Gefräßige Bestien im Weltall

Schwarze Löcher: eine Typologie

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Was früher noch reine Spekulation war, gilt heute als sicher: Schwarze Löcher existieren im Universum überall und in verschiedenen Größenklassen. Jetzt haben Astrophysiker wieder einen neuen Typus entdeckt

Jet, der vom Zentrum der Galaxie Pictor A (links) ausgeht und sich über 800 000 Lichtjahre bis zu seinem hellen Endpunkt erstreckt

Umhüllt von Gas- und Nebelwolken, eingebettet im Sternenstaub spielt sich - 30.000 Lichtjahre von unserem Heimatplaneten entfernt - im Herzen der Milchstraße ein unvorstellbares Szenario ab. Wo eigentlich Licht und lebendes Pulsieren sein sollte, wo viele die Wiege unserer Galaxis vermuten, macht ein todbringendes Energiemonster Jagd auf alle Form von Materie. Mit einem Durchmesser von etwa neun Millionen Kilometern und der Masse von drei Millionen Sonnen verschlingt das Schwarze Loch im Zentrum unserer Galaxis alles, was seine Grenze, den sogenannten Ereignishorizont, überschreitet. Ob Planeten, Sterne oder sogar Lichtstrahlen - infolge seiner gewaltigen Anziehungskraft verschwindet jegliche Form von Materie auf Nimmerwiedersehen in einem gewaltigen kosmischen Raum-Zeit-Strudel ins Nichts. Das Merkwürdigste dabei ist, dass im Zentrum eines Schwarzen Loches der Raum und die Zeit durch die körpereigene Schwerkraft auf einen unendlich kleinen dichten Punkt zusammengeschrumpft werden, der sogenannten Singularität. In ihr enden die uns bekannten physikalischen Gesetze. Was jenseits unserer Vorstellungskraft liegt, scheint im Schwarzen Loch Normalität zu sein: Der Raum und die Zeit verschmelzen in einem unendlich heißen und dichten punktförmigen Inferno zu einem Nichts. Doch damit nicht genug. Viele Experten gehen davon aus, dass der Raum und die Zeit letzten Endes nur dahin zurückkehren, woher sie ursprünglich gekommen waren: In eine Singularität, wie sie auch vor dem Beginn des Universums, vor dem Urknall als raum- und zeitloses unendlich kleines, dichtes Gebilde "existiert" hat. Aus einer Singularität entstanden, würde die Schöpfung in derselben enden.

Wenn ein Schwarzes Loch vielleicht in einem Nichts endet, so entsteht es aber nicht aus dem Nichts. Denn seine Geburt steht in unmittelbaren Zusammenhang mit dem Tod seines "Muttersterns". Sind alle Energievorräte verbraucht, kann sich kein Stern des Universums seinem Schicksal entziehen. Er stirbt. Allerdings gibt es unterschiedliche Todesarten, die allein durch seine Masse bestimmt werden.

In ferner Zukunft: Roter Riese wird zum Weißen Zwerg

Unsere relativ massearme Sonne etwa wird sich erst in ferner Zukunft (4-5 Milliarden Jahren) zu einem Roten Riesen aufblähen, um dann - wie es in der märchenhaften Sprache der Astronomen heißt - als "Weißer Zwerg" zu enden. Ohne den nötigen Kernbrennstoff, den sie für die Umwandlung von Wasserstoff in Helium benötigt, kann sie den drohenden Gravitationskollaps nicht länger in Schach halten. Die Schwerkraft gewinnt die Oberhand: Aus dem einstigen Licht- und Wärmespender wird eine sich langsam abkühlende Sternenleiche von einigen tausend Kilometern Durchmesser, in der die Atomkerne dicht an dicht gedrängt werden. Sterne mit einer noch größeren Masse verdichten sich dagegen nach einer gewaltigen Explosion (Supernova) praktisch zu einem einzigen riesigen Atomkern. Von diesen Neutronensternen (Pulsaren) haben sich mittlerweile eine ganze Reihe einen festen Platz in astronomischen Lehrbüchern erobert. Man sollte meinen, eine weitere Steigerung sei nicht möglich - und doch gibt es eine: das Schwarze Loch.

Wenn ein Stern mit der mindestens 3,2-fachen Masse der Sonne kollabiert, erliegt er seiner eigenen Gravitation und durchbricht mit einer unglaublichen Durchschlagskraft sogar das Stadium des Pulsars. Je höher seine Masse ist, desto heftiger wird sein Kollaps. Angetrieben von seiner Schwerkraft fällt der Stern innerhalb einer Zehntausendstelsekunde in sich zusammen und endet unweigerlich in einem Schwarzen Loch. Das neue Leben, das der sterbenden Sonne hierbei eingehaucht wird, hat mit ihrer vorangegangenen Existenz kaum mehr etwas gemeinsam. Wo vorher noch ein Gestirn von Millionen Kilometern Durchmesser strahlte, entsteht mit einem Male ein Gebilde, dessen Radius nur wenige Kilometer misst. Dabei ist von der ursprünglichen Sternenmasse, die in das Schwarze Loch übergegangen ist, nichts verloren gegangen. Nur ist sie materielos geworden. Gleichsam dem Ende der Raumzeit gehen auch Atome und Elementarteilchen in der Singularität verloren. Ebenfalls werden sie förmlich zusammengequetscht (unser Planet hätte als Schwarzes Loch nur die Größe eines Tischtennisballs, aber immer noch dieselbe Masse). Nur die elektrische Ladung und der Drehimpuls des Schwarzen Loches erinnert an den früheren "Mutterstern".

Der Heißhunger, den diese kosmischen Allesfresser unmittelbar nach ihrer Geburt entwickeln, sucht seinesgleichen in der unendlichen Weite des Weltalls. Verantwortlich für diesen enormen Appetit ist die Anziehungskraft der entkörperten Masse, die im Innern des Schwarzen Loches "wächst". Sie giert geradezu nach Energie, um ihre Dichte zu erhöhen. Je mehr Energie dabei im Zentrum komprimiert wird, desto größer wird die Gravitation. Durch die entstandene stärkere Schwerkraft wird noch mehr Energie eingesogen. Diesem Teufelskreislauf kann sich auch die schnellste uns bekannte Energieform, das Licht, nicht entziehen. Trotz einer Fluchtgeschwindigkeit von annähernd 300.000 Kilometer in der Sekunde fällt es direkt in den Schlund des Schwarzen Loches, um dort schließlich verfüttert zu werden. Dass den Wissenschaftlern beim Beobachten dieses Vorganges selbst das Wasser im Munde zusammenläuft, hängt damit zusammen, dass sich die unsichtbaren Schwarzen Löcher, wenn sie etwa einen Stern verspeisen, durch intensive Röntgenstrahlung (manchmal auch per Licht) zu erkennen geben. Mit hochempfindlichen Röntgensatelliten lässt sich mittlerweile jeder "Rülpser" eines Schwarzen Loches dokumentieren. Aber in der Regel bestimmen Diätkuren im sternenleeren All den Alltag dieser Energiemonster. Delikatessen wie etwa sonnenähnliche Sterne zählen zu den selten aufgetafelten kulinarischen Genüssen.

Centaurus A im Röntgenlicht. Zwei gewaltige Jets entspringen aus der Nähe des galaktischen Zentrums, in dem sich vermutlich ein superschweres Schwarzes Loch befindet.

Dabei bevölkern Schwarze Löcher das All in verschiedenen Größenklassen. Bislang gaben sich zwei grundverschiedene Varianten zu erkennen. Zum einem haben sich in den Tiefen des Alls normale, sogenannte stellare Schwarze Löcher von nur wenigen Kilometern Durchmesser eingenistet, die einem Muttergestirn entstammen, das nur einige Male schwerer ist als unsere Sonne. Andererseits präsentieren sich die supermassiven Schwarzen Löcher mit rund einer Million bis zu einer Milliarde Sonnenmassen als Quelle intensivster Strahlung. Zu dieser Kategorie zählt auch das "Biest" im Zentrum unserer Galaxis, das - wie seine Kollegen, die sich in anderen galaktischen Zentren tummeln - durch seine ungeheure Schwerkraft Gas, Staub und sogar ganze Sterne so schnell verschlingt, dass die einfallende Materie sich auf Millionen von Grad aufheizt und daher im ganzen Spektrum, aber auch im sichtbaren Bereich hell leuchtet. Die Spitzenreiter unter ihnen sind Quasare, jene galaxiengroßen riesigen Gebilde am Rande des Universums, die trotz ihrer enormen Entfernung so viel Energie abstrahlen, dass in deren Innern nur ein riesiges Schwarzes Loch hausen kann.

Bis vor kurzem war völlig unbekannt, dass im Universum auch Miniversionen von supermassiven Schwarzen Löchern ihr Dasein fristen. Wie britische und japanische Wissenschaftler um Kazushi Iwasawa und Andrew Fabian von der University of Cambridge erst kürzlich berichteten, hat der von ihnen entdeckte neue kosmische Staubsaugertyp eine Masse von einigen zehntausend bis hunderttausend Sonnen. Auch sie befinden sich wie ihre supermassiven Kollege im Zentrum aktiver Galaxien, die allerdings nicht so leuchtstark wie Quasare oder andere aktive Galaxien sind. Die Forscher entdeckten das erste Mittelgewicht unter den Schwarzen Löchern mit dem japanischen Röntgensatelliten ASCA (Advanced Satellite for Cosmology and Astrophysics) im Zentrum der Galaxis NGC 4395.

"Jetzt sehen wir, dass die Quelle im Kern von NGC 4395 eine kleinere Version eines schwarzen Loches ist, wie es sie in den hellsten Galaxien gibt", erklärt Fabian. Iwasawa und fügt hinzu: "Die neuesten Untersuchungen mit Hubble und anderen Teleskopen zeigen, dass massive dunkle Objekte überall in Galaxienzentren erscheinen. Diese dunklen Objekte sind wahrscheinlich schwarze Löcher, und wir beginnen zu erkennen, dass es sie in den verschiedensten Größen gibt."

Ein interessanter Kurzfilm zu den "Black Holes"