Gehirnoperation gegen Zweifeln

Die Patientin kurz nach der Operation mit dem Neurochirurgen und ihrem behandelnden Psychiater in Regensburg. Quelle: Universitätsklinikum Regensburg

Wie sich Uniklinik Regensburg und Süddeutsche Zeitung aufs Glatteis wagen

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Um Missverständnisse zu vermeiden, gleich eine Sache vorweg: Ich denke nicht, dass es hier um einen großen Skandal geht. Das Behandeln psychischer Störungen mit Gehirnoperationen ist aber natürlich ein graues Gebiet. Darüber werde ich im Folgenden kurz schreiben.

Das Hauptproblem besteht hier für mich darin, wie voreilig die Universitätsklinik Regensburg in aller Öffentlichkeit das Schicksal einer Patientin vermarktet. Ist das ein Skandälchen? Warum sich damit die Klinik - und in der Folge nun auch die Süddeutsche Zeitung - aufs Glatteis wagt, will ich ausführlicher darlegen.

Kurze Geschichte der Psychochirurgie

Doch fangen wir mit einem historischen Rückblick an: Gehirnoperationen bei psychiatrischen Patienten - oder kurz Psychochirurgie - waren lange in Verruf geraten. Das lag vor allem an den forschen Behandlungen des amerikanischen Arztes Walter Freeman, der in den 1930er bis 1950er Jahren bei mehreren tausend Menschen, vor allem Frauen und auch ein paar Minderjährigen, eine sogenannte Lobotomie durchführte. Dabei trennte er mit einem Eispickel-artigen Instrument durch die Augenhöhle Teile des Frontallappens vom Rest des Gehirns ab.

Die Methode war von Anfang an umstritten. Patienten wurden nach dem Eingriff oft apathisch und verloren ihr Interesse und ihren Antrieb (übrigens Kernsymptome von Depressionen). Ihre Persönlichkeit schien wie verändert. Nicht wenige starben sogar oder begingen später Suizid. Sensationsberichte in den Medien, Freemans geschickte Selbstvermarktung und spätestens der Nobelpreis im Jahr 1949 für den portugiesischen Neurologen António Egas Moniz, der das Verfahren entwickelt hatte, ließen Kritiker aber verstummen.

Aufgrund der Nebenwirkungen und Komplikationen rückte man nach und nach davon ab - und weil neue Psychopharmaka auf den Markt kamen. Als erstes Land zog 1950 ausgerechnet die Sowjetunion wegen moralischer Bedenken einen Schlussstrich, wie der Medizinhistoriker Benjamin Zajicek von der Townson University im US-Bundesstaat Maryland erst kürzlich beschrieb. In Schweden machte man allerdings noch bis in die 1960er damit weiter, in Frankreich gar bis in die 1970er. In Deutschland war man - wohl unter dem Eindruck der ärztlichen Verfehlungen während des Zweiten Weltkriegs - von Anfang an sehr zurückhaltend gewesen.

Im selben Zeitraum entwickelte der spanische Neurophysiologe José Delgado, der es 1946 an die renommierte Yale-Universität geschafft hatte, Verfahren zur Implantation von Elektroden ins Gehirn weiter. Besonderes Interesse galt dabei aggressivem Verhalten von beispielsweise Katzen oder Affen. Diese Tiere konnte er durch elektrische Stimulation zum Angriff zwingen - oder umgekehrt auch zur Unterwerfung. Sein Versuch, damit einen Stier zu bändigen, ging durch die Medien.

Experimente an Menschen - vor allem sozialen Außenseitern wie Kriminellen oder Prostituierten - folgten. Delgado schwebte gar die Vision einer "psychozivilisierten Gesellschaft" vor, in der sich die Menschen durch elektrische Gehirnstimulation friedlich verhalten. In seinem Buch zur "physikalischen Kontrolle des Geistes" machte er seine Ideen 1969 einer breiten Öffentlichkeit zugänglich (Technologie der Unterwerfung).

Tiefe Hirnstimulation in unserer Zeit

In den 1980ern half man Patienten im Spätstadium von Parkinson durch die Implantation von Elektroden und elektrische Stimulation, wenn die Medikamente nicht mehr wirkten. Das Verfahren gilt heute als erprobt, auch wenn sich Risiken wie beispielsweise Gehirnblutungen durch eine Gefäßverletzung bei dem chirurgischen Eingriff nicht ganz ausschließen lassen. Zurzeit findet übrigens ein Umdenken statt, dass man die Operation bereits im früheren Krankheitsstadium vornimmt, um langfristigere Erfolge zu erzielen.

Der Durchbruch der nun als "tiefe Hirnstimulation" bekannten Prozedur in der Neurologie brachte in den 2000ern auch Psychiater auf den Gedanken, ob sich damit nicht psychische Störungen behandeln lassen. Das scheint im heute vorherrschenden molekularbiologischen Paradigma in der Psychiatrie nur logisch. Voraussetzung für die Operation ist in der Regel, dass den Patienten Psychotherapie und Psychopharmaka nicht halfen, ihr Leiden aber sehr schwer ist. Am häufigsten führte man solche Eingriffe bisher bei Patienten mit einer diagnostizierten Depression oder Zwangsstörung durch.

Zur Theorie psychischer Störungen

Bevor wir uns den neuen Fall genauer anschauen, sei hier noch einmal daran erinnert, dass auch das Gebiet der psychischen Störungen eine Grauzone ist: Eigentlich wissen wir nach wie vor nicht genau, was wir (beziehungsweise Psychiater und andere Ärzte sowie Psychotherapeuten) da behandeln. Experten legen alle paar Jahre wieder neue Richtlinien fest, was als "normal" gilt und was als "Störung" (Die "amtliche" Fassung).

Obwohl das molekularbiologische Denken weit verbreitet ist, lässt sich nach wie vor keine einzige der Störungen im Gehirn oder in den Genen diagnostizieren - obwohl man seit über 170 Jahren nach solchen Merkmalen sucht. Die Idee, dass man es in der Psychiatrie und klinischen Psychologie mit denselben Entitäten zu tun hat wie im Rest der Medizin, steht auf wackeligen Beinen.

Wörter wie "Depressionen" (fachlich korrekter: "Major Depressive Disorder") oder "Zwangsstörung" geben den Anschein einer Klarheit, die es in der Praxis nicht gibt. Damit ist mitnichten behauptet, dass das Leiden der Betroffene nicht real ist. Es fällt aber in den Bereich der Subjektivität, den die Wissenschaft und insbesondere die biomedizinische Forschung aber gar nicht so genau erfassen können.