Gericht verlangt Klima-Sofortprogramme
Bundesregierung verstößt gegen Klimaschutzgesetz. Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg gibt Klagen von Umweltverbänden statt. Das sind die Folgen.
Eine neue Schlappe für die Bundesregierung vor Gericht: Das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg hat sie verurteilt, Sofortprogramme für den Klimaschutz im Verkehrs- und Gebäudesektor vorzulegen. Die Sofortprogramme nach Paragraf 8 des Klimaschutzgesetzes sollen sicherstellen, dass die Sektoren ihre jeweiligen maximalen Emissionsmengen für die Jahre 2024 bis 2030 einhalten.
Geklagt hatten der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) und die Deutsche Umwelthilfe (DUH). Laut dem noch geltenden Paragrafen 8 des Klimaschutzgesetzes muss bei Überschreitung der Emissionshöchstmenge eines Sektors ein Sofortprogramm vom zuständigen Ministerium vorgelegt werden. Die beiden Umweltorganisationen feierten das Urteil als Erfolg.
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"Dieses Urteil ist der richterliche Doppel-Wumms für den Klimaschutz und eine schallende Ohrfeige für die Bundesregierung wegen ihrer katastrophalen Klimapolitik. Die Bundesregierung muss angesichts der heute startenden Weltklimakonferenz ein Zeichen für einen Neustart im Klimaschutz setzen und als einzige sofort wirksame Maßnahme ein Tempolimit von 100 km/h auf Autobahnen, 80 km/h außerorts und Tempo 30 für die Stadt umsetzen.
Damit lassen sich jährlich über 11 Millionen Tonnen CO2 und damit ein Drittel des Fehlbetrages im Verkehrssektor einsparen", erklärte der Geschäftsführer der DUH Jürgen Resch.
Muss Wissing jetzt die Ärmel hochkrempeln?
Die Bundesregierung hatte versucht, die Erarbeitung von Sofortprogrammen zu umgehen, da sie die Sektorziele ohnehin aus dem Klimaschutzgesetz streichen möchte. Noch im April hatte das Kanzleramt laut einem Bericht der Zeit angegeben, dass der Verkehrsminister kein Sofortprogramm mehr vorlegen müsse und damit die geltende Gesetzeslage ignoriert.
Aufgrund der Überschreitung des Sektorziels im Verkehrssektor wäre Volker Wissing verpflichtet gewesen, ein Programm zu erarbeiten, wie dieses in den Folgejahren eingehalten werden soll. Im Verkehrssektor wurden im vergangenen Jahr 147,9 Millionen Tonnen CO2-Äquivalente ausgestoßen, laut Sektorziel erlaubt gewesen wären 138,8 Millionen.
Damit waren die Emissionen gegenüber dem Vorjahr sogar angestiegen. 2021 betrugen die Verkehrsemissionen rund 148 Millionen Tonnen, auch in dem Jahr schon drei Millionen Tonnen mehr als vorgesehen. Laut Klimaschutzgesetz in seiner noch gültigen Version müssen die Emissionen des Verkehrssektors bis 2030 auf 84 Millionen Tonnen sinken. Die bisherige Entwicklung lässt nicht erkennen, wie das erreicht werden soll.
Im Gebäudesektor war das Emissionsziel im Jahr 2021 um 2 Millionen Tonnen überschritten worden, im Jahr 2022 lagen die Emissionen mit 112 Millionen Tonnen erneut über der Jahresvorgabe von 107,4 Millionen Tonnen. Bis 2030 müssen die Emissionen auf 67 Millionen Tonnen sinken.
Anders als Verkehrsminister Wissing haben Bauministerin Klara Geywitz und Wirtschafts- und Klimaschutzminister Robert Habeck aber ein Sofortprogramm für den Gebäudebereich vorgelegt, das allerdings vom Expertenrat für Klimafragen der Bundesregierung als unzureichend eingestuft wurde.
Das Oberverwaltungsgericht sieht es durchaus als gegeben an, dass die Ministerien Sofortprogramme vorgelegt hätten: "Nachdem die für die Sektoren zuständigen Bundesministerien im Juli 2022 solche Sofortprogramme vorgelegt haben, blieb ein Beschluss der Bundesregierung über diese Programme aus. Die Bundesregierung beschloss dann am 4. Oktober 2023 das Klimaschutzprogramm 2023", heißt es in der Pressemitteilung des Gerichts.
Allerdings waren die Programme unzureichend, der Expertenrat für Klimafragen hatte sich seinerzeit geweigert, das des Verkehrsministeriums überhaupt inhaltlich zu prüfen, da es nicht den Anforderungen an ein Sofortprogramm genügte.
"Das nunmehr beschlossene Klimaschutzprogramm 2023 erfüllt nach Auffassung des Senats nicht die Anforderungen an ein Sofortprogramm", befand nun das Gericht, das heißt, solange das alte Klimaschutzgesetz gilt, müssen die einzelnen Ministerien liefern.
Eine kostengünstige Maßnahme
BUND und DUH nennen zahlreiche Maßnahmen, mit denen Verkehrs- und Gebäudesektor auf den richtigen Kurs gebracht werden könnte – das Tempolimit bringt bei der aktuellen Haushaltslage dabei den Vorteil, fast kostenlos zu sein.
Ebenfalls eher haushaltsentlastend wären die Abschaffung des Dienstwagenprivilegs sowie der Steuervergünstigungen für Dieselkraftstoff und Kerosin und der Stopp des Autobahnbaus. Geld in die Hand genommen werden müsste aber für den Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs, der Schiene und der Radverkehrswege.
Für den Gebäudesektor fordert der BUND etwa flächendeckende Sanierungsfahrpläne, Vorgaben für die energetische Sanierung, angefangen bei Gebäuden mit der schlechtesten Energieeffizienz sowie 25 Milliarden Euro Fördermittel pro Jahr für klimazielkompatible energetische Modernisierungen.
Auch wenn BUND und DUH das Urteil feierten, ist mit einer raschen Umsetzung wahrscheinlich nicht zu rechnen, denn das Gericht hat in allen Verfahren Revision zugelassen. Die Bundesregierung könnte den weiteren Rechtsweg nun nutzen, um Zeit zu gewinnen.