Gesellschaft ohne Vertrauen: Die German Angst ist zurück
Seite 2: Alles wird schön geredet
Anstatt das ermunternde, aber doch mit vielen Fehlern und kleineren Schwächen behaftete 6:0 gegen Marokko seriös zu analysieren und angemessen einzuordnen, badete man in der Erfolgsstimmung. Man war damit denkbar schlecht gewappnet für das Duell mit dem vermeintlich stärksten Gegner der Gruppe, Kolumbien.
Nachdem dieses Spiel verloren ging - immerhin die erste Niederlage in einem Vorrundenspiel seit 28 Jahren - redete man sich dies auch wieder zumindest öffentlich schön.
Aber Fußballer sind keine Politiker, die Wähler überzeugen müssen, und keine Verkäufer, die ihre Produkte an die Kunden bringen müssen. Oder doch? So reden sie jedenfalls öffentlich - nicht als Stellvertreter der Nation, der Fans, deren Gefühle sie spiegeln, nicht steuern müssten.
Die deutschen Spielerinnen und ihr Trainerteam haben vorher keinerlei öffentliche Selbstkritik gezeigt, sondern sich das alles schöngeredet, so wie in Deutschland immer alles schöngeredet wird.
Zum Arsenal der Ausreden gehört die Statistik. Die ergab gute Werte für die Deutschen. Aber statistische Werte sind uninteressant, wenn die wichtigste Statistik nicht stimmt: Die Tabelle und ihre Punkte ist auch eine Statistik.
Fehlende Einstellung und Hybris
Blicken wir auf das Spiel selbst. Tatsächlich hat vor allem die Einstellung gefehlt. Nie hatte man das Gefühl, das letzte Gruppenspiel gegen Südkorea sei für die deutsche Mannschaft mehr als eine Pflichtübung.
Gedanklich waren die Spielerinnen eigentlich schon am ersten Gruppenspieltag im Achtelfinale, wo nur noch die Frage offen war, ob Frankreich oder Brasilien der Gegner sein würde. Dass der gefürchtete Turnierfavorit Brasilien schon einen Tag vor den Deutschen ausschied, war diesen auch keine Warnung.
Ins Spiel ging man mit einer viel zu offensiven Aufstellung: mit Dreierkette und zwei Stürmern. Das spiegelte den unrealistischen Optimismus der Tipps im ZDF-Studio, wo nur noch die Frage war, ob ein 4:0 oder ein 5:2 am Ende stehen würde. Wunschdenken - entweder aus Angst, sich öffentlich nicht "patriotisch" genug zu geben, oder aus Mangel an Kritikfähigkeit.
Gleich am Anfang wurde diese Hybris enttäuscht: Eine fast 100-prozentige Chance für Korea in der dritten Minute zeigte, dass die deutsche Abwehr jetzt so toll stabil stand, bloß weil Marina Hegering wieder dabei. Über Marina Hegering wurde vor dem Spiel geredet, als wäre sie ein Defensiv-Messias, als käme von der Frau die Offenbarung. Aber sie ist einfach eine robuste Abwehrspielerin.
Tatsächlich zeigte sich schnell, was man seit Jahren wusste: Deutsche Nationalmannschaften können nicht Dreierkette spielen, die Frauen nicht und die Männer nicht. Es gab gleich mehrere schwache Situationen in den ersten Minuten, und dann das nicht mal glückliche 1:0 für Korea in der fünften Minute.
Wie gegen Kolumbien schon gab die deutsche Mannschaft auch gegen Korea das Mittelfeld preis und lief den Gegner viel zu spät an, statt ihn in seine eigene Hälfte zu pressen, was mit Korea genauso hätte passieren müssen, wie mit Kolumbien.
Nicht flexibel, nicht mutig, nicht rau, nicht schmutzig
Geben wir doch einfach einmal zu, dass die Bundestrainerin sich brutal vercoached hat. Dass sie sowohl Jule Brand, als auch Alexandra Popp größtenteils aus dem Spiel genommen hat, indem diese beiden starken Spielerinnen sich im Mittelfeld gegenseitig neutralisierten und auf den Füßen herumstanden. Und die Dreierkette war einfach von Anfang an absurd.
Es folgt natürlich auch die Frage, warum Laura Freigang nie spielt, obwohl sie doch eine hervorragende Spielerin ist, mit dem besten Spiel/Tore-Verhältnis aller Nationalspielerinnen? Und ob man immer wieder nur auf Popp, auf Däbritz, auf Hegering setzen muss, das ist die Frage. Hegering hat eher Unsicherheit in die Abwehr reingebracht und nicht Stärke, nur Robustheit nach vorn.
Es fehlen die Konsequenz und das System: Entweder man setzt konsequent auf die Jungen oder man sagt: Alle für Popp, Popp ist unser Messi. Aber der Mittelweg brachte das Ausscheiden.
Es liegt am Coaching, dass nicht jedes Spiel auch in der Gruppenphase wie ein Endspiel angegangen wird. Dass man sich auf statistische Überlegenheit beruft, und nicht versucht, wie viele Gegner rau und schmutzig zu spielen.
Natürlich haben die immer neuen Veränderungen in der Aufstellung, im System, ganz ähnlich wie bei den Männern, die Verunsicherung gestärkt. Ein Spielsystem muss vor so einem Turnier stehen. Dafür waren in diesem Fall zwar auch Verletzungen ein Grund, aber trotzdem ist es auch ein Kennzeichen für eine Unsicherheit und dafür, dass die Bundestrainerin ihre Formation nicht gefunden hat und weiterhin nichts klar war.
Die Mannschaft auf dem Feld dachte nicht flexibel, nicht mutig und das lag auch am Trainerteam. Auf dem Platz selber müssen sie umstellen und etwas anderes zeigen können. Sie müssten das Spiel nach außen ziehen, aus dem Mittelfeld rausnehmen, aber die Deutschen gingen immer wieder mit dem Kopf durch die Mitte.
Der Ferne Osten wurde wieder zur Nemesis der Deutschen
So haben die deutschen Spielerinnen in diesen Tagen vieles kaputt gemacht, was sie bei der EM aufgebaut haben. Auch Frankreich lag in seinem letzten Spiel zurück, mit 0:1 schon in der ersten Minute und war kurzfristig ausgeschieden. Aber Frankreich hat auf diesen Schock geantwortet, indem sie bis zur Halbzeit vier Tore geschossen haben.
Doch der Ferne Osten wurde wieder zur Nemesis für die Deutschen. Wie für die Männer Südkorea bei der WM 2018. Wie Japan bei der WM 2022. Wie Japan bei der Frauen-Heim-WM 2011. Dabei hatte schon Helmut Schmidt gewusst: Wir müssen von Japan und Korea lernen.
Aber dann – das Spiel war noch keine fünf Minuten verloren – folgte gleich schon wieder das Schöngerede: "Ich verbürge mich für diese Mannschaft", (...) "man kann nicht unterstellen, dass sie nicht wollen" – man kann aber ein Mentalitätsproblem unterstellen. Denn auch diese Art der Fehlerbewältigung wirft die Mentalitätsfrage auf.
Man sollte nicht gleich mit den Verletzungen kommen und mit irgendwelchen anderen Entschuldigungsgründen, sondern muss jetzt erstmal feststellen, dass das Ergebnis so oder so unbefriedigend ist, auch im Licht der Entschuldigungen.
Und dann fragen, was alles die Ursache des Ergebnisses ist.
Und wie kommt die Kommentatorin darauf, dass es an der Einstellung ganz sicher nicht hapert? Natürlich hapert es ganz offensichtlich an der Einstellung. Da kann man toll den Damenfußball vermarkten, da kann man kleine ZDF-Serien drehen, aber so geht es nicht.
Viel Strategie, keine Taktik
Was man im fußballästhetischen Ausdruck gesehen hatte, war ein Land im Stress. Ein Land, das es nicht aushalten kann, unter Stress gestellt zu werden. Die nicht die mentale Stärke hat, um Druck standzuhalten, um mit dem Unerwarteten, Plötzlichen umzugehen. Die unter Druck viele Fehler macht.
Wenn es Widerstände gibt, die das eigene Spiel stören und durcheinander bringen, dann gibt es keine umgekehrte Widerstandskraft, dann gibt es nicht die Möglichkeit, Widerstände zu überwinden. Denn dem Team fehlt offenkundig die Möglichkeit, ein Spiel "zu lesen" und sich auf das Spiel des Gegners einzustellen, also das eigene Spielsystem selbständig auf dem Platz umzustellen.
Es fehlt die Fähigkeit, taktisch zu handeln. Man besteht darauf, seine bestimmte, langgeplante Strategie der Umgebung aufzuzwingen und sturköpfig durchzuziehen.
Man kann fragen, warum es überhaupt so komplizierte Match-Pläne geben muss. Aber vielleicht gibt es die bei allen Teams. Nur wenn schon, dann muss man fünf, sechs solche Matchpläne machen. Bei der deutschen Mannschaft gab es keinen Plan-B und einen Plan-C schon gar nicht. Es gab keine verschiedenen Werkzeuge.