Genomisch recodierte Organismen - nützlich und harmlos
Synthetische Biologen verändern den genetischen Code und erzeugen die Vorstufe eines Organismus, der vielseitig nutzbar und dennoch ungefährlich ist
Der genetische Code gilt für alle Lebewesen auf dieser Erde - bis jetzt zumindest. Forscher um den synthetischen Biologen George Church programmierten einen Teil dieses Codes um und erzeugten Bakterien, die unnatürliche Bausteine nutzen und diese in Proteine einbauen. Da Lebewesen der freien Natur den umprogrammierten Code nicht beherrschen, ist eine unkontrollierte Verbreitung in der Umwelt nahezu ausgeschlossen.
Jedes bekannte Lebewesen liest die Erbinformation nach den gleichen Regeln aus: Drei Nukleinbasen auf dem DNA-Strang bilden ein Codon, und dieses steuert den Einbau von Aminosäuren in Proteine. Jedes Codon ist dabei genau einer Aminosäure oder einem Stopp-Signal zugeordnet. Dieser genetische Code wurde von den ersten Lebensformen der Erde geprägt, und bis auf vernachlässigbare Ausnahmen haben sich alle weiteren daran gehalten.
George Church möchte sich nicht mehr daran halten. Der synthetische Biologe von der US-amerikanischen Harvard Universität ist der große Utopist der Genomforschung. So entwickelte er in seinem Buch "Regenesis" Konzepte für die Klonierung des Neandertalers, die Ausrottung sämtlicher Viren und die Neuerschaffung des Menschen als molekulares Spiegelbild. Doch George Church ist auch jemand, der sich nicht zu schade für mühevolle Kleinarbeit ist. Zusammen mit seinem Kollegen Farren Isaacs von der US-amerikanischen Yale Universität hat er hunderte Details im Genom des Bakteriums E. coli verändert (Lajoie et al., Science, Oktober 2013: Genomically Recoded Organisms Expand Biological Functions). Das Resultat: Ein Bakterienstamm, in dem einem Codon eine neue Funktion zugewiesen wurde.
Dies ist möglich, weil der genetische Code nur in eine Richtung eindeutig ist. Ein Triplett mit vier unterschiedlichen DNA-Basen ergibt 64 mögliche Kombinationen, doch gebraucht werden in der Regel nur 21 Codons - für die zwanzig natürlichen Aminosäuren und das Stoppsignal. Die überzähligen Codons werden mehr oder weniger gleichmäßig verteilt; das Stopp-Signal etwa, an dem die Proteinherstellung abbricht, wird durch drei unterschiedliche Codons vermittelt.
Das seltenste der drei Stopp-Codons, das Triplett UAG, kommt im E. coli-Bakterium 321 Mal vor. Die Forscher haben akribisch jedes dieser 321 Codons verändert und in das alternative Stopp-Codon UAA umgeschrieben. Die erste erstaunliche Erkenntnis: Dieser genomisch recodierte Organismus ist lebensfähig und vermehrt sich problemlos.
Im nächsten Schritt haben die synthetischen Biologen das freigewordene UAA-Codon mit einer neuen Funktion verknüpft. Dazu erzeugten sie eine künstliche Aminosäure und transferierten diese in das recodierte Bakterium - mitsamt der Maschinerie, die für deren Einbau notwendig ist. Und auch dies war erfolgreich: Ein Gen mit dem UAG-Codon erzeugte in den recodierten Bakterien ein Protein, das die künstliche Aminosäure enthielt.
Dieses künstliche Protein hat keinen praktischen Nutzen, doch es weist den Weg zu einem Grundtraum der synthetischen Biologie: Bakterien in kleine Fabriken umzubauen, die Substanzen nach Bedarf erstellen. Die Möglichkeit, künstliche Bausteine in die Endprodukte einzubauen, erhöht die Anwendungsmöglichkeiten enorm. Denkbar sind Enzyme mit neuen Eigenschaften, neuartige Medikamente oder eine effizientere Herstellung von Bio-Treibstoffen.
Sichere Manipulation des Erbguts
Doch bei jeder Manipulation des Erbguts lauert eine latente Gefahr: Die Freisetzung dieser Bakterien und Gene in die Umwelt, mit unkontrollierbaren Auswirkungen auf natürliche Lebewesen. Die recodierten Bakterien selber sind hochgezüchtete Laborstämme, die in der freien Natur kaum überlebensfähig sind. Eine größere Gefahr bildet der horizontale Gentransfer: Die Übertragung der manipulierten Gene auf andere Bakterien, welche die Gene dann weiter in der Natur verbreiten.
Bei recodierten Organismen besteht diese Gefahr nicht: Da recodierte Gene nicht mit dem natürlichen genetischen Code verschlüsselt sind, können andere Bakterien diese DNA-Sequenzen auch nicht auslesen. Das Stopp-Codon UAG etwa würde wieder seine ursprüngliche Funktion erlangen und den sofortigen Abbruch der Proteinherstellung erzwingen. Da der genetische Code nicht natürlich ist, kann er sich in der Natur auch nicht verbreiten.
Die Recodierung hat einen weiteren Effekt: Die Bakterien werden resistent gegen Viren. Viren nutzen die Allgemeingültigkeit des genetischen Codes, um den Stoffwechsel von infizierten Zellen zu kapern und für ihre eigene Vermehrung zu missbrauchen. Wenn das infizierte Bakterium aber einen anderen Code benutzt als das Virus, werden keine funktionsfähigen Virus-Proteine hergestellt - und das Virus kann sich nicht vermehren.
Tatsächlich zeigten erste Versuche, dass das recodierte Bakterium teilweise resistent gegen Viren ist. Der Schutz wirkt zwar nur bedingt, aber da nur ein einzelnes Codon verändert wurde, hatten die Forscher auch nicht mehr erwartet. In seinem Buch "Regenesis" hatte George Church vorgerechnet, dass etwa zwölf Codons reprogrammiert werden müssen, um eine vollständige Resistenz zu erzielen.
Und auch diese Aufgabe ist George Church bereits angegangen: In einer zweiten Publikation berichtet er über den Versuch, dreizehn seltene Codons auf einen Schlag zu entfernen (Lajoie et al., Science, Oktober 2013: Probing the Limits of Genetic Recoding in Essential Genes). Allerdings noch nicht aus dem ganzen Bakterien-Genom, sondern erst einmal nur bei 42 ausgewählten Proteinen. Und auch dieses Experiment verlief weitgehend erfolgreich.
Damit steht fest: Der genetische Code ist offen für menschliche Manipulation. Der synthetischen Biologie eröffnen sich damit Möglichkeiten, deren Reichweite heute noch gar nicht absehbar ist. Und das Beste daran - die Gefahr für die Umwelt wird auf ein Minimum reduziert.