Geht die Gewerkschaft ver.di auf Kriegskurs?

Die Aussichten der Arbeiterklasse im Krieg (hier zwei deutsche Heimkehrer ca. 1946) sind traditionell eher schlecht. Foto: Richard Peter / CC BY-SA 3.0 DE

Ein Bündnis linker Basisgewerkschafter fürchtet beim Bundeskongress das Schleifen friedenspolitischer Grundsätze. In einem Aufruf fordern sie die öffentliche Debatte darüber ein.

Mit "Sag nein! Gewerkschafter:innen gegen Militarismus, Nationalismus und Burgfrieden" ist das Motto eines Aufrufs, für den aktuell Unterschriften gesammelt werden. Auf der Plattform Change.org haben mittlerweile mehr als 7.000 Menschen, meist Mitglieder einer DGB-Gewerkschaft den Aufruf unterstützt.

Er richtet sich explizit an die Delegierten des Bundeskongresses der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di, der vom 17. bis zum 23. September in Berlin stattfinden soll. Die linken Basisgewerkschafter, die hinter den Aufruf stehen, äußern die Befürchtung, dass sich dort die größte deutsche Gewerkschaft auch programmatisch hinter den Kurs der Bundesregierung stellen und die Aufrüstung vorantreiben wird.

Bisher fordert ver.di noch ein Ende des weltweiten Wettrüstens – und auch konkrete Abrüstungsschritte in Deutschland. Doch spätestens seit dem russischen Einmarsch in der Ukraine geraten solche Forderungen immer stärker in die Defensive. Dagegen wollen die Basisgewerkschafter mit ihren Aufruf mobil machen. Sie warnen vor einen Rollback bei ver.di.

"Nachdem der DGB-Bundeskongress 2022 auf Betreiben des DGB-Bundesvorstandes und unter Bruch unserer Satzungen und Beschlüsse das "Ja! zu Waffenlieferungen" beschlossen hat, soll dies jetzt au Initiative des ver.di-Vorstandes, unterstützt durch den Gewerkschaftsrat auch auf dem ver.di-Bundeskongress nachvollzogen werden", warnen sie.

Besonders kritisieren die Antimilitaristen einen Antrag, der den unverfänglichen Titel "Perspektiven für Frieden, Sicherheit und Abrüstung für eine Welt im Umbruch" trägt.

Erster Schritt: Öffentlichkeit herstellen

Dabei ist der erste Schritt, bereits im Vorfeld Öffentlichkeit über die geplanten Beschlüsse bei ver.di herzustellen. Denn wenn die Beschlüsse erst einmal gefallen sind, ist es zu spät. Durch den Aufruf und die darauf folgende Diskussion haben die gewerkschaftlichen Antimilitaristen schon etwas erreicht.

Die Beschlüsse werden nicht ohne öffentliche Diskussion gefasst werden können. Antimilitaristen in und außerhalb von ver.di werden sich zu Wort melden – und auch das kann gerade bei ver.di nicht einfach ignoriert werden. Es gibt schließlich einige Verbindungen noch zu den Resten der alten Friedensbewegung.

Hier gibt es auch linke Kritik: Man orientierte sich an Modellen der deutschen Friedensbewegung der 1980er-Jahre, die durchaus schon damals auch von links kritisiert wurden, weil sie sich zu stark an geopolitischen statt an antimilitaristischen Grundsätzen orientiert hat. Mit neueren antimilitaristischen Bündnissen und Initiativen wie "Rheinmetall Entwaffnen", die konkrete Rüstungsfirmen blockieren, tun sich auch Gewerkschaften wie ver.di schwer.

Sollte also die Zustimmung zum Aufrüstungskurs auch im ver.di-Grundsatzprogramm tatsächlich durchgesetzt werden, wäre das kein Bruch mit der Praxis der DGB-Gewerkschaften. Es gab dort durchaus Widerstand gegen die Remilitarisierung, aber im Endeffekt schreckten alle DGB-Gewerkschaften vor Aktionsformen wie die Ausrufung eines Streiks gegen solche Rüstungsschritte meistens zurück.

Ende der 1950er-Jahre forderten Aktive in der damaligen Friedensbewegung vergeblich die DGB-Gewerkschaften auf, sich mit Arbeitsniederlegungen daran zu beteiligen. Bei der Basis hatte diese Forderung durchaus Sympathie. Sie wurde auch von den Staatsapparaten mit mit harter Repression bekämpft. Davon waren auch aktive Gewerkschafter betroffen, die beispielsweise Unterschriften gegen die weitere Aufrüstung gesammelt und für eine Volksabstimmung geworben hatten.

In dieser Tradition stehen auch die antimilitaristischen Gewerkschafter, die in Zeiten des Krieges gegen ein Verwässern der friedenspolitischen Grundsätze eintreten. Damit sind sie nicht allen. Am letzten Juni-Wochenende tagte im Gewerkschaftshaus Hanau ein Kongress mit dem titel "Den Frieden gewinnen, nicht den Krieg". Die Resonanz hatte die Erwartungen der Organisator:innen übertroffen. Tatsächlich ist über Petitionen hinaus eine Kooperation der Antimilitaristen in den verschiedenen Gewerkschaften nötig, um Postionen gegen Krieg und Nationalismus vor allen bei den Gewerkschaftsmitgliedern zu verankern.

Antimilitarismus und Klassenkampf

Dass die Basisgewerkschaftler nicht nur gegen den Kurs der Aufrüstung aktiv sind, sondern auch eine antikapitalistische Akzente setzen, wird im Aufruf mit der Ablehnung des Burgfriedens betont. Hier wird der historische Begriff noch einmal erläutert, was dringend notwendig ist, denn erde die Geschichte des proletarischen Antimilitarismus ist heute wenig bekannt. Es ging um den Widerstand gegen die Mordmaschine des Ersten Weltkrieges.

Die Gewerkschaftsführungen in ganz Europa schickten unter Bruch aller vorherigen Beschlüsse ihre Mitglieder in den Krieg – angeblich 'gegen den russischen Despoten-Zaren', tatsächlich aber für den Profit von Krupp, Thyssen und Co. Konsequenterweise wurde der Burgfrieden erklärt und jede Klassen- und Arbeitskampfauseinandersetzung eingestellt, die Streikunterstützung ausgesetzt


aus dem Ausruf der Initiative Gewerkschafter:innen gegen Militarismus, Nationalismus und Burgfrieden

Dagegen war schon im Ersten Weltkrieg die Zimmerwalder Linke aktiv, benannt nach einem kleinen Ort in der Schweiz, in dem sich die Kriegsgegner aller Länder 2015 zum erste Mal trafen. Sie gaben die Losung des revolutionären Defätismus aus. Das bedeutete jede Beteiligung an den innerkapitalistischen Krieg strikt abzulehnen und die Agitation gegen Militarismus und Krieg mit einer Kritik am Kapitalismus verbinden.

Eine solche Aufgabenstellung hat auch wenig von seiner Aktualität eingebüßt. Daher ist es schade, dass im Aufruf darauf kein Bezug genommen wird.