Geldpolitik an der "zero bound"

US-Notenbankchef Bernanke hat den aktuellen geldpolitischen Weg schon 2002 beschrieben

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Nachdem das Nullzins-Szenario für die USA nun Realität geworden ist, erhält Fed-Chef Ben Bernanke endlich Gelegenheit, seine als Uni-Professor für diesen Fall erarbeiteten Strategien zu testen. Dementsprechend blieb das für die Leitzinsen verantwortliche FOMC (Federal Open Market Committee), das nach Auffassung einiger Ökonomen ihr Pulver nun ja verschossen habe, nach der jüngsten Leitzinsentscheidung in ihrem Statement erwartungsgemäß auch gar nicht vage, was sie darüber hinaus zu unternehmen gedenke: alles.

Konkret werde die Fed große Mengen an Agencie Debt (Anleihen der Hypothekenbanken Fannie Mae und Freddie Mac) und andere Hypothekaranleihen kaufen, um den Immobilienbereich zu stützen. Die Federal Reserve erwäge zudem, auch lang laufende US-Schatzscheine in ihr Portfolio zu nehmen. Nächstes Jahr wird zudem eine neue Fazilität aktiv, die Term Asset-Backed Securities Loan Facility, die den Kreditfluss an Konsumenten sowie an Klein- und Mittelbetriebe fördern soll, indem sie mit solchen Krediten unterlegte Wertpapiere diskontiert. Außerdem werde sich die Fed weitere Wege überlegen, wie sie ihre Bilanz nutzen könne, um Kreditmärkte und wirtschaftliche Aktivität zu fördern.

The focus of the Committee's policy going forward will be to support the functioning of financial markets and stimulate the economy through open market operations and other measures that sustain the size of the Federal Reserve's balance sheet at a high level. The Federal Reserve will continue to consider ways of using its balance sheet to further support credit markets and economic activity.”

FOMC Statement vom 16. Dezember

Während Ökonomen ein Deflationsszenario für die USA aktuell für durchaus wahrscheinlich erachten, hatte Fed-Chef Bernanke sich bereits im November 2002, kurz nach seiner Berufung zum Fed-Gouverneur, zu den in diesem Fall noch möglichen Maßnahmen geäußert. Obwohl sich die USA zu diesem Zeitpunkt am Tiefpunkt des letzten Konjunkturzyklus befanden, schien eine solche Krise damals zwar noch in weiter Ferne zu liegen. Die Kritik an der expansiven US-Geldpolitik war aber schon damals intensiv, wobei die einen befürchteten, die Geldmenge könnte außer Kontrolle geraten und das Land in eine Phase mit rasanter Geldentwertung stürzen.

Andere meinten, die Fed würde ihre Trümpfe vorschnell ausspielen und hätte dann nichts mehr in der Hinterhand, sollten die wirtschaftlichen Verhältnisse einmal so richtig mies werden. Letzteren trat der vormalige Ökonomie-Professor mit einer Rede entgegen. Unter dem Titel „Deflation: Making Sure "It" Doesn't Happen Here“ erörterte Bernanke was eine Notenbank tun könne um die Wirtschaft zu stimulieren, wenn die Leitzinsen einmal bei Null angelangt sind.

Hintergrund seiner Erörterungen war die Situation Japans, das nach dem Platzen einer gewaltigen Finanz- und Immobilienblase nun schon jahrelang von Deflation geplagt wurde. Bereits zehn Jahre lang waren die Preise in Japan jährlich im Schnitt um ein Prozent zurückgegangen, was mit erschütternd niedrigem Job- und Wirtschaftswachstum und dem Niedergang weiter Teile der Privatwirtschaft einhergegangen war. 2002 waren die Yen-Leitzinsen bei Null angelangt und Japan hielt sich nur noch mit der nach wie vor sehr konkurrenzfähigen Exportindustrie am Leben. De Außenwert des Yen wurde zuvor mit massiven Yen-Verkäufen niedrig gehalten hatte. Dann gab man dies aber auf, weil die von der japanischen Null-Zins-Politik begünstigten Carry-Trades die Aufgabe übernahmen, den Yen nach unten zu drücken. Allerdings waren sich Börsen-TV und Weltpresse weltweit einig, dass die Bank of Japan ihr Pulver mit dem Erreichen der Nullinie verschossen hätte und dem weiteren Niedergang der Konjunktur nur noch hilflos zusehen könne.

Bernanke, der während seiner akademischen Laufbahn vor allem die „Große Depression“ der 1930er Jahre studiert hatte, sah das anders. Die kreativen Vorschläge, die er für diesen Fall gemacht hatte, trugen ihm in Ökonomen-Kreisen umgehend den Namen „Helikopter-Ben“ ein und fanden die volle Zustimmung seines Vorgängers. Denn Bernanke machte damals schon klar, dass der angewandten Geldpolitik so schnell keine Grenzen gesetzt sind.

Für die USA, so Bernanke damals, sei die Wahrscheinlichkeit eines solchen Szenarios aus zwei Gründen extrem klein. Einer sei „die Widerstandsfähigkeit und strukturelle Stabilität des US-Wirtschaftssystems“, wobei er auf flexible Arbeits- und Kapitalmärkte, amerikanischen Unternehmergeist usw. verwies. Ein laut Bernanke damals besonders wichtiger schützender Faktor dürfte inzwischen zur Schwäche geworden sein: die Stärke des Finanzsystems. „Trotz der Schocks des letzten Jahres (Anm.: z. B. die betrügerischen Pleiten von Enron- und World Come und der massive Einbruch der Aktienmärkte) ist unser Bankensystem gesund, gut reguliert geblieben und die Bilanzen der Unternehmen und Haushalte sind überwiegend in sehr gutem Zustand“, so Gouverneur Bernanke 2002 vor dem National Economists Club in Washington.

Der zweite Grund, warum es in den USA nach Bernanke kaum zu einem Deflationsszenario kommen könne, liege in der Entschlossenheit der US-Notenbank, ein solches um jeden Preis zu verhindern. Japan könne jedenfalls nicht als Beleg dafür heran gezogen werden, dass die Geldpolitik bei Null-Zinsen am Ende sei. Viel mehr machte Bernanke massive Probleme im Finanz- und Unternehmenssektor dafür verantwortlich. Zudem beschränke die hohe Staatsverschuldung den Handlungsspielraum der japanischen Behörden, die angesichts der verstrickten japanischen Verhältnisse mit Entscheidungslagen konfrontiert seien, die konsequentes Agieren verhindert hätten. Allerdings hätte auch in Japan noch unmittelbar vor dem Zusammenbruch niemand geahnt, dass nun zehn verlorene Jahre kommen würden, wie Bernanke anmerkte.

Vieles, was er nun präsentierte, ließ orthodoxe Ökonomen rebellieren, die große Probleme damit hatten, welche Risiken die Fed sich im Fall der Fälle in die Bücher nehmen sollte.

However, a central bank whose accustomed policy rate has been forced down to zero has most definitely not run out of ammunition. (…) A central bank, either alone or in cooperation with other parts of the government, retains considerable power to expand aggregate demand and economic activity even when its accustomed policy rate is at zero. (…). Indeed, under a fiat (that is, paper) money system, a government should always be able to generate increased nominal spending and inflation, even when the short-term nominal interest rate is at zero.

Ben Bernanke

Bernanke ging von einen starken Zusammenhang zwischen Finanzmarktkrisen und dem Rückgang der Gesamtnachfrage aus, die ja den Hintergrund jeder bösartigen Deflation darstellt; und er erinnert an die Zeit, als das Preisniveau Anfang der 1930er Jahre in den USA jährlich um zehn Prozent nachgegeben hatte. Wer damals zu Null Prozent Geld ausgeliehen hatte, den kostete das real also zehn Prozent an Zins. Und wer alte Schulden zu bedienen hatte, musste dies mit neuen Dollars machen, die gerade rapide an Wert gewannen, was Bernanke für den Hauptgrund hält, warum die Börsen- und Finanzkrise von 1929 sich in die „Great Depression“ verwandeln konnte.

Warum eine auf Fiat-Money (Papiergeld) basierende Währungsbehörde jederzeit Inflation produzieren könne, erklärte er mit einer kleinen Parabel. Man stelle sich eine Währung auf Goldbasis vor. Dann wird plötzlich verlässlich bekannt, ein Alchemist habe endlich die Goldherstellung praktisch zum Nulltarif erfunden. Sofort, und nicht erst wenn die Goldproduktion tatsächlich angelaufen ist, müssten nun die in Gold gerechneten Preise stark ansteigen, da dieses aufgrund des potentiell unendlichen Angebots in absehbarer Zeit nicht mehr viel wert sein dürfte. Nun haben Gold und Papiergeld gemeinsam, nur dann etwas wert zu sein, wenn die davon vorhandene Menge streng begrenzt ist.

Da die US-Regierung über die Technologie der Druckerpresse (und dessen elektronischem Äquivalent) verfügt, kann sie jede Menge an Dollars so gut wie kostenlos produzieren. Erhöht sie die in Umlauf befindlichen Dollars oder kündigt sie das auch nur glaubhaft an, kann sie den Preis des Geldes gemessen in Gütern nach Belieben verringern, deren Dollar-Preise also erhöhen.

Ben Bernanke

Das geschehe für gewöhnlich, indem die Fed Vermögenswerte mit Zentralbankgeld erwirbt, wobei sie womöglich ihre Auswahl an dafür in Frage kommenden Assets verbreitern müsse, was inzwischen längst geschehen ist. Angesichts der mangelnden Erfahrung mit diesen neuen Instrumenten könnte sich das freilich schwierig gestalten, so dass Benanke noch weitere Möglichkeiten ansprach.

So könnte die Fed die Nachfrage stimulieren indem sie versucht, auch die Zinsen für längere Treasury-Laufzeiten herunter zu drücken. Das wäre möglich, indem die Federal Reserve glaubwürdig verspricht, die Kurzfristzinsen für eine längere Zeit niedrig zu halten, wie sie es im aktuellen FOMC-Statement auch angekündigt hat. Bislang noch nicht umgesetzt wurde, was Bernake damals als seine persönliche Präferenz bezeichnete: explizite Ziele und Höchstgrenzen für die Zinsen von Staatspapieren, beispielsweise für Laufzeiten von bis zu zwei Jahren.

Durchsetzen könnte die Fed diese Strategie indem sie unbegrenzt Zentralbankgeld zur Verfügung stellt, um beispielsweise alle umlaufenden Staatspapiere mit Restlaufzeiten bis zu zwei Jahren aufzukaufen, wenn sie einen bestimmten Preis (der sich spiegelbildlich zum Zins verhält) unterschreiten.

Ben Bernanke

Würde das nicht ausreichen, könnten in einem nächsten Schritt drei bis sechsjährige Laufzeiten und Papiere wie Agencie Debt unterstützt werden.

Reicht das nicht aus, könnte die Fed auch private Wertpapiere direkt ankaufen. Da das ohne Gesetzesänderung aber nicht so leicht möglich war, schlug Bernanke vor, dann eben an die Banken Null-Zins-Kredite für 90 und 180 Tage zu vergeben, und dafür z.B. Commercial Paper (die der kurzfristigen Finanzierung von Unternehmen dienen) als Sicherheiten zu akzeptieren, wodurch die Fed über den Basis-Effekt der niedrigen Benchmark-Zinsen auf Staatspapiere hinaus auch die individuellen „Spreads“ der Kreditnehmer reduzieren könnte. Ein möglicher, allerdings besonders sensibler Weg der monetären Expansion wäre für Bernanke letztlich der Kauf von ausländischen Staatspapieren, was dann allerdings mit dem Finanzministerium abgesprochen werden müsste und „angesichts der sonst noch bestehenden Möglichkeiten keine besonders attraktive Alternative wäre“. Bernanke erinnert allerdings auch daran, dass in den Jahren 1933/34 die 40prozentige Abwertung des Dollar gegenüber Gold die damals herrschende Deflation „relativ rasch“ behoben und 1934 zu einem der besten Jahre überhaupt für den Aktienmarkt gemacht habe.

Bernanke trat nicht zuletzt auch für eine enge Koordination von Geld- und Fiskalpolitik ein. So könnte das Finanzministerium Anleihen emittieren um private Assets zu kaufen, die umgehend von der Fed übernommen würden. Auch Steuersenkungen sollten ein Teil des Paketes sein; selbst dann, wenn die Gelder nicht ausgegeben sondern angelegt würden. Denn das würde wiederum die Asset-Preise erhöhen und die Kreditwürdigkeit vieler Schuldner stärken.

Alles in allem erschien Bernanke 2002 absolut überzeugt, die Eskalation einer etwaigen Krise zur Depression vermeiden zu können - selbst wenn er dafür den Dollar opfern müsste.