Gefühl als Gleitmittel des Geschäfts

Seite 2: Ein unbedingt politischer und bitterer Film

Luhrmann ist der ideale Regisseur, um eine Geschichte darüber zu erzählen, wie Kitsch zu einem Mittel wird, um den US-amerikanischen Traum zu kontrollieren.

Denn "Elvis" ist ein unbedingt politischer und bitterer Film. Er handelt von diesem "amerikanischen Traum" und davon, wie die Politik, die sich immer wieder neu positioniert, um ihre Ordnung aufrechtzuerhalten, das unterdrückt, was gegen den Strom schwimmt.

Bild: Warner Bros. Entertainment

Baz Luhrmann ist ein Aufklärer im Sinne der Postmoderne: einer, der dekonstruiert, einer, der das Skelett der großen Erzählung namens Elvis Presley freilegt und der den Star als Konstrukt einer Starindustrie, das Gefühl als Gleitmittel des Geschäfts und die Moral als Maske der Macht offen zur Schau stellt.

So ist Elvis auch hier das, was er auch im echten Leben vor allem war: In erster Linie eine Figur für die Bühne und lange Zeit das willenlose Objekt allerlei Begehrlichkeiten: seiner Fans, seiner Liebhaberinnen, seiner Mutter und vor allem seines Managers.

Denn der Rummelplatz-Experte Parker wittert sofort die Sensation, als er Elvis sieht. Er spürt: Die Wirkung dieses Sängers, sein Gesang und die Bühnenshow gehen über das Alltägliche hinaus. Parker katapultiert Elvis' auf die Karrierebahn – doch bald widersetzt sich das Geschöpf dem strengen Manager.

Zugleich ist er natürlich trotz allem der Titelheld. Auch wenn er im Film über große Längen die Rolle des Objekts und Nebendarstellers übernimmt, ist er für die Wirkung von entscheidender Bedeutung – und der relativ unbekannte Austin Butler liefert eine bewundernswerte Leistung als Presley ab, indem er dessen Manierismen perfekt einfängt und zugleich – was noch wichtiger ist – dem Musiker Menschlichkeit und Verletzlichkeit einflößt und dessen Zerbrechlichkeit im Laufe der Erzählung immer deutlicher macht.

Ein Film al fresco

Das Ergebnis ist das Porträt eines musikalischen Superhelden, aber eben auch eine scharfe Analyse der Starindustrie, des Ineinandergreifens von Ausbeutung und Versprechen, Verführung und Verdienst. Der ausschweifendem barocke Stil des Australiers – Splitscreens, Zeitlupen, Gewitter aus schnellen Montagen, symbolische Vermischungen von Objekten, zum Beispiel dem Stock des Colonels und dem "Banditenarm" eines Spielautomaten – passt dazu perfekt.

Auch Baz Luhrmann, der schon immer einer war, der die große Geste und den Aplomb liebte, hat in Elvis Presley einen Gegenstand gefunden, der seinem melodramatischen Stil und seiner opernhaften Filmsprache überaus angemessen ist. Mit Wucht wirft er die Gefühle der Figuren und die Farben der Kostüme al fresco und gleichberechtigt auf die Leinwand – ein abstrakter Expressionist des Kinos, dessen Filme immer glitzernder, mit falschen Diamanten besetzter Rock'n'Roll sind.

Jederzeit wird dem Zuschauer deutlich gemacht, dass hier kein Realismus angestrebt wurde; Luhrmanns Kino ist ein materialistisches Kino der Effekte und Objekte, ein Kino, das seine Mittel nie zu verbergen sucht, sondern offen zur Schau stellt – aber auch nicht als intellektueller Verfremdungseffekt – sondern mit dem Stolz des Neureichen, der sich einen Rolls-Royce leisten kann und das natürlich auch tut: "Schaut her, was ich alles kann und mich einfach mal zu machen traue."

Kino der dynamischen Übertreibung

Für Elvis Presley und die Kulturrevolution, die sein Stil noch mehr als seine Musik bedeutete, ist das ganz und gar angemessen. Luhrmann visualisiert diese Wirkung in furiosen Montagen: Er springt von der Bühne zu den Frauen im Publikum, aus dem Gesang ins Gestöhn, aus der musikalischen Bewegung in die sexuelle.

Es ist ein Kino des Schocks und der dynamischen Übertreibung – dies ist kein Zufall, sondern eine kalkulierte Tugend des Australiers – dem einmal mehr mit "Elvis" ein großartiger, hochunterhaltsamer Kinofilm gelungen ist.