Genderus phalliculosus ssp.
Das linguale Kuriositätenkabinett
Welch eine Wohltat ist es doch, gut recherchierte Texte zu lesen, wohlgesetzte Argumentationsketten zu verfolgen und mit dem Florett akademischer Brillanz verfochtene Positionen zu bestaunen. Der Harmonie der Sprache, dem Strom von These und Antithese sich hinzugeben, ist einer der Freuden akademischer Arbeit.
Und dann, aus dem Nichts geradezu, stolpert der lesende Blick, die Harmonie der Sprache erbebt, und was gerade ein spannender literarischer Pfad gewesen, ist nun eine Straße voller Schlaglöcher geworden: Mitten im Wort stößt ein großes "I" hervor, dann bringen Querstriche zwischen Artikeln den Trudelnden endgültig zu Fall, liegen bleiben mag er im Schlagloch eines Unterstrichs, der sich unversehens inmitten eines Begriffs aufgetan hat. Die Kreatur des Genderns hat wieder zugeschlagen und knurrt vor Wohlsein.
Nein, es ist kein Linguosaurus aus den verblassenden achtziger Jahren. Diese Spezies hat sich geschickt eine ökologische Nische aus tatsächlichem Mangel, angeblicher Notwendigkeit und politisch korrekter Bequemlichkeit erschlossen. Wiewohl ihre Zahl stark reduziert worden ist - selbst ihr Ökotop in der taz ist inzwischen immerhin geschrumpft -, bleibt sie doch beharrlich bestehen und verkündet immer wieder aufs Neue, und wie es scheint derzeit wieder verstärkt, ihren Anspruch. Ein Grund, ihren Morphen erneut einen Blick zu widmen und ihr, die sie sich wohlgetarnt in Weblogs, zum Glück kaum noch in Zeitungen, aber gern in Umwelt-, Menschenrechts- und progressiven Politikbereich, ja sogar in Fachbücher schleicht, unter den Schafspelz zu blicken. Es sind ihrer Morphen fünf, die besonders ins Auge fallen:
- Exponat N°1 "Innen" (Vorkommen: allgemein verbreitet)
- Exponat N°2 "_innen" (Vorkommen: verbreitet; "Gender Gap", also auch sog. Transgender einschließend)
- Exponat N°3 "/-innen" (Vorkommen: verbreitet)
- Exponate N°4 "*innen" "/innen" (und weitere vereinzelte Varianten; ersteres ebenfalls als "Gender Gap")
Sowie in einer Vitrine von stark getöntem Glase, in einem eigenen Kämmerlein und versehen mit Warntäfelchen, da es als außerordentlich gemeines Exemplar seiner Gattung sonst den arglosen Besucher gar zu sehr zu schrecken droht:
- Exponat N°5 "/-innen/-en" (Vorkommen: Mensakarte Uni Mainz)
Auch mögen die Nebenformen und Mutationen mit einem Blick bedacht werden, die hier und dort mit der Sache einhergehen:
- Subexponate N°1 "dem/der", "die/der"
- Subexponat N°2 "eineR"
- Subexponate N°3 "frau/man" "mensch"
- Subexponat N°4 "Drin" ("in" hochgestellt)
- Anschauungsmodell "ein/e guteR VerkäuferIn"
- Mutation "GästInnen"
Die Spezies hat sich den Gegebenheiten ihrer Umwelt gar hervorragend angepasst, denn sie scheint sich, wird sie ganz allein für sich genommen, nicht allein natürlich in die Moderne der Sprachwelt einzufügen, nein, sie scheint gar zu ihrem Umfeld zu gehören. Auch bietet sie sich verlockend an, befördert sie doch hier die Neigung zur Faulheit der Schreibenden, die mit dem "LeserInnen" ein "Leserinnen und Leser" oder gar kompliziertere Gedanken zur Satzstruktur einzusparen vermögen, dort schenkt sie dem wackeren Streiter endlich das ersehnte Ziel für seine rechtschaffene Kampfeslust, wie es sonst die Religionen tun. Bedient sich daraufhin der Arglose ihrer, so offenbart sich die Kunst ihrer Mimese; doch dann ist der Artikel bereits gedruckt, das Buch bereits verkauft, das Ziel erreicht.
Welche Folgen eine solche Arglosigkeit haben mag, sei veranschaulicht an einigen Präparaten, die aus der freien Wildbahn entnommen und hier konserviert werden konnten:
- "Liebe MieterInnen und EigenheimbesitzerInnen" - Die Grünen Berlin
- "[...] rechtsextremen Anhänger/innen. Weniger überraschend ist die hohe Quote der Rechtsextremen unter den Wähler/innen."1
- "Das Feedback durch den Auftraggeber und die LeserInnen (SchülerInnen und LehrerInnen) hat mir gezeigt [...]." Große Populationsdichte in einem Buch des ehrwürdigen Archivs der Jugendkulturen2
- "Die LSV Berlin ist die freie basisdemokratische Vertretung der Schüler*innen Berlins"
- "Der/Die fünfte Spieler/innen [sic], der/die Läufer/in ... Er oder sie ist die einzige, der den Jugg in die Hand nehmen darf."3
Item 5 ist besonders angetan, die Heimtücke der Spezies zu verdeutlichen. Sie macht sich hier meisterlich den jugendlichen Leichtsinn des Autors zunutze, mit einigem Erfolg. Hat der Verfasser doch seine Schrift bereitwillig dessen entkleidet, was seit Anbeginn der Sprache stets ihr innerster Sinn gewesen: der Verständlichkeit nämlich, geopfert wurde sie auf dem Altar der Angst, in ihrer reinen Form könne sie ausschließen, ja diskriminieren; wobei er dennoch eine Diskriminerung nicht ganz vermeiden kann, und zwar die von Transgender. Diskriminierung findet sich immer, tritt man nur dicht genug an das Mikroskop heran. Hingegen entblößt unter dem scharfkontrastierenden Glas der erzählenden Literatur, einer der höchsten Künste der Sprache und gleichsam das Lackmuspapier für ihr Wesen, offenbart die Kreatur, dass sie tatsächlich ein absurdes Ding ist.
So es dabei bliebe, könnten wir diese Spezies getrost zu jenen vielen Narreteien der Sprache legen, wie sie beispielsweise im Amerikanischen gelegentlich herrschten, wo ein Betrunkener, um ihn nur nicht zu verletzen, schon als in seiner Wahrnehmung Eingeschränkter bezeichnet worden ist, nur um ihn dann guten Gewissens in der Gosse liegen lassen zu können. Doch ist unsere Spezies noch um einiges gewiefter. Wie in der Biologie öfters ein Wesen besonders augenfällige Dinge zeigt, um seine wahren Waffen zu verbergen, steckt auch hier ein Wolf im Wolfe: Nicht allein, dass es ihm genügte, den Lesenden zu quälen.
Nein, seine Heimtücke reicht noch viel tiefer. So quält die Kreatur gerade jene, die ohnehin bereits für eine gerechtere Welt streiten, denn gerade in diesem Umfeld wird sie noch gern als Pflicht postuliert. Hier ist es verwandt mit den mannigfaltigen anderen Arten, die, darin ähnlich dem Parasiten, der die Fühler einer Schnecke zum bunten Pulsieren bringt, ihre sinnsuchenden Opfer zu Forderungen bewegen wie einem Totalen Rauchverbot, zu Anklagen rassistischer Sprache wegen Begriffen wie "Schwarz Sehen", oder Rassistischer Grundhaltung wegen nicht alle Nationen umfassender Handlungspersonen, wie, eine formidable Beute der Absurdität, gerade bei Pippi Langstrumpf geschehen. Aber anders als bei seinen Verwandten - oder gar ähnlich? Dies bleibt zu untersuchen! -, verborgen unter dem Fell der Gleichbehandlung, unter dem stacheligen Panzer der Unleserlichkeit, der ihm Beifall und Zustimmung durch die sich ihm Andienenden einbringt, schlummert ein ganz gegenteiliger Kern.
Betrachten wir dazu noch einmal Exponat N°1, das "Innen". Und sodann widmen wir Exponat N°2 unsere Aufmerksamkeit, dem "_innen", das auch Transgenderpersonen mit einschließen soll. Nun durchdringen wir die blendende Hülle, indem wir den Sinn dieser Zeichen aus unseren Köpfen bannen und einzig ihre physische Gestalt in uns aufnehmen, und zwar gekettet an einen beliebigen passenden Begriff. Sodann erinnern wir uns an die Schriften eines gewissen Doktor Freud. Erscheint hier nicht auf einmal das, was gleichmachend wirken soll, ganz im Gegenteil hochgradig anrüchig? Steht hier nicht aus der Harmonie eines Begriffes das I wie ein Phallus heraus, ganz zu schweigen von der eben gegenteiligen Implikation des Unterstrichs, die beide, das eine als herrschend, das andere als Lüsternheit erregend, doch gerade gegen jene Menschen gehen, die hier gleichgestellt werden sollen?
Wir wollen uns nicht weiter in diesen schlüpfrigen Untiefen herumtreiben. Doch eine letzte Frage möge zum Ende unseres kleinen Rundgangs erlaubt sein: Wenn es ernstlich um Gleichstellung geht, wäre es da nicht angebracht, nach einer besseren Art zu suchen, als sich den billigen bunten Kreatürlichkeiten hinzugeben, aus literarischem Unvermögen oder der Bequemlichkeit, das Ausschreiben zu meiden - oder sind sie vielleicht sogar gewollt, um die ehrlichen Streiter für gelebte Gleichheit heimlich zu verhöhnen? Um endlich selber einmal rechtschaffen Moral postulieren zu können? Mithin, simpel Macht auszuüben?
So soll mit diesem Rundgang durch das Kuriositätenkabinett eine Lanze gebrochen werden für eine ernstzunehmende Auseinandersetzung mit dem Thema und, wo zweckdienlich, die Anwendung unspezifischer Begriffe, anstatt auf solchen Provisorien und Folterinstrumenten zu beharren.
Ruben Wickenhäuser hat bislang rund zwanzig Romane und Sachbücher veröffentlicht. Er arbeitet als Publizist in Berlin. Mehr zu seiner Arbeit findet sich in Uhus Nest.