Gerrymandering - Wahlbezirke mit Tentakeln
Wie US-Politiker am Sessel kleben und die Demokratie aus den Angeln heben
Seit Bekanntwerden der Sicherheitslücken der papierlosen "Computerwahlurnen" von Diebold (US-Wahlcomputer mit vielen Manipulationsmöglichkeiten) bangen viele um die Demokratie in den USA, denn diese PC-Urnen könnten leicht manipuliert werden und die Wahlen zu einer Farce verkommen lassen. Dass damit nicht viel verloren ginge, zeigt der neuerliche Streit um Gerrymandering: Die Republikaner haben in einigen Bundesstaaten die Wahlbezirke neu festgelegt, damit dank des Mehrheitswahlrechts möglichst viele Stimmen in möglichst wenigen Bezirken an die Demokraten gehen, während in den meisten anderen Bezirken die Republikaner mit knappen Siegen die Mehrheiten stellen. Nun muss dasselbe Verfassungsgericht, das Bush 2000 zum Präsidenten erklärte, entscheiden, ob ein konkreter Fall von Gerrymandering illegal war.
Der Bundesstaat Pennsylvania stellt 19 Repräsentanten im Repräsentantenhaus. 12 davon sind z.Z. Republikaner. Komisch, dass die Republikaner 63% der Abgeordneten stellen, obwohl 48% der dortigen Wähler sich als Demokraten registriert haben - und nur 42% als Republikaner.
Möglicherweise liegt diese Schieflage daran, dass die Republikaner die Wahlbezirke in Pennsylvania so umgestaltet haben, dass eben nur sie gewinnen können. So lautet jedenfalls die Anklage ihrer demokratischen Kontrahenten, die im Fall Vieth vs. Jubelirer am Mittwoch im US-Verfassungsgericht angehört wurden.
Dabei ist Pennsylvania keine Ausnahme. Texas macht seit etwa einem Jahr Schlagzeilen, weil die demokratischen Abgeordneten dort den Bundesstaat verlassen hatten, um den texanischen Kongress beschlussunfähig zu machen, damit die Republikaner die Wahlbezirke nicht neu festlegen, um republikanische Mehrheiten zu garantieren (Homeland Security jagt Politiker). Diese Praxis ist so weit verbreitet, dass das US-Wahlsystem durch Gerrymandering zu einem sinnentleerten Ritual verkommen ist, denn 2002 haben lediglich 4 Amtsinhaber die Wahlen für das Repräsentantenhaus verloren - die niedrigste Rate jemals. Mehr als 99% der Amtsinhaber im Repräsentantenhaus wurden also wiedergewählt.
Eine verwerfliche Praxis
"Eines Tages kommt die Demokratie in die USA", sagte dazu Dimitry Rotow gegenüber Telepolis. Herr Rotow ist Produktmanager und Pressesprecher bei der Firma Manifold, Hersteller der Kartografie-Software, die modernes Gerrymandering möglich macht. Zwar hat es Gerrymandering schon immer gegeben: das Wort selbst ist schon 1812 geprägt worden. Heute wird aber mit Data-Mining-Werkzeugen präzise ermittelt, welche politischen Neigungen die Bewohner eines Blocks haben.
Dass Gerrymandering mittlerweile gängige Praxis ist, zeigt unter anderem die Webseite von Manifold, wo die Firma offen mit dieser Anwendung seiner Software wirbt:
Rotow beschwichtigte, man könne nichts dafür, dass die hochwertige Kartografie-Software seiner Firma, die auf einer ausgefeilten "neurofuzzy" Datenbanktechnik basiert, auf eine so "verwerfliche" Art missbraucht werde. Schließlich könne kein Technikhersteller sicherstellen, dass kein Unfug mit seinen Produkten betrieben werde. Aber es sei eben nichts Außergewöhnliches, beide Parteien würden sich dieser Technik bedienen, damit ihre Amtsinhaber keine Gefahr laufen.
There is political motivation in line-drawing. And frankly, we don't have a problem with that. The question is whether or not they [die Demokraten] have been shut out of the process.
Bart DeLone, Generalstaatsanwalt aus Pennsylvania am Mittwoch beim Verfassungsgericht
Genauso argumentierte die Anwaltskanzlei Kirkpatrick & Lockhart, die den Gerrymandering-Fall in Pennsylvania vor dem US-Verfassungsgericht verteidigt. Man müsse eben unterscheiden zwischen unzulässigen Wahlkreiszuschnitten, die gegen "identifizierbare Gruppen" (identifiable groups) diskriminieren, und legitimem "partisan gerrymandering", zu deutsch etwa politisch motivierten Wahlkreiszuschnitten. Erstaunlich ist dabei, dass Rechtsanwalt Krill genau wie Manifold den Begriff Gerrymandering als etwas verwendet, was eben nicht per se verboten ist, sondern durchaus eine legale Form besitzt.
Das US-Verfassungsgericht sieht es offenbar genauso. 1993 entschied es zwar im Fall Shaw vs. Reno, dass Wahlbezirke nicht nach Rassen getrennt werden dürfen, doch 2001 befand es in Hunt vs. Cromartie, dass man durchaus einen zu 95% schwarzen Bezirk haben könne, um einen "sicheren demokratischen Bezirk zu bekommen" (Schwarze wählen meistens demokratisch), d.h. Gerrymandering aus rein politischen, nicht aus rassistischen Gründen sei zulässig. So verteidigte der Gouverneur von North Carolina die Entscheidung, "schwarze" Bezirke zu schaffen:
Maintaining such a balance was necessary to ensure compromise between the Republican-controlled State House of Representatives and the Democrat-controlled State Senate, and this in turn required placing District Twelve's Democratic incumbent (as well as the other eleven incumbents) in "safe" districts.
Auch in Texas betonen die Anwälte für Gerrymandering, dass die neuen Bezirke "nur politisch motiviert" sind, nicht rassistisch. Man gibt also nicht nur offen zu, dass die neuen Bezirke so gestaltet sind, dass die Republikaner mehr Plätze im Kongress bekommen, sondern legt Wert darauf, das dies legitim sei.
Die eine Hand wäscht die andere
Dass Amtsinhaber aus beiden Parteien sich des Gerrymandering bedienen, beweist unter anderem der Fall von Pennsylvania, denn 40% der dortigen demokratischen Abgeordneten haben für die Neufestlegung der Wahlbezirke gestimmt, die zu der derzeitigen Schieflage führte. Nun brauchen eben diese 40% bis zur nächsten Volkszählung in 10 Jahren Wahlen nicht mehr zu fürchten. Die Wahlbezirke werden nämlich regelmäßig neu festgelegt - und zwar generell alle 10 Jahre aufgrund der Volkszählung.
Die Republikaner haben just letzte Woche eine ähnliche Entscheidung im höchsten Gericht von Colorado verloren. Dort war der Missbrauch offensichtlich: Die Republikaner wollten ein Jahr nach der Neufestlegung der Wahlbezirke alles wieder neu ordnen, und zwar so, dass sie die absolute Kontrolle behalten: von 5 der 7 Abgeordneten auf 6 oder gar 7. Nun versprechen die Republikaner, den Fall von Colorado bis zum Verfassungsgericht in DC zu bringen.
Ob Sie dort mehr Erfolg haben würden, wird sich erst zeigen, wenn der anhängige Fall Vieth v. Jubelirer entschieden ist. Fox News sah nach der Anhörung am Mittwoch jedenfalls klar:
Das Oberste Gericht hat es fast unmöglich gemacht, eine Klage zu gewinnen, nach der das parteiische Gerrymandering nicht der Verfassung entspricht.
Und Richterin Sandra Day O'Connor, die oft das Zünglein an der Waage im Verfassungsgericht ist, ließ am Mittwoch erahnen, dass sie nicht glaubt, dass es die Rolle der Justiz sei, die Politik aus der Festlegung von Wahlbezirken fernzuhalten:
Vielleicht müsste man so vorgehen, dass man am besten die Finger davon lässt.
Wenn aber alles so bleibt, dann dürfte es mit der Demokratie in den USA zunächst vorbei sein, warnte Professor Samuel Issacharoff:
Die Wähler bestimmen nicht länger die Mitglieder im Repräsentantenhaus, sondern die Menschen, die die Linien ziehen.
Ein Entscheid wird nächstes Jahr erwartet.