Gewerkschaften warnen vor Folgen der Energiekrise

Drohende Knappheit bedroht Löhne und Arbeitsplätze. Einhellige Warnungen von Arbeitnehmer- und Unternehmerseite. IG-Metall fordert hohen Lohnzuwachs

Die drohende Energiekrise im kommenden Herbst und Winter ruft in zunehmendem Maße Sozialverbände und Gewerkschaften auf den Plan. Und das nicht erst, seit der Chef der Bundesnetzagentur, Klaus Müller, Mitte der Woche vor einer Verdreifachung der Gaspreise für Endkunden gewarnt hat.

Vor gut drei Wochen schon drei Wochen hat der Vorsitzende der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di, Frank Werneke, davor gewarnt, dass der Gasmangel die Versorgung von Bevölkerung und notwendige Lieferketten in der Wirtschaft bedrohe. Die Bundesregierung müsse daher "alle Maßnahmen ergreifen, um die Beschäftigten und die notwendige Infrastruktur für die Energieversorgung Deutschlands zu schützen":

Angesichts der nach wie vor hohen Gaspreise sind Stadtwerke, Regionalversorger und Gasimporteure akut existenziell gefährdet. Wir brauchen umgehend einen Schutzschirm für die betroffenen Energieversorger. Gas- und Stromversorgung sind ein zuverlässiges und eng getaktetes Netz. Wenn einzelne Versorger dort in Folge von Insolvenzen herausbrechen, steht die gesamte Versorgungssicherheit auf dem Spiel.

Frank Werneke

Schon Ende März hatten sich deutsche Gewerkschaften gegen ein Gasembargo gestemmt. Ein solcher Schritt sei vor allem wegen der "besonderen Empfindlichkeit der deutschen Volkswirtschaft" gefährlich, hieß es von dieser Seite. Bei einem weiter zugespitzten Gasmangel sei von einem "schnellen Zusammenbruch der industriellen Produktionsketten in Europa" zu rechnen, sagte der Vorsitzende der IG BCE, Michael Vassiliadis. Der Chef der Baugewerkschaft wies auf einen besonders hohen Bedarf an Erdgas in der Chemie- und der Metallindustrie hin.

In den Warnungen vor den wirtschaftlichen Folgen einer Versorgungskrise sind sich Gewerkschaften und Arbeitgebern in seltener Weise einig. "Die Firmen müssten sicher Hunderttausende Mitarbeiter in Kurzarbeit schicken, viele Arbeitsplätze würden auf Dauer verloren gehen", sagte IG-Metall-Chef Jörg Hofmann Anfang Mai in einem Interview mit der "Rheinischen Post". Der Vorsitzende des Deutsche Industrie- und Handelskammertags, Peter Adrian, warnte zugleich vor großen Engpässen bei Erdgas nach Herbstbeginn. Die Folge wären dann Rationierungen und die Schließung ganzer Betriebe.

Tarifrunde Metall: Gewerkschaft steigt mit hoher Forderung ein

Mit ähnlichen Worten warnte Baden-Württembergs IG-Metall-Chef Roman Zitzelsberger bei einem selbst- oder fremdverschuldeten Stopp der Gaslieferungen aus Russland vor erheblichen Auswirkungen auf viele Unternehmen.

Man sei "derzeit intensiv dabei, gemeinsam mit den Betriebsräten, von den Unternehmen klare Fahrpläne zu verlangen", so Zitzelsberger nach Agenturangaben. Von der Bundesregierung forderte er weitere Entlastungen sowie einen Gaspreisdeckel für den Grundbedarf der Haushalte. Als mögliche Maßnahme brachte er eine Reduzierung der Stromsteuer ins Gespräch.

Vor dem Hintergrund der schon jetzt merkbaren Wirtschaftskrise geht Deutschlands größte Gewerkschaft, die IG Metall geht mit einer relativ hohen Lohnforderung in die anstehenden Verhandlungen. Der Vorstand der IG Metall hat am Montag dieser Woche beschlossen, in der Tarifrunde in der Metall- und Elektroindustrie acht Prozent mehr bei den Entgelten und den Ausbildungsvergütungen zu fordern. Der Abschluss würde für insgesamt etwa 3,9 Millionen Beschäftigte unter anderem im Fahrzeug- und Maschinenbau gelten.

Hofmann sagte zur Begründung: "Die Beschäftigten brauchen Entlastungen, auch mit Blick auf ihre 2023 nochmals steigenden Rechnungen." Die Konjunktur brauche steigende Einkommen und stabilen Konsum als existenzielle Stütze. Dafür müssten nun die Arbeitgeber einen gerechten Beitrag leisten. Deren Reaktion kam umgehend. Gesamtmetall-Präsident Stefan Wolf bezeichnete die Forderung als einen alarmierenden Realitätsverlust der Gewerkschaft.

"Diese nun beschlossene Forderung ist nur zu erklären, wenn die IG Metall blind geworden ist für die Wirklichkeit in der Branche", sagte Wolf. Den meisten Unternehmen ginge es schlecht, die tatsächliche Produktion in der Branche liege zwölf Prozent unter dem Volumen des Jahres 2018, seitdem habe es aber Lohnsteigerungen von neun Prozent gegeben.

Die Tarifverhandlungen starten Mitte September, die Friedenspflicht endet Ende Oktober. Gestreikt werden könnte ab dem 29. Oktober.

Debatte um Lohn-Preis-Spirale

Acht Prozent mehr Lohn und Gehalt seien viel, sagte sich Melanie Arntz vom Leibniz Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) gegenüber tagesschau.de. Solch hohe Lohnerhöhungen würden dazu führen, dass die Unternehmen die Preise weitergäben, wenn dies der Markt zulasse. "Das befeuert dann die Lohn-Preis-Spirale", sagte Arntz. "Die Unternehmen sind ja auch durch steigende Energiekosten und andere steigende Kosten belastet, so dass es sicher nicht so viel mehr zu verteilen gibt."

Marcel Fratzscher, Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) widerspricht im Interview mit n-tv: "Wir haben derzeit keine Lohn-Preis-Spirale." Er rechne mit Tariferhöhungen zwischen vier und für Prozent, was bei der aktuell hohen Inflation Reallohnverluste bedeute. "Die Beschäftigten tragen einen großen Teil der Last", sagte Fratzscher.

Mit der Lohn-Preis-Spirale bezeichnet die volkswirtschaftliche Theorie eine sich gegenseitig befeuernde Lohn- und Preisinflation. Um eine solche möglichst zu stoppen, hat die Bundesregierung in der vergangenen Woche eine Gesprächsrunde mit Arbeitgebern und Gewerkschaften unter dem Titel einer "Konzertierten Aktion" gestartet. Die DGB-Vorsitzende Yasmin Fahimi sagte nach dem ersten Treffen, man sei sich einig, keine Lohn-Preis-Spirale in Gang setzen zu wollen.

Die hohe Lohnforderung löse auch keine Lohn-Preis-Spirale aus, sagte IG-Metall-Chef Hofmann Anfang Juni der Süddeutschen Zeitung. Er verwies auf die jährliche Steigerung der Produktivität von 1,1 Prozent, ergänzt um eine Umverteilungskomponente, weil die Firmen der Branche gut verdienten und die von der Europäischen Zentralbank veranschlagten Preissteigerung von zwei Prozent.

So komme man für zwei Jahre auf mindestens sieben Prozent, hieß es damals. "Wir haben das Wohl des ganzen Landes im Blick", sagte Hofmann. "Das sehen Sie schon daran, dass wir die zwei Prozent EZB-Zielinflation zum Maßstab nehmen und nicht die aktuelle Inflation von fast acht Prozent. Denn dann wäre unsere Forderung zweistellig."

Dieser Meldung erscheint in Kooperation mit dem Magazin hintergrund.de