Genome Groove: Modernistischer Klangkörper Mensch

Amerikanische Komponisten vertonen die Struktur des menschlichen Humangenoms als musikalisches Werk

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Wie klingt eigentlich der alte Homo Sapiens an und in sich? Eine mögliche Antwort auf diese ebenso alte Frage der musikalischen Avantgardisten gibt es jetzt als Musikstück "Music of The Human Genome" im Internet zu hören. Urheber sind die beiden amerikanischen Musikwissenschaftler Brent D. Hugh und Todd Barton, die damit die entschlüsselte Struktur der menschlichen Erbinformation zum Klingen bringen wollten.

Brent D.Hugh

Die Idee ist sicherlich nicht mehr ganz neu: Horch auf die Geräusche Deiner Umwelt und interpretiere sie - neben den klassisch-konventionellen Tönen in Kammer und Konzertsaal - als Musik bzw. Kunst. Bereits im Altertum glaubte der griechische Philosoph Pythagoras an eine "Musik der Sphären", erzeugt durch rhythmisch geordnete Bewegungen der Himmelskörper im Weltall.

Verschiedene Avantgarde-Komponisten der Moderne (Arnold Schönberg oder die italienischen Futuristen haben seit Beginn des 20. Jahrhunderts besonders in der "musique concrete" mit einem erweiterten Musikbegriff gearbeitet. Im populären Bereich zeitigte das Ergebnisse bis hin zum rüden Industrial-Krach von Throbbing Gristle (Gewaltmarsch in die Freiheit) und Verwandten sowie den groovenden Lärmcollagen im HipHop von Public Enemy kurz vor dem Millennium. Meist ging es dabei aber nur um künstlerische Expeditionen in den Makrokosmos (etwa Straßenverkehr, Naturgeräusche , Maschinen) außerhalb des rezipierenden Ohrs.

Hugh und Barton greifen mit ihrem Werk jetzt Thesen mit ganz anderer Stoßrichtung auf, die jemand wie der Kult-Avantgardist John Cage in ähnlichem Sinne bereits seit längerer Zeit vertritt. Cage glaubt an eine körpereigene Musik, die man in sich hören könne, wenn man nur genau genug in seinen Mikrokosmos hineinhorche. Kraftwerk, die Düsseldorfer Urväter der elektronischen Pop-Musik, sprachen auch gern bedeutungsvoll davon, dass sie mit ihren Sounds Dinge und Menschen als Körper zum Klingen bringen wollten.

Und Rainald Goetz meinte bereits vor ein paar Jahren, dass er bei der Rezeption bestimmter Techno-Stücke (allerdings wohl nicht ohne Unterstützung durch gewisse körperfremde Stoffe) eine Kongruenz mit dem Rhythmus mancher physisch-chemischen Körperprozesse zu fühlen glaube. Er, Goetz, halte es für objektiv-wissenschaftlich möglich, dass Rückkopplungen der Musik mit nach bestimmten Gesetzen geordneten Abläufen der Elektronen auf atomarer Ebene dafür die Ursache seien.

Mit ebensolchen körpereigenen Abläufen hat sich nun der Amerikaner Brent D. Hugh gemeinsam mit seinem Kollegen Todd Barton (Hauskomponist für Aufführungen beim "Oregon Shakespeare Festival" und erfahrener Elektronik-Komponist auf verschiedenen Feldern) aus Anlass der umfassenden Entschlüsselung des Humangenoms durch den Forscher Craig Venter und die Wissenschaftler des internationalen Human Genome Project (HGP) musikalisch beschäftigt. Hugh, der hauptberuflich als Musikprofessor am Missouri Western State College lehrt, hat dafür die DNA-Forschungsergebnisse analysiert und mit Barton in komplexe Rhythmen übersetzt.

Hugh ließ die einfachen genetischen Sequenzen erst einmal durch ein von ihm generiertes Computerprogramm laufen, um damit Melodien und rhythmische Grundmuster zu erzeugen. Dann komponierte er aus den ausgewogeneren Elementen bestimmte Harmonien, Begleitungen und Phrasierungen. Hugh benutzte bei seiner Kompositionstechnik verschiedene Kombinationen der Anfangsbuchstaben A, T, C, G der Nucleotiden (Adenin, Thymin, Cytosin und Guanin), aus denen die DNA-Moleküle zusammengesetzt sind. Die Daten der menschlichen Erbgutinformation wurden in Segment-Einheiten aus den vier Buchstaben zerteilt. Die beiden ersten standen jeweils für die Höhe einer musikalischen Note, die beiden anderen für ihre Länge.

Als wesentliche Quelle der Inspiration für seine experimentelle Synthesizer-Komposition gibt Hugh das Werk des Komponisten-Ehepaars Bebe und Louis Barron an, insbesondere den elektronischen Soundtrack zum 1956er Science-Fiction-Film Forbidden Planet (typisch geistreicher deutscher Titel: "Alarm im Weltall"). Die Barrons hatten damals mit selbstgebauten Instrumenten aus elektronischen Modulen gearbeitet, um damit den biochemischen Kreislauf von Säugetieren (!) nachzuempfinden. Die so erzeugten Klänge wurden von den Elektronik-Pionieren als quasi artifizielle Lebensformen behandelt, die einem Lebenszyklus von der Erzeugung bis hin zu geräuschvollem "Tod" unterlagen und dementsprechend in den dramatischen SciFi-Score eingebaut wurden. Ziemlich far out, nicht wahr? Wenn man sich's so betrachtet - eigentlich fast seltsam, dass nicht Bebe und Louis Barron den Soundtrack zum Kultstreifen "2001 - A Space Odyssey" für den großen Exzentriker Stanley Kubrick machen durften.

Jedenfalls wurde Brent D. Hugh nach eigenen Worten erst durch das Barron'sche Prinzip (Verquickung musikalischer Kreativität mit der künstlerischen Nachbildung von Lebensprozessen) ermuntert, einmal Chromosom-Strukturen durch einen MIDI-Sequenzer zu jagen. Und somit letztendlich ein ziemlich träumerisches Stück minimalistischer Synthimusik zu erzeugen, das er im Geiste des Pythagoras als Ausdruck der universellen Harmonie betrachtet und das als Untermalung einer surrealen Fahrt mit dem Raumschiff durch eine überirdische Doppelhelix tatsächlich hervorragend geeignet wäre. Der Film für die Erben Kubricks im MKS-Jammertal müsste dann jetzt langsam einmal gedreht werden, auch 2001 verweht.