaus zu erwarten. Die Lizenzbestimmungen beim Betatest von Xbox-Live sind ein Anfang. Auf den 14 Seiten heißt es unter anderem:
Xbox Live may only be accessed with an unmodified, except for Microsoft authorized repairs and upgrades, Xbox video game console. [.] Microsoft may [...] retrieve information from the Xbox used to log on to Xbox Live as necessary to operate and protect the security of Xbox Live, and to enforce this Agreement.
Natürlich muss bei Onlinespielen die Sicherheit vor Cheatern gewahrt werden. Allerdings ermöglicht dieses "End User Licence Agreement" (Eula) weit mehr. Außerdem ist die von Michael Steil und Milosch Meriac kritisierte passive Konsumhaltung, zu der die Xbox-Hardware ihre Nutzer zwingt, bei Microsoft weit mehr Programm als beim Konkurrenten Sony. Zu Wired News äußerte sich eine Microsoft-Sprecherin recht abfällig über das technische Verständnis ihrer Kunden:
Wie wir bei vergangenen Modifikationen der Xbox gesehen haben, ist das nötige technische Vermögen recht hoch, weshalb wir erwarten, dass die meisten Konsumenten und Spiel-Enthusiasten die Xbox weiterhin als das genießen, was sie ist: die unglaublichste Spielerfahrung dieser Welt.
Sony hingegen ermuntert die Nutzer der Playstation 2 mit dem Linux-Kit durchaus zu eigener Kreativität, wenn auch in gewissen - zum größten Teil durchaus verständlichen - Grenzen.
Die Spielkonsolen der aktuellen Generation werden so zum Schlachtfeld für den Kampf um die künftige Form digitaler Unterhaltung und Information. Während die Film-, Musik- und Softwareindustrie - grob gesagt - mittels der technischer Schranken mehr Kontrolle über die Nutzungsgewohnheiten ihrer Kunden erlangen will, kämpfen interessierte Bastler, Hacker,
Verbraucherschützer und einige Bürgerrechtsaktivisten gegen diese, oft genug gesetzlich abgesicherte, Usurpation. Milosch Meriac erkennt in derselben Hardware, die Microsoft als Fundament eines neuen Geschäftszweiges sieht, das Potential für eine bessere Zukunft:
Der Benutzer kann seine Box zum Filme schauen verwenden. Er kann sie als MP3-Jukebox verwenden, als Internetradio, als Firewall, zur Interneteinwahl, als Möglichkeit hin und wieder einen Brief zu drucken oder eine Email zu versenden, zum Malen, experimentieren, für Lernsoftware, zum ersten Einstieg in die Welt der NIX/Linux-Systeme mit den damit verbundenen Diensten wie Webservern und der unendlichen Anzahl von weiterer Programme, bis hin zum Einstieg in die Programmierung - und natürlich als Spielekonsole für offene Spiele." Dafür sind Konsolen wie die Xbox laut Meriac so geeignet, weil "der sonst für Anfänger abschreckende Installationshorror durch die durchgehend identische Hardware vermieden werden kann.
Microsoft scheint die Spieler zu unterschätzen und einen wesentlichen Reiz des Spiels zu übersehen. Denn noch jenseits aller Hardware-Modifikationen und Open-Source Anwendungen ist das Brechen der Gesetze, das Überschreiten der von den Designern gezogenen Grenzen in Spielen ein ebenso wichtiges Element wie die Unterwerfung. Hard- und Software erfüllen die Wünsche der Spieler nach immer neuen, stärkeren Sinneseindrücken und verlangen im Gegenzug Gehorsam gegenüber ihren Regeln. Doch so lustvoll sich die Spieler auch unterwerfen - sie versuchen immer auch, die von den Entwicklern gezogenen Schranken zu überschreiten. Kurz nach dem Erscheinen eines Titel kursieren bereits Cracks, Manipulationen und Lösungsanleitungen, schaffen Spieler eigene Spielwelten - so genannte Mods - weit jenseits der Vorgaben der Designer. Das Hacken der Hardware und Programmieren neuer Software ist somit eigentlich Fortsetzung des Spiels mit anderen Mitteln. Selbst wenn es nur darum geht, DivX-Videos auf der Xbox zu schauen - Spielkonsolen sind das ureigenste Terrain für den Kampf um die Freiheit des Spielers.