Gegen Flüchtlinge aus Afghanistan: Türkei baut Mauer zum Iran
Die Türkei wird bei der zu erwartenden Flüchtlingswelle aus Afghanistan eine zentrale Rolle als Gatekeeper für die EU spielen. Dort sieht man sich bestenfalls für "Ortskräfte" und besonders Gefährdete verantwortlich
Im Unterschied zu den übrigen Nato-Staaten, die noch dabei waren, ihre Truppen aus Afghanistan abzuziehen und angeblich überrascht waren, dass das militärisch gestützte politische System wie ein Kartenhaus zusammengebrochen ist, hatte sich die Türkei bereits auf eine Flüchtlingswelle aus dem Land vorbereitet.
Allerdings auch die EU-Kommission, auch wenn EU-Länder wie Deutschland weiter Afghanen in das angebliche sichere Land abschoben.
Eigentlich mussten alle gewusst haben, was kommen wird, wenn die Taliban wieder Afghanistan kontrollieren und zu einem islamischen Staat umformen. Hinzu kommt, dass 18 Millionen Menschen in dem Land, in dem der Westen die Regierung aufgebaut und geschützt hat, auf humanitäre Hilfe angewiesen sind. Afghanistan ist eines der ärmsten Länder geblieben, was nicht gerade für die westliche Interventionspolitik spricht.
Schon beim ersten Mal flohen Millionen, darunter auch die während der säkularen Zeit unter russischer Kontrolle Aufgewachsenen. Auch während der 20 Jahre Krieg versuchten viele, das Land zu verlassen und gelangten dabei auch nach Europa. Und jetzt werden wieder viele zunächst in die Nachbarstaaten zu fliehen versuchen.
Zudem ist damit zu rechnen, dass Anti-Taliban-Kräfte, die sich im Pandschirtal sammeln, Widerstand gegen die Taliban leisten werden und damit ein Bürgerkrieg ausbricht, während al-Qaida und der Islamische Staat ihre Aktivitäten nicht einstellen werden.
Der frühere afghanische Vizepräsident Amrullah Saleh, der auch längere Zeit der Chef des afghanischen Geheimdienstes war, hat sich bereits als Übergangskandidat bezeichnet. Er scheint mit Ahmed Shah Massoud, dem Sohn des legendären Nordallianzführer Massoud, eine Allianz zu schmieden und verkündet, sich niemals den Taliban zu unterwerfen.
Auch Teile der afghanischen Armee sollen zwar vor den Taliban geflohen sein, sich aber den Gegnern der Taliban anschließen. Die Taliban rekrutieren sich aus den Paschtunen, im Pandschirtal leben vor allem Tadschiken, auch viele Mitglieder der afghanischen Armee waren Tadschiken.
Ob die Anti-Taliban-Front allerdings Unterstützung aus dem Ausland erhält, wie das bei der Nordallianz der Fall war, bleibt abzuwarten. Derzeit suchen die Nachbarländer Kontakte mit den Taliban, um ihre Bürger aus dem Land zu bekommen und zu verhindern, dass Flüchtlinge oder Extremisten über die Grenzen gelangen.
Während das von den Taliban regierte Afghanistan nur von Saudi-Arabien anerkannt wurde, ist damit zu rechnen, dass nun mehr Staaten das islamische Emirat unter gewissen Bedingungen anerkennen werden.
Türkei baut Mauer an der Grenze zum Iran
Auch China, Iran, Indien und Russland strecken ihre Hände aus, allerdings hat Russland zusammen mit Tadschikistan und Usbekistan schon Antiterror-Militärübungen abgehalten, die aber wohl primär darauf abzielten, die Grenzen zu sichern.
Die Türkei konnte bereits mit EU-Geldern die 900 km lange Grenze zu Syrien durch eine Sperranlage "sichern", um keine weiteren Flüchtlinge ins Land zu lassen und die Grenzübergänge kontrollieren zu können.
Dies auch, um die syrischen Kurden auszusperren und die Anti-Assad-Dschihadisten in Syrien weiter versorgen zu können. Dazu kommen jetzt die von der Türkei und den übernommenen Milizen militärisch besetzten südsyrischen Gebiete, die hauptsächlich von Kurden bewohnt waren.
Schon 2017 wurde auch damit begonnen, an der 500 km langen Grenze zum Iran eine Mauer aus sieben Tonnen schweren, drei Meter hohen und zwei Meter dicken Betonblöcken mit Stacheldraht und einem vier Meter tiefen Graben zu bauen.
Die Schutzmauer dient der Flüchtlingsabwehr, da über den Iran "illegale Flüchtlinge" in die Türkei kommen, während die syrischen Flüchtlinge erst einmal vorübergehend aufgenommen wurden. Wie sich Medienberichten entnehmen lässt, sind die Arbeiten aber nicht sonderlich schnell vorangeschritten.
Allerdings stellen für die türkische Regierung die afghanischen Flüchtlinge, schon jetzt das zweitgrößte Kontingent nach den Syrern, zunehmend ein Problem dar, weil in der Türkei die Ablehnung auch der syrischen Flüchtlinge immer stärker wird und – wie kürzlich – in Gewalt umschlägt.
Nach Umfragen will eine Mehrheit der Türken, dass die Flüchtlinge das Land verlassen. Die Stimmung ist explosiv. Die Oppositionspartei CHP macht Stimmung gegen Flüchtlinge. An der Parteizentrale wurde gestern ein großes Plakat mit dem Text "Grenzen sind unser Stolz" befestigt.
Im Iran leben bereits vor der Machtübernahme der Taliban 3,5 Millionen Afghanen, darunter zwei Millionen ohne Dokumente und fast eine Million registrierte Flüchtlinge. Nur 450.000 afghanische Flüchtlinge haben Aufenthalts- und Arbeitsgenehmigungen.
Afghanen werden auch angeworben oder gezwungen, in Milizen in Syrien zu kämpfen. Das durch die Sanktionen wirtschaftlich darniederliegende Land muss jetzt mit einer weiteren Flüchtlingswelle rechnen.
Unruhe in Türkei nimmt zu
Iran versucht, die afghanischen Flüchtlinge wieder nach Afghanistan abzuschieben, das aber verstärkt die Angst und den Druck bei den übrigen, das Land Richtung Türkei und Europa zu verlassen. Die Türkei wirft dem Iran vor, afghanische Flüchtlinge an die türkische Grenze zu bringen.
Bislang halten sich in der Türkei nach den UN "nur" 140.000 Flüchtlinge aus Afghanistan auf. Schätzungen gehen davon aus, dass es bereits weit mehr sein könnten, bis zu einer halben Million.
Aus Angst vor innenpolitischem Aufruhr hat sich die türkische Regierung, politisch auch angeschlagen durch die Waldbrände, vehement gegen das US-amerikanische Ansinnen gewehrt, die Grenzen für afghanische Flüchtlinge zu öffnen.
Nach der Machtübernahme der Taliban will die Türkei auch nur noch in Absprache mit diesen den Flughafen sichern und verspricht ansonsten Kooperation.
Erdogan meinte denn auch, man habe ja nichts gegen deren Glauben. Und er ist lange mit Warlord Gulbuddin Hekmatyar befreundet, der neben Abdullah Abdullah und Hamid Karsai in Gesprächen mit den Taliban über eine Regierungsbildung ist.
Bis Ende Juli waren von der Mauer an der iranischen Grenze erst 3,5 Kilometer fertiggestellt, 76 Türme mit Überwachungskameras errichtet und 110 km an Gräben ausgehoben worden. Aber seitdem wurden die Arbeiten an der Mauer beschleunigt, um eine undurchdringliche Grenze herzustellen.
Bis 15. August sollen aber auch erst insgesamt fünf Kilometer gebaut worden sein. Verteidigungsminister Hulusi Akar hat vor wenigen Tagen demonstrativ die Grenzschutzmaßnahmen besichtigt und erklärt, dass die Grenzsicherung massiv verstärkt worden sei.
Davor zirkulierten Videos, die zeigen sollen, wie hunderte Afghanen über die Grenze in die Türkei gelangen. Berichtet wird, dass in der letzten Zeit täglich um die 1.500 Afghanen, meist junge Männer, in die Türkei gekommen seien. Zwar seien es durch die verschärfte Grenzüberwachung weniger geworden, es würden aber jetzt zunehmend mehr an der Grenze warten.
EU will Abkommen mit Türkei wohl verlängern
Laut türkischen Medien will die EU, das Flüchtlingsabkommen mit der Türkei auch deswegen verlängern, dass keine Flüchtlinge über die Türkei nach Europa gelangt, das sich schon als Festung aufgerüstet hat.
Es hätten schon europäische Staaten vorgeschlagen, die Türkei zu bezahlen, um die Flüchtlinge aufzunehmen. Die britische Tageszeitung Guardian hatte Ende Juni berichtet, dass die EU-Kommission einen Vorschlag erarbeitet habe, drei Milliarden Euro an Flüchtlingshilfe an die Türkei zu zahlen, mit denen auch die Sicherung an der östlichen Grenze finanziert werden soll, also womöglich auch die Mauer an der iranischen Grenze.
Griechenland betrachtet offenbar die Türkei als sicheres Land, um afghanische Flüchtlinge abzuschieben. Die Devise ist, 2015 dürfe sich nicht wiederholen, was heißt, Flüchtlinge sollen vor Ort bleiben und nicht nach Europa kommen.
Die afghanischen Flüchtlinge will niemand, das ist die bittere Wahrheit für die Menschen, die der Taliban-Herrschaft und dem Elend entkommen wollen.
Man wird wenige Afghanen im Westen aufnehmen, aber keine Verantwortung für die Bevölkerung übernehmen, die man mit Krieg überzogen, allerdings auch eine korrupte und florierende Elite geschaffen und vielen vor allem in den Städten versprochen hat, dass es eine andere Zukunft jenseits des männerdominierten Islamismus geben kann.
Der aber wurde, etwa mit den Madrassas in Pakistan, von den Golfstaaten, insbesondere von Saudi-Arabien, befördert, mit denen der Westen enge wirtschaftliche Beziehungen hat. Es muss den Afghanen klar werden, dass sie nur Statisten für die Durchsetzung westlicher Interessen waren, ihre Länder auch am Hindukusch zu verteidigen.
Das hat eine Blutspur hinterlassen und diejenigen islamistischen Nationalisten stark gemacht, die eigentlich an den Rand gedrängt werden sollten.
Sie sind nun nicht nur in Afghanistan, sondern auch in Asien, im Nahen Osten und in Afrika verbreitet. Dem von Samuel Huntington prophezeiten Kampf der Kulturen hat der Westen unter der Führung der USA massiv nachgeholfen. Die Taliban, al-Qaida und der Islamische Staat sind die Früchte der militärischen Interventionspolitik.
Der Artikel ist zuerst auf Krass & Konkret erschienen, wo es mehr von Florian Rötzer gibt.