Geist aus der Maschine

Kann aus dem Internet eine bewusste Intelligenz entstehen?

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Ich habe schon oft versichert, dass aus dem globalen Kommunikationsnetz mit seinen Computerknoten nie ein göttlicher Funke als Zeichen eines vernünftigen Bewusstseins entstehen wird. Aber dann bin ich plötzlich auf ein neues Konzept gestoßen, das gegenüber den heutigen Ansichten so häretisch ist, dass es sich - wie es mir scheint - lohnt, sich damit zu beschäftigen.

Wir wissen zwar immer mehr über die Funktion des Gehirns, obwohl dies keineswegs schon bedeutet, dass unsere Erkenntnis groß genug ist. Mit den "Mittlern", die in den Blutkreislauf eingeführte harmlose Isotope der Elemente sein können, oder mit dem PET-Verfahren, mit sich die aktiven Areale des Gehirns mit Positronen erkennen lassen - die Einzelheiten seien hier beiseite gestellt, da ein detaillierte Beschreibung dieser Techniken zur "Einsicht in das Gehirn" uns vom eigentlichen Thema des Geistes in der Maschine ablenken würde -, kann man gegenwärtig wahrnehmen, was passiert, oder etwas genauer, welche Stellen an den Oberflächen und im Inneren der Hirnrinde aktiv sind, wenn Patienten körperliche (wie das Bewegen der Extremitäten) oder geistige Funktionen (wie Zählen oder die Bereitschaft zum Sprechen) ausführen.

Zuerst muss man allgemein festhalten, dass jede Tätigkeit, die vom Gehirn ausgelöst und gesteuert wird (andere Tätigkeiten gibt es in unserem Körper kaum, überdies sind auch sie, wie z.B. die immunologische Regulierung der Widerstandskraft gegen die Invasion von Krankheitserregern, vom Gehirn - oder eher vom Zentralen Nervensystem samt dem Mark - abhängig), buchstäblich aus der Kooperation der verschiedenen kortikalen und neuronalen Areale hervorgeht, wobei es in der Regel um eine Zusammenarbeit geht, die sehr kompliziert ist - sogar bei der Ausführung von einfachsten Tätigkeiten. Wenn wir zum Beispiel ein Billardspiel beobachten, sehen wir einen Hintergrund (das Innere des Zimmers oder des Saals, eine mit grünem Stoff bedeckte Fläche des Billardtisches) sowie, sagen wir, die zwei letzten Billardkugeln, von denen, je nach den Spielregeln, die weiße Kugel die andere rote stoßen oder in ein Loch in der Tischecke befördern soll. Die gesamte Situation nehmen wir als Ganzheit war. Alles, was ich zuvor beschrieben habe, erscheint uns, zusammen mit den beispielsweise fragmentarisch wahrgenommenen Körpern der Spieler, untrennbar miteinander verbunden zu sein, da wir nicht den Eindruck haben, dass unsere Beobachtung ein im Gehirn ausgeführtes und dynamisch sich ständig verändertes Puzzlespiel darstellt. In Wirklichkeit geschieht aber eine Vielfalt von Gehirnaktivitäten, wie dies manche Ausfallerscheinungen zeigen, die z.B. verursachen, dass wir Farben nicht mehr sehen können und wir deshalb alles nur Schwarzweiß wie auf einem alten Film wahrnehmen.

Es hat sich herausgestellt, dass die Farbenwahrnehmung von einem optischen Zentrum in einer Großhirnhemisphäre gesteuert wird, dass die stereoskopische (dreidimensionale) Wahrnehmung eine ziemlich komplizierte Zusammenarbeit der Seh- und der umliegenden Zentren der beiden Gehirnhemisphären erfordert, dass die Impulse "unterwegs" auf dem neuronalen Weg von den Netzhäuten beider Augen über "zentraler" gelegenen Stellen zu einer "Rangierkreuzung" (chiasma opticum) sich bewegen, wodurch sogar der einfachste Sehakt einen zusammengesetzten Charakter besitzt. Wir wissen aber aus Erfahrung, dass man bewusst (das ist die Norm) sehen kann, aber dass man auch etwas wahrnehmen kann, ohne uns dessen bewusst zu werden. Auch mit der Wahrnehmung der Bewegungen der Billardkugeln sind unterschiedliche Neuronengruppen beschäftigt. Alles baut sich also aufeinander auf, und das so gekonnt, dass wir keine Ahnung hätten, was in unserem Kopf vor sich geht, ohne davon unabhängige Experimente durchzuführen.

Unlängst konnte man feststellen, dass Personen, die mehrere Sprachen beherrschen (oder Dialekte derselben Sprache), Systeme "verwenden", die ich "Neuronenhaufen" - in Analogie mit den Ameisenhaufen, da immer Tausende von Neuronen miteinander kooperieren - nenne und die in ganz verschiedenen Gehirnbereichen platziert sind. Darüber hinaus weiß man, dass über die Charakterstruktur hauptsächlich die Innenflächen der Stirnlappen entscheiden und dass die Stirnlappen selbst mit der "Erzeugung" von Zielen und Wünschen beschäftigt sind. Am Rande füge ich hinzu, dass man vor kurzem bei Schimpansen, die weder Sprache benutzen noch sie erlernen können, im linken temporalen Bereich der Gehirnrinde Neuronenverdichtungen entdeckt hat, wo sich ca. fünf Millionen Jahren später beim Menschen ein Sprachzentrum ausgebildet hat: das Brocasche Zentrum. Wie und warum dies damals geschehen und warum es bei den Schimpansen auf dem Entwicklungsweg stehen geblieben ist, weiß man allerdings nicht.

Ich erlaube mir jetzt ein Zitat aus meiner 1962-63 geschriebenen "Summa der Technologiae" anzuführen:

"Eine elektrische denkende Maschine kann man aus einzelnen Bausteinen zusammensetzen, die gewissermaßen den Hirnwindungen entsprechen. Jetzt trennen wir die Blöcke und verteilen sie auf der ganzen Erde, so dass sich der erste in Moskau, der zweite in Paris, der dritte in Melbourne, der vierte in Yokohama usw. befindet. Voneinander getrennt sind diese Blöcke "psychisch tot", aber verbunden (z.B. mittels Telefonkabel) würden sie zu einer integralen "Persönlichkeit" oder zu einem "denkenden Homöostat" werden. Das Bewusstsein einer solchen Maschine befindet sich natürlich weder in Moskau, noch in Paris oder in Yokohama, jedoch in einem potentiellen Sinn in jeder von diesen Städte und in keiner davon. Es wäre nämlich schwer, über es zu sagen, dass es sich wie die Weichsel von der Tatra bis zum Ostsee ausstreckt. Übrigens zeigt das menschliche Gehirn ein ähnliches, wenn auch nicht so extremes Problem, weil die Blutgefäße, die Proteinmoleküle und das Bindgewebe (Gliagewebe) sich im Gehirninneren befinden, aber nicht im Inneren des Bewusstseins, und man daher nicht sagen kann, dass sich das Bewusstsein unter der Kalotte des Schädels befindet oder dass es eher tiefer, über den Ohren, an beiden Seiten des Kopfes liegt. Es ist über den gesamten Homöostaten, über sein Funktionsnetz "verteilt". Es lässt sich in dieser Materie nichts urteilen, falls wir die Vernunft mit Umsicht verbinden möchten."

Heute lässt sich natürlich dem, was ich früher geschrieben habe, noch etwas hinzufügen. Das Bewusstsein ist, wie man denken muss, keine "Sache", da es einen Prozess darstellt, der durch die Zusammenarbeit von anderen unbewussten Prozesse entsteht. Unser Bewusstsein, das heißt unser Nichtwissen, auf welchen "mitwirkenden und mitschaffenden Stützen" unser Bewusstsein gründet, stellt einen Effekt der Tätigkeit des Evolutionsprozesses dar, der aus unserem Erkenntnisvermögen all das in den körperlichen Funktionen beseitigte, was nicht effektiv dem Überleben (und natürlich dem Leben) diente. Wir verdauen, obwohl wir, wenn wir ungebildet sind, nicht wissen, wie wir dies machen. Man könnte eventuell sagen, dass das Bewusstsein wie ein Wind ist, von dem man zwar erkennen kann, dass er weht, es aber keinen Sinn macht, danach zu fragen, wo der Wind ist, wenn er nicht weht. Das Bewusstsein kann man also genauso wenig wie den Wind in ein Becherglas geben. Eine Funktion mit der ihr entsprechenden Dynamik und Komplexität stellt einen Prozess und kein Objekt dar. Damit können wir endlich zur eigentlichen Sache übergehen.

Das Gehirn besteht aus ca. 12 Milliarden Neuronen, von denen jedes Hunderte von Verbindungen mit anderen besitzt. So also ist die "Gesamtheit" des Gehirns ein System aus Billionen von Neuronenverbindungen, die übrigens funktionell unterschiedlich ausgerichtet sind, wobei die Hauptunterscheidung die zwischen motorischen und sensorischen Funktionen ist. Die Mehrheit der Neuronen beschäftigt sich nicht mit "Denken", sondern mit körperlichen Prozessen. Wenn wir beispielsweise von einem Stuhl aufstehen wollen, lassen ungefähr 200 Millisekunden zuvor im Gehirn entsprechende "Befehle" entdecken. Wir können unter anderem dadurch aufstehen, dass eine gleichzeitige Zusammenarbeit von ca. 220 Muskelgruppen im Körper erfolgt, wobei es viele Substanzen, wie z.B. Alkohol, gibt, die die Koordination dieser Funktionen beeinträchtigen.

Um aus den weltweiten Computer-, Server- und Browser-Verbindungen auf der globalen Ebene einen Funken des Bewusstseins zu schlagen, müsste man zuerst über das Material in ausreichender Menge verfügen: eine Milliarde von Computern auf der Welt ist noch viel zu wenig! Zweitens müsste man detailliert erkennen, wie im Gehirn die Verbindungen innerhalb der "Neuronengruppen" strukturiert sind und wie lange die Strecken, also die impulsleitenden "Fasern" sind, mit denen die einzelnen "Neuronengruppen" miteinander verbunden werden. Drittens müsste es irgendwelche "auf die Welt gerichteten" Äquivalente der Sinnesorgane zum Hören, Sehen etc. geben. Und viertens wäre eine heute völlig unbekannte "Partitur" dieser "Bewusstseinssymphonie" nötig, die wir spielen möchten.

Zunächst aber müssten wir qualitativ und quantitativ die Elemente des globalen Systems mit der Rechenkraft ausstatten, die ein natürliches Gehirn besitzt. Dann müssten, und das könnte sich als teuflisch schwierig erweisen, alle diejenigen, die über Computer, Server usw. verfügen, unter dem Kommando jener Partitur stehen. Es wird kein Boot auslaufen, falls jeder Ruderer auf eigene Hand in die Richtung rudern wird, in die er gerade will. Die hier beschriebene Konzeption zeichnet sich nicht nur durch eine geringe Wahrscheinlichkeit der Realisierung aus, auch die Gewinne, die man vielleicht aus einer gelungenen globalen Integration erzielen könnte, wären sicherlich gering, die Erkenntnisgewinne aber wären riesig ...

Das Beschriebene stellt natürlich eine schreckliche Vereinfachung des Projekts dar, ein System zu konstruieren, das die Funktion des Bewusstseins aufweisen würde. Zuerst müsste man die globalen Netze, die grundsätzlich Information auf einer Ebene übertragen (genauer: auf der Fläche der Erdkugel) durch Schnittstellen so umgestalten, dass sie die mehrdimensionale Stratifikation des natürlichen Gehirns nachahmen können. Darüber hinaus müsste man dem entsprechend ausgewählten "Neuronenhaufen" die "Startinformation" liefern, die auch in den Gehirnganglien eines Neugeborenen vorliegt, weil auch dessen, bereits im Mutterschoß entwickeltes Gehirn keine weiße, leere Karte ist, sondern eingebaute Zentren hat, die etwa über die Kapazität zur Sprachbeherrschung der Sprache verfügen. Ferner wäre die Verbindung mit Sensoren wichtig, da auch ein "natürliches" Gehirn, das vollständig von den Interzeptoren und von Effektoren abgeschnitten, das heißt sensorisch und motorisch depraviert wäre, nicht funktionieren und in den Zustand einer komaähnlichen Passivität verfallen würde. Folglich müsste man in die "Neuronenhaufen" Informationen verschiedener Art "einspielen", beispielsweise die Kapazität, sprechen oder sehen zu können, und entsprechend die lokalen Subsysteme so verbinden, dass die Ganzheit sich funktionell als homomorph mit dem Gehirn erweist. Sie muss natürlich nicht unbedingt identisch mit dem menschlichen Gehirn sein. Bei der Entwicklung wäre eher gewisse Bescheidenheit angesagt. Homomorphismus meint ein System von informatischen Verbindungen, das typisch für höhere Säugetiere - hominoidea - ist, die eine Obergruppe bilden, die sowohl Androide wie auch Hominide umschließt, deren letzte Gattung erst der Mensch ist.

Ich möchte die weiteren erforderlichen Bedingungen nicht noch vermehren. Sollte so ein Experiment überhaupt gelingen, würde dies gar nicht bedeuten, dass eine Maschine oder ein Komplex von Aggregaten mit der Eigenschaft, "wirklich bewusst zu denken", entstanden ist. Ein praktischer Nutzen wäre unbedeutend, sicherlich nicht größer, als zum Beispiel die Entdeckung von Bakterien auf dem Mars, also eines Lebens, das unabhängig vom irdischen Leben entstanden ist. Das Ergebnis eines solchen weltweiten Experiments würde allerdings einen ersten Schritt darstellen, durch den sich ein langer Zeitraum der Evolution von künstlichen, funktionell gehirnähnlichen Systemen so ankündigen würde, wie der erste Flug mit einem Heißluftballon der Montgolfier der Wegbereiter für das Emporsteigen des Menschen in die Luft mit riesigen Düsenflugzeugen gewesen ist. Übrigens kann der Weg zum Bewusstsein wahrscheinlich auf eine weniger anstrengende Weise beginnen. Ich wollte hier nur eine Möglichkeit vorschlagen, mit der man das ausnutzt, wofür die Computertechnologie möglicherweise schon dienen könnte.

Geschrieben im Januar 1998

Aus dem Polnischen übersetzt von Ryszard Krolicki