Gegen Deutschland und den "Drachen EU": Polens Unabhängigkeitsmarsch

Eine der "Ordnungstruppen" beim Aufmarsch zum Unabhängigkeitstag. Foto: Jens Mattern

Der Ton wird schärfer: Was die polnische Gesellschaft spaltet und warum ausgerechnet der Justizminister zum "zivilen Ungehorsam" aufrief

Die Deutschen, die wollten den Polen die kulturelle Identität nehmen und das Land mit Hilfe der EU mit Migranten besetzen; die Opposition sei "Gesindel", das Polen gegenüber der EU verrate. So die politische Einschätzung von Robert Bakiewicz, dessen Stimme von Lautsprecheranlagen tönt, über der Menge auf dem Dmowski-Rondell, die in weißrote Fahnen und hellen Rauch von abgebrannten Feuerwerkskörpern gehüllt ist.

Die Versammlung zum Unabhängigkeitstag am Donnerstag in Polen war eigentlich per Gerichtsentscheid verboten worden. Sicherheitsbedenken und die Verbreitung nationalistischer Parolen waren die Argumente, die der liberale Oberbürgermeister und Antragssteller Rafal Trzaskowski vorbrachte. Doch die Organisatoren erhielten die Unterstützung der Regierung.

"Nicht zum Verkauf" war das diesjährige Motto Marsches, an dem nach Veranstalter-Angaben 100 000 Personen teilnahmen. Und Bakiewicz, mittlerweile einer der bekanntesten Rechtsradikalen Polens und Organisator des Aufmarsches, hatte wieder einen seiner großen Auftritte. Er entstammt dem "Nationalradikalen Lagers" (ONR) - einer Organisation, die in den 1930er-Jahren nach dem Vorbild der faschistischen spanischen Falange in Polen gegründet wurde.

Mission: Elitenbildung

Marta, eine Studentin, die ONR-Flugblätter am Randes des Marsches verteilt, erklärt "Nicht zum Verkauf" so: "Wir wollen unsere nationale Souveränität nicht an die EU verkaufen, die uns ihre Regeln aufzwingen will." Die EU-Kommission hält derzeit Gelder zurück, da Polen seine Justizreform nicht ändern will, bei der die nationalkonservative Regierung zunehmend Kontrolle über die Gerichte übernommen hat.

"Wir sollten uns nicht erpressen lassen", so Marta, die äußerlich keinesfalls Merkmale einer Rechtsradikalen aufweist - ganz anders als die schreienden Durchschnittsmitglieder, die auf der Straße in Militärklamotten unterwegs sind. "Unsere Mission ist die Bildung einer Elite" so heißt es in ihrem Flugblatt.

Elitär gibt sich auch der Chef. Mit einer Gruppe von mehr als 20 Uniformierten: In Schutzweste trabt Bakiewicz nach der Ansprache durch die Zuschauermenge, die ihm rasch Platz zu machen hat, wie ein Uniformierter mittels Megaphon kundtut. Die Polizei ist in großer Anzahl in der Nähe, aber nicht sichtbar. Vielmehr präsentieren sich Personen in Tarnuniform des ONR und der ebenfalls aus den 1930er-Jahren stammenden "Allpolnischen Jugend" als omnipotente Ordnungsmacht.

"Unser Onkel ist Soldat"

Ein emotionales Thema ist auch die Situation an der Grenze zu Belarus, wo mehrere Tausend Migranten aus dem Nahen Osten über Polen nach Deutschland oder andere westliche Länder wollen. Beamte des Grenzschutzes marschieren mit und tragen eine lange Nationalfahne. "Unser Onkel ist Soldat und wir sind stolz darauf" steht auf dem Plakat einer Familie, die Mutter der Kinder erzählt stolz von ihrem Bruder, der an der Grenze die Souveränität des Landes verteidige.

Ungut ist man auf die deutsche Flagge und die Regenbogenfahne, welche für die Rechte der sexuellen Minderheiten steht, zu sprechen. Erstere wird verbrannt, die zweite gilt als Fußabwischer vor dem ONR-Stand, wo man den deutschen Fragesteller über die politische Situation aufklärt. Ein Besatzer Polens sei die EU noch nicht, aber auf dem Weg dorthin.

Die Teilnehmer der Demonstration zeigen sich aggressiver: "Rotes Gesindel" wird gerufen und die Faust gereckt. Auf einem Plakat besiegt der heilige St. Georg den Drachen EU. Seit seinem ersten Erscheinen 2010 sorgt der Unabhängigkeitsmarsch für Kontroversen. Gefeiert wird offiziell die polnische Unabhängigkeit, die zweite Staatsgründung, die mit der Ausrufung der Republik von Generalmarschall Jozef Pilsudski auf den 11. November 1918 fiel.

Zuvor hatte Polen durch Aufteilung durch Russland, Preußen und Österreich 123 Jahre lang nicht als Staat existiert. Der Aufmarsch der Rechten und Rechtsradikalen, bei dem der weißen Rasse gehuldigt wird, gewann immer mehr an Größe und Akzeptanz in der polnischen Gesellschaft, seit 2016 verläuft er auf der groß angelegten Jerusalem-Allee, im Jahre 2018 nahm sogar die nationalkonservative Regierung an ihm teil.

Zugleich zieht der Aufmarsch Rechtsradikale aus vielen Teilen Europas an, gilt er doch bei seinen Fans als Gegenbewegung zum westlichen, liberalen Gesellschaftsmodell.

Der Aufruf des Justizministers

Dabei kommt es immer wieder zu Gewalt. Bei der letzten Veranstaltung dieser Art waren 35 Polizisten verletzt worden und eine Wohnung durch Feuerwerkskörper abgebrannt. Das gerichtliche Verbot des Aufmarsches hob die nationalkonservative Regierung Anfang dieser Woche auf rechtswidrige Weise wieder auf: Justizminister Zbigniew Ziobro forderte Anfang dieser Woche die Polen auf, als Akt des "zivilen Ungehorsams" an der Veranstaltung teilzunehmen, eine Regierungssprecherin sprach vom "Staatscharakter" des Marsches.

Die Nationalkonservativen sind aufgrund ihrer instabilen Mehrheit im Sejm auf Rechtsaußen angewiesen, die im Sejm durch das Bündnis "Konföderation" und die Kleinpartei "Kukiz15" vertreten werden. Diese sind verbandelt mit dem Organisator Robert Bakiewicz, der aus dem ONR stammt. Im vergangenen Herbst gründet er die "Nationale Wacht", eine Gegenorganisation zum "Frauenstreik", der gegen die Verschärfung der Abtreibungsgesetze protestierte.

Eine kleine Alternativ-Parade, zu der linke Gruppen eingeladen hatten, lief durch Polizeikräfte abgeschirmt im südlichen Zentrum ab. Hier durfte die Regenbogenfahne wehen. Aber auch dort ist man nicht unbedingt über Beobachter aus dem Ausland erfreut. Zuviel negative Berichterstattung scheint auch Linke und Liberale zu nerven.

"Wir feiern das Ende der polnischen Teilung und den Beginn der polnischen Souveränität und wo wir das tun, das geht die ausländischen Medien nichts an", meint ein gut gekleideter Mann mit Sonnenbrille, der im Vorfeld auf den Beginn der Demonstration wartet. "Es geht um die polnische Freiheit", so Joanna, eine Frau mit Rastazopf, "aber wir können uns nicht einigen, sie zusammen zu feiern."

Die Polizei ging aufgrund der unklaren Lage definitiv von Ausschreitungen aus und veröffentlichte die "Zehn Gebote" für die Medienvertreter. "Dein Leben und deine Gesundheit ist mehr wert als eine gute Kameraeinstellung", war dort zu lesen. Die Ausschreitungen blieben diesmal aus. Die verbalen Auswüchse gegen die Opposition, Deutschland waren das wirklich Beunruhigende.

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