Gehirnoperation gegen Zweifeln

Seite 2: Tiefe Hirnstimulation in Regensburg

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Nun berichtete die Pressestelle des Universitätsklinikums Regensburg am 11. Februar, dass man dort zum ersten Mal auf der Welt einer Patientin mit einer Zwangsstörung einen "neuen Hirnschrittmacher" implantiert habe. Eine Korrektur noch: Die Abteilung heißt "Unternehmenskommunikation". Warum ist eine Uniklinik ein Unternehmen? Und warum hat sie eine eigene Abteilung für Kommunikation?

Der öffentliche Auftrag eines Universitätsklinikums besteht doch primär darin, Patienten mit Behandlungen auf dem Stand der Wissenschaft zu versorgen; außerdem soll Forschung stattfinden, um bestehende Behandlungen zu verbessern oder neue zu entwickeln. Nun müssen Kliniken seit einigen Jahrzehnten aber Gewinn erzielen. Das war und ist der politische Wille.

So wurden sie zu Unternehmen. Den ärztlichen wurden betriebswirtschaftliche Direktoren an die Seite gestellt, die in vielen Fragen das letzte Wort haben. Daher also: "Unternehmenskommunikation" mit - in Regensburg - immerhin drei festen Stellen, während viele Wissenschaftler im Prekariat herumkrebsen müssen. Das ist nicht nur ein Seitenhieb aufgrund eigener Erfahrungen (ich arbeitete früher an zwei verschiedenen Unikliniken), sondern auch für das Folgende von Bedeutung.

Die Presseleute der Uniklinik Regensburg veröffentlichten nun am 11. Februar diese Mitteilung. In ihr erfahren wir von einer Patientin, Sarah Ulbrich (Name geändert), die gerade operiert wurde. Dabei bekam sie Elektroden ins Gehirn implantiert. Es heißt, dass die 36-Jährige seit ihrem 17. Lebensjahr unter Zwangsgedanken leidet: "Zwanghaft muss [sie] alles hinterfragen, besonders sich selbst."

Medikamente und Verhaltenstherapie hätten nicht geholfen. Zudem verschlechtere sich ihr Zustand. Zu den störenden Gedanken kämen Unsicherheit, Angst und ein immenser innerer Druck. Seit ein paar Jahren könne sie auch nicht mehr ihrer Arbeit als Sozialarbeiterin nachgehen.

Voller Erfolg des Eingriffs?

Nun, direkt nach dem Eingriff, gehe es ihr aber gleich besser: "So gut wie die letzten Tage habe ich mich lange nicht mehr gefühlt." Der Haken an der Sache ist allerdings: Das Gerät ist noch gar nicht aktiviert. Das soll erst im März geschehen. In dem Zeitungsartikel, auf den ich gleich noch kommen werde, nennt der Neurochirurg, der die Operation durchführte, dies einen "initialen Setzeffekt". Man könnte auch schlicht "Placebo" sagen.

Aus Forschung wissen wir zudem, dass viele psychiatrische Patienten sich allein schon dann besser fühlen, wenn sie vom behandelnden Personal Aufmerksamkeit erhalten. Ein auffälliger Unterschied zwischen Unternehmenskommunikation und Zeitung ist übrigens: Laut Uniklinik ist der Apparat "noch nicht einmal vollständig aktiviert". Da scheint eine noch bessere Wirkung kurz bevorzustehen! In der Zeitung steht aber, dass noch gar keine Stromimpulse erfolgen.

Das Besondere und weltweit Einmalige bestehe nun darin, dass der neue "Hirnschrittmacher" nicht nur Ströme erzeugen, sondern auch Gehirnsignale aufzeichnen könne. Da muss ich dem Neurochirurgen aber eine kleine historische Korrektur diktieren: Denn schon der bereits erwähnte Delgado verwendete Geräte, die Gehirnsignale nicht nur stimulieren, sondern auch aufzeichnen konnten.

Diese nannte er passend "stimoceiver" (aus englisch "stimulate" und "receive"). Freilich waren die damaligen technischen Möglichkeiten beschränkter als heute. Die passenden Konzepte aus Behaviorismus und Kybernetik etwa zur Konditionierung von Verhalten waren aber schon vorhanden.

Im Jahr 2020 sieht das dann so aus: Über eine Verbindung zur Smartphone-App soll die Patientin nun zu verschiedenen Zeitpunkten angeben, wie stark sie unter den Zwangsgedanken leidet. So soll das Gerät lernen, welche neuronalen Aktivierungen damit einhergehen und wie sich die negativen Gedanken am besten unterdrücken lassen.

Die Patientin registriert auf dem Smartphone die Stärke der Symptome in diesem Moment: leicht, mittel, schwer oder schlimm. Quelle: Universitätsklinikum Regensburg

Obwohl es laut den behandelnden Ärzten bis zu ein Jahr lang dauern kann, bis der Apparat richtig eingestellt ist, weiß die Pressestelle jetzt schon: "Das neue Schrittmachermodell ist erst seit Ende Januar überhaupt zur Therapie zugelassen und zeigt im Fall der ersten Patientin bereits Erfolg." Da passt ja hervorragend, dass es gleich die richtige Patientin für den Eingriff gab, wo andere mitunter Wochen oder gar Monate auf eine Operation warten müssen. Vielleicht passt auch alles irgendwie zu gut?

Auf den Zahn gefühlt

Als Psychologe (allerdings nicht: klinischer Psychologe) wundert mich erst einmal, dass der Patientin offenbar keine tiefenpsychologische Psychotherapie vermittelt wurde. Bei so tiefgreifenden Zweifeln überrascht es mich jedenfalls nicht, dass Medikamente und Verhaltenstherapie, die sich ja speziell auf Symptome und keine Ursachen beziehen, nicht geholfen haben. Aber gut, aus der Ferne lässt sich das nicht beurteilen. Ich vertraue darauf, dass die Ärzte alle Alternativen sorgfältig abgewogen haben - und hoffentlich auch eine unabhängige Ethikkommission eingeschaltet war.

Merkwürdig ist aber dann doch, dass die Klinik bereits am 11. Februar vollmundig von einem Erfolg spricht, wo die Therapie noch gar nicht richtig angefangen hat. Dafür wird sogar das Foto der Patientin im Internet zur freien Verfügung gestellt, wenn man sich nur auf den Sachverhalt bezieht. Jedenfalls wird die Frau mit den euphorischen Worten zitiert: "So gut wie die letzten Tage habe ich mich lange nicht mehr gefühlt."

Ich schickte am 14. Februar eine freundliche Anfrage an die Ethikkommission der Uniklinik Regensburg, ob das nicht etwas übertrieben ist, eine Patientin für solche Selbstmarketingzwecke zu gebrauchen, wo sich der therapeutische Nutzen noch gar nicht abschätzen lässt. Welche andere Botschaft transportiert die Pressemitteilung als: "Schaut her, wir in Regensburg bieten jetzt auch tiefe Hirnstimulation für psychische Störungen an - und die Methode wirkt." Im Vergleich hierzu Ziffer 14 aus dem Deutschen Pressekodex über Medizin-Berichterstattung:

Bei Berichten über medizinische Themen ist eine unangemessen sensationelle Darstellung zu vermeiden, die unbegründete Befürchtungen oder Hoffnungen beim Leser erwecken könnte. Forschungsergebnisse, die sich in einem frühen Stadium befinden, sollten nicht als abgeschlossen oder nahezu abgeschlossen dargestellt werden.

Pressekodex von 2017

Mich würde nicht wundern, wenn in der Uniklinik Regensburg bereits die ersten Anfragen von Patienten eingetroffen sind, ob sie ebenfalls operiert werden können. Als ich selbst noch in einem angrenzenden Forschungsbereich an einer Uniklinik arbeitete, wurde ich auch ein paarmal gefragt, ob ich eine tiefe Hirnstimulation vermitteln könne. Das waren meist junge Frauen mit depressiver Symptomatik.

Nun legte am 15. Februar die Süddeutsche Zeitung nach und berichtete ebenfalls über den Fall. In der Online-Ausgabe hieß es dazu:

Medizin: Frei von Sorgen

Was, wenn man Selbstzweifel und quälende Gedanken aus seinem Kopf verbannen könnte? An der Uniklinik Regensburg versuchten Ärzte genau das - und wollen so Menschen mit Zwangsstörungen helfen.

Süddeutsche Zeitung

Da war die Online-Redaktion meinem Eindruck nach etwas zu euphorisch. In der Druckausgabe (SZ Landkreise für Bayern vom 15. Februar 2020) schrieb Dietrich Mittler nämlich durchaus differenziert über die Therapie. Ob die Überschrift "Die Gedanken sind frei" so passend gewählt ist, ist allerdings Geschmackssache.

In diesem Zeitungsbericht erfahren wir noch ein paar Fakten, die die Pressemitteilung vom 11. Februar in einem anderen Licht erscheinen lassen: So habe die Patientin bereits an der Uniklinik Köln um eine derartige Operation gebeten; dort habe man sie aber abgewiesen, da sie "nicht die typischen Symptome einer Zwangsstörung" zeige. Damit steht aber die Diagnose in Regensburg auf wackeligeren Beinen, als das bei psychiatrischen Diagnosen sowieso schon der Fall ist.

Dass es von mir nicht übertrieben ist, von einer "Gehirnoperation" zu sprechen, zeigt übrigens der Originalton des Neurochirurgen: "Sie [also die Patientin] hat Hautschnitte hinter der Stirn-Haargrenze und zwei Bohrlöcher durch den Knochen, damit man die beiden Elektroden überhaupt in das Gehirn reinbringt." Auch die Aussage über den zu erwartenden Erfolg klingt in der Süddeutschen eher bescheiden: "Es gibt auch durch die neue Methode keine Heilung von dieser Zwangsstörung, sondern nur eine Linderung der Symptome."

Am Ende des Zeitungsartikels kommt dann aber die große Ernüchterung: "Mittlerweile hat sich Sarah Ulbrichts Zustand wieder verschlechtert. 'Die selbsterniedrigenden Zwangsgedanken sind wieder da, die Angst steigert sich', sagt sie." Wohlgemerkt: Zwischen der euphorischen Pressemitteilung der Uniklinik und dem SZ-Artikel liegen gerade einmal vier Tage!

Alles nur Marketing?

Um es zusammenzufassen: Es ist nicht klar, ob die Patientin die beste verfügbare psychologische Behandlung bekommen hat. Man möge mal in einer beliebigen Yogastunde die Frage stellen, ob jemand Probleme mit (Selbst-) Zweifeln habe - und sehen, wie viele Hände nach oben gehen. Nun wird das bei der operierten Frau schwerer ausgeprägt sein, wenn sie deshalb sogar ihren Beruf aufgeben musste. Aber wäre eine tiefenpsychologische Psychotherapie oder eine Behandlung gemäß dem neuen Mindfulness-Ansatz, der auf die Verringerung des psychischen Leidens durch Akzeptanz abzielt, nicht wenigstens einen Versuch wert gewesen, bevor man das Gehirn operiert?

Auch die Diagnosestellung ist durch die Entscheidung in Köln in Frage gestellt. Vor allem aber - und das ist mein Hauptpunkt - ist noch lange nicht klar, was der Eingriff überhaupt bringt. Wenn man das alles zusammennimmt und auch noch einmal an die unrühmliche Geschichte der Psychochirurgie zurückdenkt, dann hat sich die Uniklinik Regensburg doch sehr weit - und die Online-Redaktion der Süddeutschen Zeitung zumindest ein Stück weit - aufs Glatteis gewagt.

Ich kann der Pressestelle nur wünschen, die Patientin gut über die Nutzung ihrer Fotos im Internet aufgeklärt zu haben. Falls nämlich nach einem Jahr das Verfahren immer noch nicht wirken sollte und die Ärzte in Regensburg dann schnell das Interesse an ihrer heutigen Vorzeigepatientin verlieren sollte, könnte die Enttäuschung bei der Frau groß sein. Manch ein Patient rennt dann desillusioniert zum Anwalt.

Welche finanziellen Interessen dahinter stecken und wieso das Verfahren erst Ende Januar zugelassen wird und dann sofort die passende (oder doch nicht ganz so passende?) Patientin zur Verfügung steht, könnte auch interessant sein. Im SZ-Artikel wird auf die Firma Medtronic verwiesen, die mit tiefer Hirnstimulation Geld verdient.

Ich glaube nicht, dass sich das Universitätsklinikum Regensburg mit dieser Form des Marketings einen großen Gefallen getan hat; der Patientin wahrscheinlich auch nicht. Wünschen wir "Frau Ulbrich" das Allerbeste - und der Gesellschaft, dass Psychiater und Biotech-Firmen vielleicht einmal einen Apparat entwickeln, um mehr zu zweifeln: In Politik, Medien und an den Finanzmärkten gibt es da so ein paar notorische Fälle.

Dieser Artikel erscheint ebenfalls im Blog "Menschen-Bilder" des Autors.