"Gefährliche schwere Sünde"
IS-Propagandaheft Dabiq warnt vor Auswanderung aus dem Kalifat
Das gerade erschienene elfte Heft des IS-Propagandamagazins Dabiq enthält nicht nur Verkaufsanzeigen für einen Norweger und einen Chinesen, sondern auch eine längere Warnung davor, aus dem Herrschaftsgebiet des Kalifats auszuwandern. Ganz besonders abgeraten wird von einer Ausreise in westliche Länder: Diese berge die Gefahr, dass Kinder und Enkel den Islam ablegten und Christen, Atheisten oder "Liberalisten" würden. Verlernten sie das in Syrien, im Irak und in Libyen gesprochene Arabisch, dann erschwere das auch die Rückkehr zur "Religion". Und selbst dann, wenn sie dieser Gefahr nicht erlägen, seien sie der ständig Bedrohungen durch "Unzucht, Homosexualität,Drogen und Alkohol" ausgesetzt.
Die Auswanderung in andere Gebiete sehen die Salafisten aber ebenfalls als sündig an: In den nicht vom IS kontrollierten Gebieten Syriens herrschten "Nusairier" und die gottlose PKK, in anderen arabischen Ländern "Taghut"-Apostaten, die mit den Amerikanern paktierten, und im Restirak sunnitische "Sahwah"-Verräter, schiitische "Rafida" ("Ablehner") und "Safawiden". Sunnitische Rechtsgelehrte hätten bereits im Mittelalter entschieden, dass solche Gebiete nicht mehr zum "Darul-Islam", dem "Haus des Islam" gehörten, auch wenn deren Herrscher "den Islam für sich beanspruchen und nach einigen seiner Gesetze herrschen".
Illustriert ist der Artikel mit einem Foto des ertrunkenen Aylan Kurdi, das Anfang September durch die europäischen Medien ging, und mit einem Bild eines hinten offenen Kleinlaster, in dem sich Orientalen drängen. Das soll anscheinend Assoziationen an den Geflügellaster einer Schlepperbande wecken, in dem Ende August 71 Schleuserkunden auf dem Weg von Ungarn nach Österreich erstickten.
Dazu gibt es massenhaft Verweise auf religiöse Texte, in denen zum Beispiel geschildert wird, wie Tote Engeln klagen, sie seinen unterdrückt worden, worauf diese antworten: "War die Erde Allahs nicht groß genug, dass ihr dorthin auswandern hättet können?" - und sie anschließend in die Hölle schicken. In einem anderen Zitat ist davon die Rede, dass Allah gute Taten nur dann akzeptiere, wenn Jemand die Ungläubigen verlässt und zu den Gläubigen zieht. Und mit der Ausrufung des Kalifats sei klar, wohin die "Hedschra" heute gehen müsse.
Interessant ist das sprachliche Detail, dass der Artikel nur die "freiwillige Auswanderung" aus dem "Darul-Islam" in das "Darul Kufr", das "Haus der Ungläubigen" als schwere Sünde brandmarkt. Das deutet darauf hin, dass es auch Personen geben könnte, die dort im Auftrag des IS hingeschickt werden und die Wohnortverlegung nicht als freiwillige Auswanderung, sondern als gehorsame Übernahme einer schweren Aufgabe sehen.
Auf dem Titel des aktuellen Dabiq-Hefts prangt diesmal der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan - allerdings nicht als Held und Förderer des IS, sondern im Gespräch mit US-Präsident Obama, dessen Anti-IS-Koalition sich die Türkei am 29. August anschloss. Außer mit diesem Bündnis und mit der sündigen Ausreise beschäftigt sich das Magazin unter anderem mit den "Verbündeten von al-Qaida", verteufelt die Mahdi-Erwartung der Schiiten, preist den Salafismus als Gegenteil des "amerikanischen Rassismus", teilt in gute und böse Rechtsgelehrte, lehrt Frauen einen "Dschihad ohne Kampf" und lobt die Zerstörung des "Baaltempels" in Palmyra.
Auch ältere Ausgaben der Zeitschrift eröffnen einen durchaus interessanten Blick in das Innenleben der IS-Salafisten: Dort kann man unter anderem nachlesen, warum sie Alawiten und Drusen für "schlimmer als Juden und Christen" und deshalb für unbedingt tötungswürdig halten.
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