Gescheiterter Staat?
Was nach dem Weggang des Präsidenten Ali Abdullah Salih aus dem Jemen wird, ist unklar
Der Jemen ist ein Staat, von dem man häufig sagt, dass es nur eins gibt, was seine Bürger verbindet: Die Droge Kath, die ein Großteil der Männer dort täglich kaut. Sie ist auch maßgeblich mit dafür verantwortlich, dass die Wasservorräte des Landes in absehbarer Zeit zur Neige gehen werden, weil seit den 1970er Jahren immer tiefere Brunnen gebohrt wurden, um die Kath-Sträucher zu bewässern. Die Zukunftsaussichten des Jemen gelten deshalb allgemein als düster: Außer der Landwirtschaft gibt es kaum Infrastruktur, die eine explodierende Bevölkerung ernähren könnte, und die wenigen Ölvorkommen dürften noch schneller leer gepumpt sein als das Grundwasser.
Der Raubbau war allerdings eher ein Effekt der Nachfrage im Lade als aktive Schuld des seit 1978 amtierenden Präsidenten Ali Abdullah Salih, der bei einem Raketenangriff am 3. Juni verletzt wurde und nun in einem Krankenhaus im benachbarten Saudi-Arabien behandelt wird. Ob und in welcher Rolle er wieder heimkehren wird, ist derzeit noch unklar. Als Drahtzieher des Angriffs gilt Salehs Widersacher Scheich Sadik al-Ahmar, ein Führer des al-Ahmar-Clans und der Haschid-Stämme, die im Norden und Westen des Landes leben. Dass der Sanhan-Clan von Präsident Salih ebenfalls zu den Haschid gehört, stört die Feindschaft offenbar ebenso wenig, wie eine Verwandtschaft zum Präsidenten den als extrem korrupt verschrienen General Ali Mohsen al Ahmar von einem Seitenwechsel zur seit Januar in der Hauptstadt demonstrierenden Opposition abhielt, deren Protagonisten über diese Hilfe nur zum Teil begeistert zu sein scheinen.
Die Rivalität zwischen den Stämmen und Clans, die die Auseinandersetzung seit Januar prägt, ist allerdings nur einer der Gegensätze in dem Staat, der schon seit den 1990ern immer wieder von größeren bewaffneten Auseinandersetzungen heimgesucht wird. Eine wichtige Rolle spielen dabei religiöse Unterschiede, die sich auch geografisch niederschlagen: Während an den Küsten und im Osten des Jemen fast ausschließlich Sunniten leben, herrschen im nördlichen Hochland zaiditische Schiiten vor, die landesweit 42 Prozent der Bevölkerung stellen. Ihre Lehre verbreitete sich durch den 896 aus dem Irak gekommenen al-Hadi Yahya, der im Südwesten der arabischen Halbinsel politische Macht erlangte und eine Dynastie begründete. Zaiditen verehren als fünften Imam nicht Muhammad al-Baqir, sondern Zaid ibn Ali, der 740 im Kampf gegen die Omajaden unterlag.
Zwischen 2004 und 2010 kam es zu religiös motivierten Auseinandersetzungen in der Provinz Sada und in den benachbarten Regionen Amran und Haddscha. Über die genauen Inhalte des Konflikts finden sich ebenso widersprüchliche Informationen wie über Anlass und Ablauf. Kriegsgegner waren in jedem Fall die Truppen der Regierung des Jemen und Anhänger der zaiditischen Religionsführer Badr al-Huthi, Hussein al-Huthi und Abdul Malik al-Huthi - vor allem die Erweckungsbewegung "Schabab al-Mumin" ("Gläubige Jugend"). Gegründet wurde sie möglicherweise als Reaktion auf mit saudischem Geld finanzierte aggressive wahabitische Missionierungsversuche, deren Symbol die Dammaj-Schule in Sada ist. Nach einem Aufenthalt in Teheran soll Hussein al-Huthi 1997 mit iranischem Geld eine schiitische Gegenreformation dazu organisiert haben, die schließlich in eine militärische Auseinandersetzung mündete. Allerdings standen bei weitem nicht alle Zaiditen (die durchaus keine politisch oder wirtschaftlich benachteiligte Gruppe sind und zu denen auch Präsident Salih gehört) hinter den Huthisten - viele stufen ihre Aktivitäten auch als "Fitna" ein, als "Glaubensspaltung".
Die jemenitische Regierung warf den Huthisten vor, "die Landesflagge mit jener der Hisbollah vertauscht zu haben" (deren Chef Nasrallah wiederum jede Verbindung von sich wies). Widersprüchliche Meldungen gab es darüber, inwieweit die Huthisten die Wiedereinführung eines zaiditischen Imam als Staatsoberhaupt des Jemen anstreben, wie dies bis 1962 der Fall war. Angeblich hatte sich der im September 2004 verstorbene Hussein al-Huthi sogar selbst dazu ausgerufen. Die Rebellen selbst verwiesen in ihren eigenen Erklärungen vor allem auf die Feindschaft zu den USA und Israel als zentrales Anliegen.
Auch im bis 1990 unabhängigen Südosten des Landes kam es 1994 und 2009/2010 zu Aufständen, die eine Abspaltung zum Ziel hatten. Obwohl sich die Separatisten auch positiv auf den Sozialismus der ehemaligen Volksrepublik Südjemen berufen, wurde die letzte dieser Rebellionen eher von Stämmen und von radikalen Sunniten getragen, die 1994 noch aufseiten Salihs fochten. Sogar Naser al-Wahishi, der Führer von al-Qaida auf der arabischen Halbinsel gab sich öffentlich als Unterstützer der Bewegung. Um sich davon zu distanzieren, veröffentlichte Tariq al-Fadhli, der Sohn des ehemaligen Sultans im britischen Protektorat und derzeitiger Führer der Unabhängigkeitsbewegung, ein Video, in dem er vor seinem Haus die amerikanische Flagge hisst und die amerikanische Nationalhymne singt.
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