Genfer Abkommen in Palästina umstritten

Zwar nimmt die Fatah heute nun doch an der Zeremonie in Genf teil, aber die Kritik am Abkommen, das die israelische Regierung scharf ablehnt, nimmt auch unter Palästinensern zu

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Mit einer großen Zeremonie wird heute in Genf das nach der schweizerischen Stadt benannte inoffizielle Abkommen zwischen Israelis und Palästinensern vorgestellt. Zunächst geheim ausgehandelt von Akteuren beider Seiten, plauderte Mitte Oktober ein israelischer Teilnehmer aus dem Nähkästchen. Die israelische Regierung verdammte die Friedensbemühungen sofort in den schärfsten Tönen (Terroranschlag überschattet das Genfer Abkommen). Der Coup klappte. Das Vorhaben ist seither in aller Munde und heimst internationale Unterstützung im großen Stil ein. Bei den Organisatoren stapeln sich die Unterstützungsschreiben der Außenminister aller Länder. Nun wurden die Macher sogar ins Weiße Haus eingeladen. Präsident Jassir Arafat steht hinter dem Dokument. Aber die palästinensische Bevölkerung sieht trotz allem internationalen Jubel die Initiative nüchterner.

"Ich bin gegen das Genfer Abkommen." Maher Kiswani hat eine klare Meinung. "Die Flüchtlinge werden darin gänzlich ausgeklammert", sagt der Besitzer eines kleinen Supermarkts in Ramallah. "Das ist ungerecht. Erst wurden sie vertrieben, dann enteignet und jetzt sollen sie einfach vergessen werden." Den Text des Abkommens hat Kiswani zu Hause liegen. Studiert habe er ihn auch. Zu den geplanten Außengrenzen des künftigen Staates Palästina und zur Aufteilung Ost-Jerusalems kann er aber keine Auskunft geben.

"99 Prozent aller Leute haben das Genfer Abkommen überhaupt nicht gelesen", meint Bassam al-Aili, da geht der Computerfachmann jede Wette ein. Er selbst bezeichnet den Vorschlag als gute Basis für künftige Verhandlungen. "Die meisten kennen zwar die Hauptpunkte, so wie sie in der Zeitung stehen, aber sonst nichts."

Erst am 16. November begannen die Organisatoren langsam mit der Publizierung ihres Vorschlags. 40.000 Exemplare des Papiers waren den Tageszeitungen beigelegt. Im Gegensatz zu Israel, wo jeder Haushalt das Abkommen im Briefkasten fand. Jassir Abed Rabbo, der Kopf des palästinensischen Verhandlungsteams, stellte den Friedensplan in den Medien vor. Seine Mitarbeiter diskutieren die Inhalte mit Flüchtlingen, Studenten und anderen sozialen Gruppen. Die offizielle Werbekampagne für den Vorschlag, der die Zukunft aller Palästinenser betrifft, soll allerdings erst heute anrollen.

Kritik am Genfer Papier beginnt erst

Von einer breiten öffentlichen Präsenz des Genfer Abkommens in den besetzten Gebieten kann vor diesem Hintergrund nicht gesprochen werden. Die im Papier diesbezüglich vorgeschlagenen Regelungen sind unbekannt. Im Prinzip werden meist schlicht die Argumente der Gegner einer Aussöhnung mit Israel wiederholt. Da das Genfer Papier geheim verfasst wurde, konnte es auch niemand verurteilen. Nun hagelt es umso mehr Kritik. Vor einer Woche demonstrierten Tausende gegen das Abkommen, meist organisiert von der islamistischen Hamas-Bewegung. Auch in den Flüchtlingslagern gärt die Unruhe. Die palästinensische Autonomiebehörde hat in der Vergangenheit klar gemacht, dass das von den Vereinten Nationen erklärte Rückkehrrecht für Flüchtlinge mit zur Verhandlungsmasse gehört. Die Betroffenen fühlen sich deshalb seit langem an die Seite geschoben.

Eine Umfrage eines Bethlehemer Instituts ermittelte, dass 32 Prozent der Palästinenser hinter dem Genfer Dokument, wie es hier genannt wird, stehen. Eine Studie der Najah-Universität in Nablus kommt zu einem ähnlichen Ergebnis. Die Zahlen können sich jedoch in kurzer Zeit schnell nach oben oder unten verändern, wenn der Text des Abkommens bekannter wird.

Ablehnung kommt auch von intellektueller Seite. "Ungeachtet des Inhalts fehlen dem Dokument drei Voraussetzungen zum Erfolg", bemängelt Ali Jarbawi, anerkannter Politologe der Birzeit-Universität, das Verhandlungsgeschick seiner Landsleute. "Das Abkommen wurde vorab nicht öffentlich diskutiert, sondern es ist eine Initiative von halboffiziellen Ex-Ministern." Israel werde es auf diese Weise leicht fallen, das Papier wegen der erst jetzt einsetzenden Kritik und dem fehlenden Rückhalt zu delegitimieren. "Darüber hinaus ist das Angebot zeitlich unbegrenzt", so Jarbawi weiter. "Da steht, dass die jüdischen Viertel in Ost-Jerusalem zu Israel gehören sollen. Gilt das auch noch, wenn das Abkommen erst in fünf Jahren umgesetzt wird, die Landnahme in der Zwischenzeit aber weiter zugenommen hat?" Und zuletzt fehle eine Alternative, Druck auf Israel. "Wir müssen sagen, was passiert, wenn sie den Friedensvorschlag nicht annehmen?"

Fatah entzieht ihre Unterstützung, dann reisen nach ausdrücklicher Billigung von Arafat die Fatah-Abgeordneten doch nach Genf

Nachdem die Fatah das Genfer Abkommen zunächst abnickte, zog die größte palästinensische Partei am Sonntag ihre Unterstützung wieder zurück. "Momentan sind die Bedingungen für eine solche Initiative sehr ungünstig", erklärte Hatem Abdel Qader, Parlamentsabgeordneter und leitendes Fatah-Mitglied. Das israelische Militär eskaliert derzeit seine Angriffe in den besetzten Gebieten. "Außerdem müssen einige Punkte verändert werden", fügte er hinzu. "Wenn das Abkommen eine Grundlage für künftige Verhandlungen darstellen soll, dann sind die Punkte zur Flüchtlingsfrage und dem Status von Jerusalem ungenügend." Die einzige Partei, die jetzt noch hinter dem Vorschlag steht, ist die Volkspartei, die ehemaligen Kommunisten. Selbst FIDA. die Partei Jassir Abed Rabbos, folgt nicht ihrem Vorsitzenden.

Allerdings hat Arafat später am Sonntag seine ausdrückliche Zustimmung für die Reise von Fatah-Abgeordneten nach Genf erklärt. Die vier Parlamentsabgeordneten und Minister der Fatah wollten ohne schriftliche Zustimmung von Arafat nicht an der Zeremonie teilnehmen. Jetzt soll doch offiziell demonstriert werden, dass man die Initiative begrüßt.

Hassan Scherabati aus Hebron bezeichnet die Initiative als Werk der politischen Elite. "Das sind doch die Leute, die ihre Schäfchen immer im Trockenen haben." Der arbeitslose Bauarbeiter hat das Abkommen nicht vollständig gelesen. "Man muss sich doch nur die Organisatoren ansehen. Von unserer Seite aus sind die höchsten Stellen beteiligt, sogar Arafat steht anscheinend dahinter. Aber die Israelis kommen vom absoluten Rand ihrer Gesellschaft. Die werden dort doch als Verräter verurteilt."

Scherabati fragt, warum er sich bei diesem Missverhältnis überhaupt mit dem Genfer Dokument beschäftigen soll. "Friedensvorschläge gibt es wie Sand am Meer. Das Ausland springt sofort darauf an, ganz egal, wie realistisch die sind." Im Zentrum Hebrons leben die Menschen immer noch mit dem israelischen Militär und radikalen jüdischen Siedlern, sagt er. Daran konnten weder Friedensabkommen noch Intifada etwas ändern. "Lippenbekenntnisse befreien uns nicht von der Besatzung."

Hoffnungslosigkeit führt aber auch zu Kompromissbereitschaft. Peter Suhrani betreibt einen Souvenirladen in Bethlehem, gleich neben der Geburtskirche. Touristen und Pilger, die sich ansonsten zu Tausenden durch die Gassen drängen, kommen aber schon lange nicht mehr. "Die meisten meiner Nachbarn lassen ihre Türen gleich geschlossen", erzählt Suhrani resigniert. Er will wieder ein normaleres Leben führen. Dazu muss er aber erstens wieder Geld verdienen, zweitens verlangt er von Israel seine Mobilität zurück. Das letzte Mal hat er seine Stadt zu Ostern verlassen. Israel stellte ihm damals eine eintägige Genehmigung zum Besuch der Grabeskirche in Jerusalem aus. "Wir brauchen den Frieden. Und Schaden wird uns das Genfer Abkommen schon nicht."