Genug Lebensraum für Mäuse und Elefanten?
Nur die kleinen Tiere haben ihr Revier wirklich für sich
Es gibt eine Formel für den Lebensraum, den ein Säugetier entsprechend seiner Größe benötigt. Doch der richtige Wert des Exponenten ist umstritten, denn den großen Tieren reicht der Platz nicht.
Als Max Rubner 1883 in der Zeitschrift für Biologie 19, S. 536-562 den Bezug zwischen Grundumsatz und Körpergewicht beschrieb und mit dem Exponenten 2/3 versah, herrschte diese Meinung bis zum Jahr 1932 vor. Dann begründete Max Kleiner in seiner Monographie einen größeren Exponenten (3/4), der 1945 von S.Brody in seinem Buch "Bioenergetics and Growth" noch einmal bestätigt wurde. Und so waren die Wissenschaftler davon überzeugt, dass sie den Lebensraum für Säugetiere richtig abschätzen können. Nach allgemeiner Auffassung handelt es sich um ein Areal, das groß genug ist, um den eigenen Energiebedarf zu decken, aber klein genug, um Eindringlinge zu verjagen. So wurde angenommen, dass es das Körpergewicht oder die Körpermasse ist, die mit den Tieren und ihrem Verbrauch korreliert werden müssen.
Allerdings sprechen gegen diese Annahme vornehmlich Untersuchungen nach Markierung und Verlaufsbeobachtung (telemetrische Untersuchungen). Sie zeigen nämlich, dass der Lebensraum ungleich größer ist als der berechnete Verbrauch, und ferner, dass er parallel zum Körpergewicht oder zur Körpermasse zunimmt. Demnach benötigen "große Tiere" einen Lebensraum, der über den Verbrauchsnutzen hinausgeht.
Walter Jetz und Mitarbeiter von der Princeton Universität legen hierfür ein neues Modell vor. Sie beschreiben in Science die Berechnung von Körpergewicht, Energieverbrauch, Lebensraum sowie die Reaktion auf Eindringlinge derselben Art. Das Interessante ist, dass die Forscher dafür eine Formel aus der Physik benutzen, nämlich für Kollisionen von Gaspartikeln. Ihre Untersuchungen bestätigen, dass große Tiere einen größeren Lebensraum benötigen. Der Grund: sie müssen die Ressourcen zu einem großen Teil mit ihren Konkurrenten teilen. Das wiederum ist das Ergebnis eines von dem Körpergewicht unabhängigen Vorganges, weil die Tiere nicht oft genug durch ihr Gebiet streifen und somit nicht alle Eindringlinge bekämpfen können.
Große Tiere haben keine Privatsphäre
Das große Problem ist nämlich der Konkurrent. Je mehr der eigene Lebensraum kontrolliert wird, umso wirksamer kann ein Eindringling abgewiesen werden. Das funktioniert bei der Maus, wird aber mit zunehmender Größe der Tiere immer weniger effektiv. Hinzu kommt die Rudelbildung, die bei Löwen oder Elefanten starken Einfluss auf die Gebietsgröße nimmt. Und somit sind vor allem große Tiere nicht in der Lage, Eindringlinge rechtzeitig zu erkennen und zu vertreiben. Daraus resultiert zwangsläufig die gemeinsame Nutzung in den Grenzgebieten. Auf diese Weise wird ein Mehr an Land in die Überlegungen einbezogen und vergrößert den eigentlich notwendigen Lebensraum. Ferner berechnet das Modell von Jetz und Mitarbeitern die "Kollision" der Artgenossen, indem es die Häufigkeit angibt, mit der sich ein großes Tier mit seinem Konkurrenten auseinandersetzt.
Statt den Platzbedarf pro Tier zu berechnen, benutzen die Wissenschaftler die Populationsdichte. Darunter wird die Zahl der Tiere pro Fläche verstanden, modifiziert um Ressourcen und Konkurrenz, aber auch um viele andere Faktoren. Jetz und Mitarbeiter definieren sie als eine Größe, die für kleine Säugetiere, etwa bis ein Kilogramm, noch zutrifft, dann aber mit zunehmendem Körpergewicht immer weniger mit der ursprünglichen Theorie übereinstimmt.
Allerdings hat P.A.Marquet in einem Kommentar dargestellt, dass die Populationsdichte mit zunehmenden Körpergewicht abnimmt. Folglich sind "große Tiere schön, aber einsam". Ferner haben C.R.Withe und R.S.Seymour in ihrer Arbeit Mammalian basal metabolic rate is proportional to body mass2/3 die alte Frage neu aufgegriffen, wonach Max Rubner mit seiner Behauptung, der Grundumsatz läge bei dem Exponenten 2/3, Recht hat. Folglich sind die Berechnungen weiterhin strittig. Jetz und Mitarbeiter gehen für ihre Analysen vom Kleiber-Exponenten aus.
Demnach sind die Berechnungen ein interessanter Ansatz. Dass sich daraus erhebliche Konsequenzen für zahlreiche andere Überlegungen ergeben, ist bekannt. Ob es um das Zusammenleben in Gruppen geht, die Art der Paarung, die Übertragung von Krankheiten oder Räuber-Beute-Modelle: für jedes Modell wird diese Arbeit ein Anlass für neue Berechnungen sein.