Gerichtsurteil zum Attentat am Flughafen Sarafovo, doch Leerstellen und Fragezeichen bleiben
Als am Nachmittag des 18. Juli 2012 am Flughafen Sarafovo bei Burgas an der bulgarischen Schwarzmeerküste eine Bombe an einem Autobus explodierte, verloren sieben Menschen ihr Leben, gut drei Dutzend wurden zum Teil schwer verletzt (Der Rauch ist verflogen und alle Fragen sind offen). Fünf israelische Touristen waren unter den Todesopfern, außerdem ihr türkisch-bulgarischer Busfahrer und der französische Staatsbürger libanesischer Herkunft Mohamad Hassan El-Husseini, den die bulgarischen Ermittlungsbehörden später als Bombenleger identifizierten.
Acht Jahre und zwei Monate nach dem Attentat hat das Spezialisierte Strafgericht der bulgarischen Hauptstadt Sofia nun zwei Männer in Abwesenheit des Anschlags schuldig gesprochen. Der libanesischstämmige Kanadier Hassan el Hadsch Hassan und der libanesischstämmige Australier Meliad Farah wurden zur in Bulgarien gültigen Höchststrafe verurteilt, lebenslange Haft ohne Möglichkeit auf Freilassung. Außerdem sollen sie den Hinterbliebenen der Todesopfer und weiteren Geschädigten Entschädigungszahlungen in Höhe von 100 Millionen BGN (rund 50 Millionen €) leisten. Zwar wird vermutet, dass sich Farah und el Hadsch Hassan im Libanon aufhalten, bislang fahndet Interpol nach ihnen trotz "roter Ausschreibung vergebens.
Ist nun auch in erster Instanz ein Urteil zum Attentat von Sarafovo gefällt worden, so muss der genaue Tathergang weiter als ungeklärt gelten. Trotz aufwendiger Ermittlungsmethoden, so stellten die bulgarischen Behörden in einem Echtzeitversuch die Sprengung eines Autobusses nach, konnte nicht zweifelsfrei festgestellt werden, wer die im Rucksack von Mohamad Hassan El-Husseini befindliche 3-Kilogramm-Bombe aus Amonium-Nitrat zündete. War es El-Husseini selber, als ihn israelische Touristen hinderten, seinen Rucksack im Gepäckraum ihres Autobusses zu deponieren? Oder beobachteten Meliad Farah und Hassan el Hadsch Hassan aus kurzer Entfernung die Auseinandersetzung zwischen El-Husseini und den Israelis und gaben über Fernsteuerung den Impuls zur Detonation der Bombe? Eigentlich, so vermuten die Ermittler, hätte der Sprengsatz während der Fahrt des Autobusses vom Flughafen Sarafovo zum Badeort Sonnenstrand detonieren sollen. Dies hätte vermutlich eine beträchtlich größere Zahl an Todesopfern zur Folge gehabt.
Zeitlich teilt die bulgarische Staatsanwaltschaft das Attentat von Sarafovo in drei Abschnitte ein: die noch im Ausland getätigte Planung, die Einreise der Attentäter rund drei Wochen vor der Tat und ihre Ausführung. Nach ihren Erkenntnissen haben sich die drei Libanesen zuvor nicht gekannt, sondern in Bulgarien erstmals getroffen. Alle drei sollen über die Donaubrücke bei Russe eingereist sein, über sie sollen Farah und el Hadsch Hassan noch am Tag des Attentats das Balkanland wieder verlassen haben. Die von den drei Männern als Ausweisdokumente genutzten falschen Führerscheine sollen alle auf ein und demselben Drucker im Libanon hergestellt worden sein. "Es gibt keine direkten Beweise für die Schuld meines Mandaten", kommentierte die el Hadsch Hassan vom Gericht gestellte Pflichtverteidigerin Jeannette Scheljaskova das Urteil. Ob sie den Richterspruch anfechten wird, will sie im Laufe der zur Verfügung stehenden zweiwöchigen Frist entscheiden.
War die Hisbollah verantwortlich?
Die Bombenexplosion von Sarafovo hat im Sommer 2012 das Leben unschuldiger Menschen gekostet. Sie hat aber auch das Tourismusland Bulgarien aus seiner Beschaulichkeit gerissen und in Verwicklungen internationaler Politik katapultiert. Unmittelbar nach dem Anschlag bezichtigte Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu Iran als dessen Auftraggeber und die im Libanon ansässige schiitische Organisation Hisbollah als Ausführende. Er drohte mit militärischer Vergeltung und Angriffen auf iranische Atomanlagen. Als "lächerlich" wies Iran die Beschuldigung zurück, auch die Hisbollah lehnte jegliche Verantwortung ab. Sie schlage sich nicht mit Touristen, führte sie zum Nachweis ihrer Unschuld an.
Die New York Times zitierte am Tag nach dem Attentat einen namentlich nicht genannten Amerikaner mit den Worten, es habe sich um eine Vergeltungsaktion gehandelt für die Ermordung iranischer Atomexperten durch israelische Geheimdienstagenten. Doch im Verlaufe der Ermittlungen ließen sich weder der Tathergang zweifelsfrei rekonstruieren noch die tatsächlichen Hintergründe aufklären. Dennoch erklärte Bulgariens damaliger Innenminister Tsvetan Tsvetanov ein halbes Jahr nach dem Anschlag, es gebe Hinweise, dass die Hisbollah logistisch und finanzierend hinter der Tat stünde und die Attentäter dieser Gruppierung angehörten. Daraufhin setzte die Europäische Union (EU) den militärischen Flügel der Hisbollah auf ihre Liste terroristischer Vereinigungen.
Obwohl später auch der Tsvetanov im Amt nachfolgende Sozialist Tsvetlin Iovtschev behauptete, es gebe "klare Spuren", die bewiesen, dass "die Hisbollah hinter dem Attentat steht", fand die Hisbollah in der von der bulgarischen Staatsanwaltschaft im Sommer 2016 bei Gericht eingereichten Anklageschrift gar keine Erwähnung. Entsprechend wurde sie nun auch von der Richterin des Spezialisierten Strafgerichts Adelina Ivanova bei ihrer Urteilsverkündung mit keinem Wort erwähnt.
"Diese Leute haben das Attentat nicht allein wegen ihres Glaubens verübt, hinter ihnen steht eine Organisation. Sie haben Unterstützung, Geld und Logistik von der Hisbollah erhalten", argumentierte der die Interessen von vierzig Hinterbliebenen und Geschädigten vertretende israelische Rechtsanwalt Jakov Rant in seinem Abschlussplädoyer.
Nach Aussage von Bulgariens Generalstaatsanwalt Ivan Geschev lässt es die bulgarische Rechtssprechung aber gar nicht zu, Organisationen oder juristische Personen strafrechtlich zu belangen. "Es ist für niemanden ein Geheimnis, dass hinter diesem terroristischen Akt logistisch und finanzierend die Organisation Hisbollah steht und dass die drei Attentäter Mitglieder ihres militärischen Flügels gewesen sind", sagte er Ende August 2020. "Strafrechtliche Verantwortung ist in Bulgarien aber stets persönlich. Deshalb werden zu ihr - wenn auch in Abwesenheit - mit dieser Organisation verbundene Leute herangezogen." Es gebe durchaus Beweise der Zugehörigkeit von Farah und el Hadsch Hassan zum militärischen Flügel der Hisbollah, so Generalstaatsanwalt Geschev. "Finanzierung und Logistik für den terroristischen Akt stammen von dieser Organisation - zumindest soweit mir das zum jetzigen Moment von den zuständigen Staatsanwälten mitgeteilt worden ist. Zwei Leute sind angeklagt. Sie sind zur internationalen Fahndung ausgeschrieben."
Das Außenministerium von Israel begrüßte in einer offiziellen Stellungnahme die Verurteilung der beiden Libanesen zu lebenslanger Haft, forderte gleichzeitig, "auch die Hisbollah-Führung, die die Attacke befehligt hat, muss der Gerechtigkeit zugeführt werden".
Über acht Jahre nach dem Attentat auf den Flughafen Sarafovo hinterlässt seine kriminalistische und juristische Aufarbeitung einen faden Beigeschmack. So lange die beiden für den Terroranschlag verantwortlich gemachten Personen Meliad Farah und Hassan El Hadsch Hassan nicht ausfindig gemacht werden können und sich nicht persönlich den gegen sie erhobenen Tatvorwürfen stellen müssen, können sie kaum als zweifelsfrei der Tat überführt gelten. Und so lange wird auch die Verantwortung der schiitischen Hisbollah im Auftrage des Irans eine zu beweisende Behauptung bleiben und kann nicht als erwiesene Tatsache gelten.