Geld oder Liebe?
Netlabels auf der Cologne Commons
"Den Vertrag würde man bei einem Major-Label nie unterschreiben", sagt der Referent und meint damit die Creative-Commons-Lizenz, die eine wachsende Zahl von Musikern und andere Kulturschaffenden benutzt, um ihrem Publikum die Nutzung ihrer Werke zu ermöglichen. Moment mal, wo bin ich denn hier? Dies ist nicht die Jahreshauptversammlung der Gesellschaft für musikalische Aufführungs- und mechanische Vervielfältigungsrechte (GEMA); ich bin auf einer Veranstaltung namens Cologne Commons, einem Kongress für GEMA-freie Musik in Köln. Marc Wallowy, der Referent, ist Geschäftsführer von Renommee, einer Agentur für die kommerzielle Verwertung von Musik, die unter dieser Lizenz veröffentlicht wird. Wallowy verdient Geld mit Creative Commons, und und die Musiker, die mit ihm zusammenarbeiten, verdienen mit. Und er sagt: "Sobald ich als Musiker mit Creative Commons erfolgreich bin, muss ich mich davon trennen."
Der Raum ist voller Musiker und Netlabel-Aktivisten, die ihre Musik unter CC-Lizenzen veröffentlichen. Wallowy selbst tut das; er gründete 1997 das Netlabel Tokyo Dawn und gilt als Pionier der Bewegung. Aber da ist dieses Dilemma...
Sofern man mit Musik Geld verdienen will. Nicht jeder will das. "Wir sind Amateure, im Sinne von Liebhabern", sagt Simon Bierwald alias SimSullen. Das Netlabel 12rec, das er mit seinem Partner Swen Swift betreibt, bietet bereits fast 60 Veröffentlichungen internationaler Indie-Musiker an. Das Publikum bedient sich üblicherweise per Download, aber auch CD-Rs in liebevoll gestalteten Covern sind erhältlich, für zwischen fünf und acht Euro - das ist der Selbstkostenpreis. "Geld ist nicht im Spiel" - SimSullen klingt durchaus stolz, wenn er das sagt.
"Als Künstler brauche ich kein Geld - ich brauche Anerkennung und Aufmerksamkeit!" Frank Christian Stoffel ist Musiker, Netlabelbetreiber und haupverantwortlicher Organisator der Cologne Commons; seinen Lebensunterhalt verdient er mit einer Viertelstelle als Kulturmanager. Passion statt Penunsen; auch Christian Grasse betreibt, gemeinsam mit sechs weiteren Freiwilligen, das Label aaahh records ehrenamtlich und basisdemokratisch. "Wir glauben, dass die Freiheit zurückkommt. Die Leute wollen teilhaben an der Musik, sie wollen die Stücke über ihre Blogs verbreiten, wollen die Videos auf YouTube hochladen. Creative Commons trägt dazu bei, die Auseinandersetzung mit der Kunst zu fördern."
"Ich brauche Geld", hält Robert Drakogiannakis dagegen. Anders als die Meisten hier erhebt der Frontman der Band Angelika Express nach wie vor den Anspruch, Berufsmusiker sein zu können: "Das ist Arbeit, und ich verlange, dass man mir das bezahlt!" Noch funktioniert das für ihn, wenn auch die Widersprüche offensichtlich sind: So ist er einerseits immer noch GEMA-Mitglied, doch andererseits unterläuft er die Regeln, um seinen Songs Verbreitung zu verschaffen. Drakogiannakis' Überlebensstrategie ist es, "kreativ den Gürtel enger zu schnallen"; beispielsweise fährt die Band im eigenen PKW zu ihren Konzerten, und die Veranstalter müssen Schlagzeug und Mischpult bereitstellen, damit sich wenigstens die Liveauftritte halbwegs lohnen. Für Produktion und Promotion des aktuellen Albums Goldener Trash verkaufte man für 25.000 Euro "Aktien" an die Fans; die Anteilseigner erhalten nun sieben Jahre lang 80 Prozent der Gewinne - sofern es welche geben sollte. Und bei alldem ist Drakogiannakis der Einzige in der Band, der tatsächlich allein von der Musik lebt - Schlagzeuger und Bassistin ernähren sich im Wesentlichen durch andere Jobs.
Die Rechnung, die hier immer wieder aufgestellt wird, geht so: Musiker, die bei herkömmlichen Indie-Labels unter Vertrag sind, verdienen in den meisten Fällen auch kein Geld, weil die verkaufte Auflage viel zu klein ist und sie darüber hinaus von den Verwertungsgesellschaften benachteiligt werden. 30.000 Downloads über ein aktives Netlabel gelten als größerer Erfolg als der Verkauf der typischen Startauflage von 1.000 CDs, selbst wenn jede CD zehn Mal schwarzkopiert wird. Sampling, Remixe und Kollaborationen sind für die Commoners wesentlich leichter möglich als für den Rest der Musikwelt, weil die rechtliche Grundlage klar ist. Und der Verzicht auf Tantiemen - die in den meisten Fällen ohnehin potenziell bleiben - bedeutet nicht, dass man seine Musik nicht kommerziell auswerten kann - mittlerweile sind Agenturen wie Renommee und Plattformen wie Jamendo entstanden, die eben das ermöglichen.
Renommee-Geschäftsführer Wallowy warnt allerdings vor den Tücken der Almende-Lizenzen: "Creative Commons ist sehr unflexibel." Beispielsweise lässt sich eine CC-Lizenz nicht zurücknehmen; einmal erteilt, gilt sie global und zeitlich unbegrenzt. Sie ist nicht vereinbar mit der Mitgliedschaft in einer Verwertungsgesellschaft; mögliche GEMA-Ausschüttungen muss man abschreiben. Die Interessen von Bands und Komponistenteams sind nur schwer zu synchronisieren, sobald jemand Mitglied bei der GEMA ist. Und die radikale Einfachheit der Lizenzbedingungen macht keinen Unterschied zwischen der Verwendung von Musik als Handy-Klingelton, in der Telefonwarteschleife einer Zahnarztpraxis, in einem Fernsehfilm oder in einem Computerspiel: "Es gibt keine Differenzierung zwischen den verschiedenen Nutzungsformen; die meisten Verwertungskanäle fallen aus."
Zudem ist die Rechtssicherheit in vielen Fällen nur eine scheinbare, die Verständlichkeit der Lizenzformulierung ein Zeichen mangelnder Präzision des Ausdrucks: Darf ein DJ ein Musikstück, das als "nicht-kommerziell" lizensiert ist, auf einer Party spielen, bei der man Eintritt verlangt? Gilt ein Song auf einem Weblog, das Google-Anzeigen trägt, als "kommerziell genutzt"? Niemand weiß das, ehe keine Musterprozesse durchgefochten wurden. Ebenso besteht die Gefahr, dass die Lizenz schlicht gefälscht wird, der Nutzer also unwissentlich eine "Raubkopie" zieht oder gar zum Download anbietet. Wenn dann beispielsweise die zuständige Verwertungsgesellschaft Klage erhebt, kann es sich bitter rächen, dass viele nicht-kommerzielle Labels entweder gar keine oder keine ausreichenden Verträge mit ihren Künstlern abschließen. "Ein Netlabel muss zweifelsfreie Rechte erwerben, um Schadensersatzansprüche der Nutzer zu vermeiden", warnt Volker Tripp, einer der Macher hinter dem Label iD.EOLOGY. Unter dem Namen Oddjob veröffentlicht er selbst Musik, aber natürlich lebt auch er nicht davon - Tripp ist Rechtsanwalt.
Doch trotz rechtlicher Risiken und beinharter Selbstausbeutung: Die Netlabel-Szene wächst ungebrochen, weil das Machen und Verbreiten von Musik so sinnstiftend wirkt wie kaum eine andere Freizeitaktivität. Vom 8. bis zum 11. Oktober findet in Berlin das Netaudio Festival statt, die wohl bisher größte Veranstaltung der Bewegung, mit Workshops, Vorträgen, mehr als 70 Live-Acts und DJs sowie der nach Angaben der Veranstalter ersten Theateraufführung unter CC-Lizenz. Und auch das erste deutschsprachige Buch zum Thema steht schon zum Download bereit: "Netlabels - Soziale Netze On- und Offline" von Antina Michels [PDF].