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Gasumlage: Kuhhandel mit der Atomkraft?

Demonstration vor dem Atomkraftwerk Neckarwestheim, 2016. Bild: Christoph Hoyer / CC BY-NC-SA 4.0

Energie und Klima – kompakt, Teil 2: Über sich abzeichnende Koalitionsfehden, rissige Kernreaktoren und das grönländische Eis, das den Meeresspiegel steigen lässt

Nun kommt sie also doch nicht. Oder vielleicht nicht. Oder vielleicht doch. So richtig klar ist es nach dem Herumgeeier der letzten Wochen nicht mehr, ob nun ab dem 1. Oktober auf die ohnehin schon exorbitanten Gasrechnungen auch noch eine Umlage draufgeschlagen wird, die notleidenden Energiekonzernen zur Sicherung der Dividende das Geschäftsrisiko abnimmt.

Nach dem seit Monaten darüber gesprochen wird, dass immer mehr Haushalte kaum die Last der steigenden Energiekosten und der anderen explodierenden Preise nicht mehr schultern können, ist inzwischen auch dem letzten Ampel-Politiker klar geworden, dass die höchst unpopuläre Umlage vielleicht doch nicht so eine schlaue Nummer war. Nicht einmal die FDP kann sie mehr ihrer ansonsten eher Empathie befreiten Klientel verkaufen.

Doch wie wieder herauskommen aus der Nummer? Die Tagesschau mutmaßt [1], der ganz auf die Schuldenbremse fixierte Finanzminister und FDP-Chef Christian Lindner könnte eine politische Gegenleistung verlangen, wenn die Umlage nun, kaum dass sie in Kraft getreten ist, wieder abgeschafft werden sollte.

Immerhin müssten ja die Gelder zur Stützung der Gasgroßhändler wie den inzwischen zur Verstaatlichung anstehenden Uniper-Konzern [2] aufgebracht werden. Es bleibt also spannend und für inner-koalitionären Konfliktstoff scheint reichlich gesorgt. Zumal die Liberalen die Frage der Gasumlage offenbar gerne mit der Laufzeit der Atomkraftwerke verbinden wollen, aber dazu unten mehr.

Propagandanebel

Zunächst wollen wir noch kurz fragen, was das jetzt mit den Explosionen an den Nord-Stream-Gasleitungen in der Ostsee war? Wie gestern berichtet [3], schießen die Spekulationen wild ins Kraut, aber einige sind sich ziemlich sicher, dass es nur Russland gewesen sein kann. Auch die den US-amerikanischen Demokraten nahestehende Nachrichtenagentur Bloomberg ist sich ganz sicher, dass Russland "eine neue Front in seinem Energiekrieg gegen Europa eröffnet". Das ist übrigens die gleiche Nachrichtenagentur, die erst vor wenigen Tagen erheblich verstärkte Aufrüstung für US-Amerikas "unvermeidlichen" Krieg mit China forderte.

Der Spiegel will derweil erfahren haben [4], dass der US-Geheimdienst CIA die Bundesregierung bereits im Sommer vor einem solchen Anschlag gewarnt habe. Auch das lässt – bei Licht besehen – natürlich keinen Schluss auf einen Urheber zu.

Am besten fährt man wohl in einer solchen Situation als Beobachterin oder Beobachter, wenn man sich ein paar Dinge vergegenwärtigt. Erstens: Schmutzige und manchmal auch mörderische Aktionen gehören zum Repertoire aller Geheimdienste. Zweitens: In diesem Konflikt steht – auch wenn uns die Propaganda der verschiedenen Parteien etwas anderes suggerieren will – keine Seite der anderen nach, wenn es um Skrupel oder die verwendeten Methoden geht. Und drittens: Sabotageakte wie der an den Gasleitungen dienen neben anderem auch der Verwirrung und der Propaganda. Beide Seiten können bei der jeweils anderen halbwegs plausible Motive ausmachen und entsprechend den Anschlag bestens für ihre Stimmungsmache einsetzen.

AKW-Sicherheit unwichtig

Unterdessen gehen die ideologischen Scheingefechte um Deutschlands Atomkraftwerke weiter. Besonders Rechtsradikale sind ganz versessen darauf, die drei noch im Betrieb befindlichen Anlagen möglichst lange weiterlaufen zu lassen.

Erwartungsgemäß fand letzte Woche ihr Vorschlag allerdings im Bundestag keine Mehrheit [5]. Die vermeintliche Partei der kleinen Leute hatte per Gesetzesantrag 20 weitere Jahre dranhängen und den Betreibern zugleich eine Entschädigung für den Fall der vorzeitigen Stilllegung zusichern wollen.

Zur Erinnerung: Die Rede ist von den Atomkraftwerken Isar II, Neckarwestheim II und Emsland, die seit 1988 beziehungsweise 1989 am Netz sind. Ausgelegt sind sie für 40 Jahre Betriebszeit, aber am Neckar zeigen sich seit Jahren zunehmend mehr Haarrisse [6] an den Rohren des Kühlkreislaufs und an der Isar wurde kürzlich ein Leck an einem Ventil entdeckt, über dessen Bedeutung die undurchsichtige Informationspolitik von Betreiber und Behörden wenig Aufschluss gibt.

Ist der Vorfall nun relevant oder eher doch nicht? Sicher ist jedenfalls, dass alle drei Anlagen eigentlich 2019 eine turnusgemäße große Sicherheitsüberprüfung hätten durchlaufen sollen. Alle zehn Jahre steht diese an, wurde aber angesichts der baldigen Stilllegung, wie sie das Atomgesetz bisher explizit vorsieht, unterlassen.

Die Unionsfraktion im Bundestag findet das nicht weiter bedenklich. Ein von ihr letzte Woche im Bundestag in erster Lesung behandelter Gesetzentwurf sieht vor, die drei AKW bis mindestens 2024 weiterlaufen zu lassen und die Sicherheitsüberprüfung bis Ende 2023 hinaus zu schieben. Die Bundesregierung hat sich derweil, wie gestern berichtet, [7] mit zwei Betreibern auf einen Reservebetrieb der beiden süddeutschen AKW bis in den April 2023 geeinigt.

Während also Konservative, Rechtsradikale und zunehmend auch wieder Liberale ganz "technologieoffen" auf unsichere, überkommene Großtechnik setzen, wird in Deutschland bereits rund die Hälfte des Stroms von erneuerbaren Energieträgern erzeugt. (Abgesehen von den industriellen Selbstverbrauchern, die meist Gas einsetzen.) Schon jetzt ist 2022 für den Solarstrom ein neues Rekordjahr, wie die Daten [8] des Fraunhofer-Instituts für Solare Energiesysteme zeigen. Der Anteil der erneuerbaren Energieträger an der Nettoerzeugung für das öffentliche Stromnetz betrug bisher 50,4 Prozent und war im windreichen Februar mit 60,6 Prozent am größten.

Die Meere steigen

Auf Grönland hat es Anfang September noch mal ein für diese Jahreszeit bisher sehr ungewöhnliches großes Abtau-Ereignis gegeben. Für einige Tage taute es auf fast 40 Prozent der Fläche der Eisinsel herunter, wie unter anderem die Financial Times berichtet [9], wie aber auch hier [10] in den Daten des US-amerikanischen National Snow and Ice Data Center abzulesen ist. Derlei Ereignisse sind eher aus dem Juli bekannt und im September bisher noch nicht beobachtet worden.

Ansonsten war 2022 für Grönland aber im Vergleich zu den letzten Jahren nicht ungewöhnlich, was allerdings keine gute Nachricht ist. Eine im Fachblatt Nature veröffentlichte Studie [11] kommt zu dem Schluss, dass die Gletscher auf Grönland sich noch lange nicht an das gegenwärtige Klima angepasst haben. Selbst wenn es keine weitere Erwärmung gibt, würden sie noch 3,3 (±0,9) Prozent ihrer Masse verlieren und damit 27,4 ±6,8 Zentimeter zum Anstieg des Meeresspiegels beitragen.

Klage gegen hohe Tarife

Zum Schluss noch der Hinweis, dass der Bundesverband der Verbraucherzentralen (vzbv) eine Musterfeststellungsklage gegen den Berliner Gasversorger GASAG angestrengt hat, der Betroffene sich ab sofort anschließen können [12]. Die GASAG hatte im Winter 2021 teurere Sondertarife für Neukunden eingeführt.

Dazu Henning Fischer, Referent im Team Musterfeststellungsklagen beim vzbv:

In der Tarifpolitik der GASAG sehen wir eine Diskriminierung der Neukundinnen und Neukunden. Warum sollte ich bei demselben Anbieter in der Grundversorgung zweieinhalb Mal so viel für Gas zahlen müssen wie mein Nachbar, nur weil ich meine Wohnung einen Tag später bezogen habe als er? Mit ihrem Vorgehen hat die GASAG ein Zweiklassensystem erschaffen, das unseres Erachtens unzulässig ist.

Telepolis wird berichten, ob die Gerichte die Sache ähnlich wie die Verbraucherschützerinnen und -schützer sehen.


URL dieses Artikels:
https://www.heise.de/-7278927

Links in diesem Artikel:
[1] https://www.tagesschau.de/inland/innenpolitik/gasumlage-ampel-streit-101.html
[2] https://www.heise.de/tp/features/Gasumlage-soll-kommen-Bedenken-zur-Verfassungskonformitaet-bleiben-7272014.html
[3] https://www.heise.de/tp/features/Leck-in-Nord-Stream-Pipelines-Wer-sprengte-die-Gasleitungen-7277723.html?seite=all
[4] https://www.spiegel.de/politik/deutschland/news-nord-stream-pipelines-ukraine-russland-krieg-mpk-ohne-olaf-scholz-neuwahlen-in-berlin-a-26dab5a6-c6a7-417a-a2e6-cc0ae55751e8
[5] https://www.bundestag.de/dokumente/textarchiv/2022/kw38-de-atomgesetz-909124
[6] https://www.stuttgarter-zeitung.de/inhalt.debatte-um-atomkraft-sicherheit-neue-risse-im-kernkraftwerk-neckarwestheim-entdeckt.346baabf-47d7-4ef1-9d5b-d6fad3084316.html
[7] https://www.heise.de/tp/features/Atomausstieg-wohl-vorerst-verschoben-7278165.html
[8] https://www.energy-charts.info/charts/energy/chart.htm?l=de&c=DE&chartColumnSorting=default&interval=year&year=-1&legendItems=000000000000000000010
[9] https://www.ft.com/content/7c75ff11-da59-49ed-9006-a6c33c45e216?shareType=nongift
[10] https://nsidc.org/greenland-today/
[11] https://www.nature.com/articles/s41558-022-01441-2
[12] https://www.vzbv.de/pressemitteilungen/musterfeststellungsklage-gegen-gasag-anmeldung-ab-sofort-moeglich