Ganztagsbetreuung an Grundschulen: Es fehlen eine halbe Million Plätze
Rechtsanspruch ab 2029 könnte für einige Familien Theorie bleiben. Die Umsetzung ist nicht vorbereitet. Wird fest mit freiwilligem Verzicht gerechnet?
Ähnlich wie bei der Kindergrundsicherung und der frühkindlichen Förderung sind auch bei der Ganztagsbetreuung geplante Rechtsansprüche bisher kein Maßstab für die reale Kalkulation. Ökonomen gehen davon aus, dass das Versprechen kaum noch einzuhalten ist.
Mehr als jedes sechste Grundschulkind, das in Deutschland eine Ganztagsbetreuung bräuchte, bekommt sie nicht – dies ergab eine Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) in Köln, deren Ergebnisse gerade veröffentlicht wurden. Auf den ab 2029 geltenden Rechtsanspruch ist die Politik demnach nicht vorbereitet.
529.000 Ganztagsplätze fehlen 2022 an deutschen Grundschulen. Das zeigen neue Berechnungen des IW auf Basis von Zahlen des Bundesfamilienministeriums und der Kultusministerkonferenz. Demnach benötigten im vergangenen Jahr 73 Prozent der Eltern von Kindern im Grundschulalter Ganztagsbetreuung. Für die rund 2,2 Millionen Kinder gab es im selben Schuljahr aber nur rund 1,7 Millionen Plätze. Für mehr als jedes sechste Kind fehlt somit ein Platz.
Versorgungslage in Hamburg am besten
Besonders groß ist die Lücke in Nordrhein-Westfalen mit 152.000 Plätzen und in Bayern mit 104.000 Plätzen. Die größte relative Lücke weist Schleswig-Holstein auf, wo die Zahl der Plätze um 73 Prozent steigen müsste. Am besten steht Hamburg da: Hier bekommen alle Kinder einen Platz, den Rechtsanspruch auf einen Ganztagsplatz gibt es in der Hansestadt bereits.
Bereits vor zwei Jahren haben Bundestag und Bundesrat einen bundesweiten Rechtsanspruch auf Ganztagsplätze an Grundschulen beschlossen, der allerdings kaum noch einzuhalten ist. Nachdem die Geburtenzahlen in den 2010er-Jahren gestiegen sind, wächst nun die Zahl der Grundschulkinder. Im Jahr 2029 wird sie voraussichtlich um acht Prozent höher liegen als heute. Rein rechnerisch müssten bis dahin 700.000 zusätzliche Plätze geschaffen werden, wenn der heutige Bedarf als Berechnungsgrundlage dient.
Warum der Bedarf weiter steigen dürfte
Da die Vereinbarkeit von Beruf und Familie immer wichtiger wird, ist aber davon auszugehen, dass der Bedarf bis Ende des Jahrzehnts noch steigen wird. Soll bundesweit nur eine Betreuungsquote von 75 Prozent erreicht werden, sind sogar 847.000 neue Plätze nötig.
"Ein Rechtsanspruch allein bedeutet noch lange nicht, dass alle Familien mit Betreuungsbedarf auch tatsächlich einen Platz bekommen", sagt IW-Ökonom und Studienautor Wido Geis-Thöne. Das habe die Erfahrung mit den unter Dreijährigen in den vergangenen Jahren schmerzlich gelehrt.
"Dabei ist eine gute Ganztagsbetreuung für Grundschulkinder unbedingt notwendig, damit Mütter und Väter nicht mit Schuleintritt der Kinder bei ihren Erwerbsmöglichkeiten zurückgeworfen werden."