Gericht kippt Druckmittel für einrichtungsbezogene Impfpflicht
Normative Kraft des Faktischen: Wer Ungeimpfte wegen Personalknappheit weiterarbeiten lässt, kann sich bei Zwangsgeldern laut Gerichtsurteil nicht auf Infektionsschutz berufen.
Während manche Landkreise – wie etwa Mittelsachsen – schon wegen der hohen Zahl Ungeimpfter unter den Beschäftigten von Kliniken und Pflegeheimen die einrichtungsbezogene Impfpflicht erklärtermaßen nicht mit Betretungsverboten durchsetzen, um die Versorgungssicherheit nicht zu gefährden, gibt es nun auch ein Gerichtsurteil, mit dem Druckmittel wie Zwangsgelder für rechtswidrig werden.
Nur sofortige Betretungsverbote entsprächen der Logik
Im Kern geht es in dem Urteil darum, dass nur sofortige Betretungsverbote mit dem Schutz vulnerabler Gruppen begründet werden könnten. Wer Ungeimpfte in den Einrichtungen aufgrund von Personalknappheit erst einmal weiterarbeiten lässt, kann sich demnach beim Verhängen von Zwangsgeldern nicht mehr mit dem Infektionsschutzgesetz berufen.
So hat das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht (OVG) am Mittwoch im Eilverfahren entschieden, dass der Landkreis Diepholz eine Mitarbeiterin eines Seniorenhauses nicht unter Androhung eines Zwangsgeldes zu einer Corona-Impfung bewegen darf. Das OVG wies damit eine Beschwerde des Landkreises gegen die Entscheidung des Verwaltungsgerichts Hannover zurück.
Der Landkreis hatte von der Einrichtung erfahren, dass die Mitarbeiterin nicht gegen das Coronavirus geimpft sei – und daraufhin verfügt, sie habe innerhalb von 14 Tagen eine Erstimpfung nachzuweisen sowie innerhalb weiteren 42 Tagen den Nachweis über eine Zweitimpfung beim Gesundheitsamt einzureichen. Für den Fall, dass sie der Anordnung nicht nachkomme, hatte der Landkreis ihr ein Zwangsgeld angedroht.
"Voraussichtlich rechtswidrig"
Bereits die erste Instanz hielt diese Androhung für unzulässig und führte aus, dass die Vorgehensweise wegen eines Verstoßes gegen die vom Gesetzgeber geschützte Freiwilligkeit der Impfentscheidung "voraussichtlich rechtswidrig" und nicht durch die Anforderungen der "einrichtungsbezogenen Impfpflicht" für Gesundheitspersonal nach Paragraph 20a Abs. 5 Satz 1 des Infektionsschutzgesetzes (IfSG) gedeckt sei.
Das OVG schloss sich dieser Rechtsauffassung an: Die Mitarbeiterin werde vom Landkreis mittelbar dazu verpflichtet, in der vorgegebenen Frist die Impfungen gegen das Coronavirus vornehmen zu lassen. Für eine solche Verpflichtung einer ungeimpften Person und erst recht für die Durchsetzung mittels eines Zwangsgeldes gebe es keine rechtliche Grundlage. Auch die "einrichtungsbezogene Impfpflicht" könne das nicht begründen, erklärte das Gericht.
Faktisch würden die Betroffenen nämlich nur vor die Wahl gestellt, "entweder ihre bisherige Tätigkeit aufzugeben oder aber in die Beeinträchtigung ihrer körperlichen Integrität durch die Impfung einzuwilligen".
Dementsprechend habe das Gesundheitsamt nur die Möglichkeit, bei Nichtvorlage eines Nachweises ein sofort vollziehbares Betretungs- oder Tätigkeitsverbot auszusprechen. Dies entspreche dem Sinn und Zweck der einrichtungsbezogenen Impfpflicht, äußerst vulnerable Personengruppen vor einer Infektion mit dem Coronavirus zeitnah und in besonderem Maße zu schützen. Eine Androhung von Zwangsgeld sei hingegen rechtswidrig. Die Entscheidung des Senats sei nicht anfechtbar, erklärte das Gericht.