Gibt es jetzt ein Foto vom Abschuss der MH-17?
Auf dem vom russischen Pervi-Fernsehkanal am Freitag gezeigten Foto ist angeblich die Beschießung einer Passagiermaschine durch ein Kampfflugzeug zu sehen
Im ersten russischen Fernseh-Kanal, "Pervi", wurde am Freitagabend ein brisantes Satelliten-Foto präsentiert. Es zeigt eine Passagiermaschine und ein MIG-29-Kampfflugzeug in nur geringer Entfernung. Wenn das Foto echt ist, wurde es wenige Sekunden vor dem Absturz der malaysischen Passagiermaschine MH 17 aufgenommen. Die Boeing 777 der Malaysia Airlines stürzte am 17. Juli dieses Jahres um 16:20 ukrainischer Ortszeit aus etwa 10.000 Meter Höhe ab. An Bord befanden sich 298 Insassen.
Veröffentlicht wurde das Foto von dem für seine scharfe, Anti-US-Rhetorik bekannten Moderator Michail Leontjew in dessen Sendung "Odnako". Was das von dem russischen Fernsehkanal veröffentlichte Schwarz-Weiß-Bild besonders brisant macht, ist der weiße Streifen, der sich vom linken Flügel der MIG 29 zu der Passagiermaschine zieht. Möglicherweise handelte es sich dabei um den Kondensstreifen einer Luft-Luft-Rakete.
Der Zeitpunkt der Foto-Veröffentlichung ist für Russland günstig. Der australische Ministerpräsident Tony Abbott - Gastgeber des G-20-Gipfels - wollte Wladimir Putin wegen des Abschusses der Passagiermaschine MH17 eigentlich ausladen. Der russische Präsident trage eine Mitverantwortung für den Abschuss, hieß es von australischer Seite. Putin durfte dann aber doch kommen. Der australische Ministerpräsident kündigte dann an, er wolle sich den russischen Präsidenten "vorknöpfen". Das hat er schon, sehr zurückgenommen, in Peking gemacht (Aus dem Vorknöpfen wurde nichts). Die Veröffentlichung des Fotos wird eine Konfrontation in Australien noch weniger wahrscheinlich machen.
In der russischen Fernsehsendung am Freitagabend trat auch der Vizepräsident des Verbandes der Ingenieure Russlands, Iwan Andrijewski, auf. Er erklärte, seinem Verband sei das Foto "am 12ten" (November?, U.H.) per Email zugeschickt worden. Der Absender, ein gewisser George Bilt, sei "Absolvent des MIT" und habe nach eigener Aussage zwanzig Jahre Berufserfahrung. Wie aus der Begleitmail (siehe Foto) hervorgehe, stimme der Absender mit der These der russischen Ingenieure überein, dass die MH 17 von einem Kampfflugzeug abgeschossen wurde.
Andrijewski wies darauf hin, dass sein Verband schon im August eine Untersuchung vorgelegt hatte, nach der die malaysische Passagiermaschine von einem Kampfflugzeug abgeschossen wurde. Die von westlichen Medien und Politikern vertretene These, Separatisten in der Ostukraine hätten das Passagierflugzeug mit einer Buk-Rakete abgeschossen, sei nicht stichhaltig. Buk-Raketen würden beim Start einen Lärm entwickeln, der noch zehn Kilometer weit zu hören sei. Doch in dem dichtbesiedelten Gebiet Donezk habe niemand etwas von so einem Start mitbekommen. Außerdem hinterlassen die Raketen des Buk-Systems einen langen Kondensstreifen, der noch zehn Minuten in der Luft zu sehen ist. Auch der Raketenschweif sei von niemandem beobachtet worden.
"Eine klassische Kampfattacke"
Der angebliche Sender des Fotos, George Bilt, hatte in seiner Begleitmail seine Version des Absturzes dargelegt (siehe Foto). Danach sei die Passagiermaschine zuerst mit der Bordkanone des Kampfflugzeuges beschossen wurde. Dann sei das Cockpit der Boeing 777 mit einer Luft-Luft-Rakete abgetrennt worden. Schließlich sei dann das rechte Triebwerk und der rechte Flügel der Passagiermaschine mit einer Rakete beschossen worden, die sich wärmeorientiert selbst ihr Ziel sucht. Es sei eine "klassische Kampfattacke" gewesen, schrieb der Informant.
Das Foto von den beiden Flugzeugen, so der Vize-Präsident des russischen Ingenieurverbandes, sei von einem Aufklärungssatelliten aus "geringer Höhe" gemacht worden. Die auf dem Foto angegebenen Koordinaten deuteten darauf hin, dass es sich um einen britischen oder amerikanischen Satelliten handelte. Man habe das Foto genau geprüft und keine Hinweise für eine Fälschung gefunden.
Hohe Aktivität ukrainischer "Buk"-Radaranlage
Auch russische Militärexperten hatten die These von einer Buk-Rakete, angeblich abgefeuert von den Separatisten in der Ost-Ukraine, immer bestritten. Am 21. Juli hatte das russische Verteidigungsministerium auf einer Pressekonferenz versucht, die Behauptung, Separatisten hätte die MH 17 abgeschossen, mit Bildern von russischen Radaraufnahmen und Satelliten zu widerlegen . Das russische Verteidigungsministerium beschuldigte stattdessen die ukrainische Seite der Täterschaft.
Die von den russischen Militärs im Juli präsentierten Bilder sollten beweisen, dass sich eine ukrainische Buk-Stellung im Raum Donezk auf einem Feld in Beobachtungsstellung befand. Das Radarsystem der Buk kann für die Erkennung und Verfolgung eines Flugzeugs verwendet werden. Außerdem hatten die russischen Militärs anhand eigener Radarbilder nachzuweisen versucht, dass sich vor dem Absturz der Boeing ein ukrainisches Militärflugzeug vom Typ Suchoi 25 in einem Abstand von drei bis vier Kilometern von der Passagiermaschine befand.
"Objekte mit hoher Geschwindigkeit"
Der niederländische "Untersuchungsrat für Sicherheit", welcher von der Ukraine mit der Leitung der offiziellen Untersuchung beauftragt worden war, veröffentlichte am 9. September 2014 einen 34-seitigen vorläufigen Untersuchungsbericht. In dem Bericht wird festgestellt, dass die Schäden am vorderen Bereich der Boeing auf den Einschlag zahlreicher "Objekte mit hoher Geschwindigkeit" von außen hindeuten. Auf die Frage, was er von der russischen Behauptung halte, ein ukrainisches Kampfflugzeug habe die MH 17 abgeschossen, meinte der niederländische Chefermittler, Staatsanwalt Fred Westerbeke, am 27. Oktober:
Ausgehend von den vorliegenden Informationen ist der Abschuss durch eine Boden-Luft-Rakete in meinen Augen noch immer das wahrscheinlichste Szenario. Aber wir verschließen nicht die Augen vor der Möglichkeit, dass es anders gewesen sein könnte.
Probleme beim Abtransport der Wrackteile
Die Ermittlungs- und Bergungsarbeiten im Gebiet Donezk sind durch die fortdauernden Kriegshandlungen und die Verteilung der Flugzeugtrümmer über eine Fläche von 35 Quadratkilometern äußerst schwierig. Die niederländische Ermittlergruppe, die in den letzten Tagen am Absturzort war, um Wrackteile zu bergen, weigert sich zudem, ein offizielles Protokoll der selbsternannten Donezk-Republik über die Bergung von Wrackteilen zu unterschreiben, was die Lage kompliziert.
Der Moderator der russischen Fernsehsendung "Odnako", Michail Leontjew, gab sich am Freitag äußerst selbstbewusst. Er fordert die westlichen Staaten auf, nun ihre Fotos "auf den Tisch zu legen". Denn es müsse "noch mehr" als dieses eine Foto geben. Doch bisher halten sich westliche Medien mit der Bewertung des jetzt aufgetauchten Fotos zurück.
Aufgrund des großen Echos im TP-Forum auf den Artikel, möchte ich hier etwas klarstellen. Zuerst: Der Artikel hatte nicht den Anspruch, alle im Bericht des russischen Fernsehkanals aufgestellten Behauptungen auf ihre Stichhaltigkeit und das Foto auf seine Echtheit zu überprüfen. Das wäre Aufgabe einer Untersuchung, die eine längere Zeit in Anspruch nimmt und von einem Autor allein nicht zu leisten ist.
Es ging mir zunächst nur darum zu berichten, dass der erste russische staatliche Fernsehkanal - also kein bedeutungsloser Regional- oder Spartensender - etwas berichtet hat, was die Diskussion über die MH 17 beeinflussen wird. Im Übrigen bleibt der Sender bei seiner These und hat sie nicht eingeschränkt, wie ein Forumsteilnehmer schrieb.
Viele Forumsteilnehmer versuchen nun, das veröffentlichte Satellitenfoto in Zweifel zu ziehen. Die vorgebrachten Überlegungen und Argumente sind sicher hilfreich, um zu klären, was am 17. Juli am Himmel über dem Donezk-Gebiet wirklich passierte. Doch die Forumsteilnehmer, die meinen, nun sei ja alles klar, Russland habe sich mit seiner Vermutung, die MH 17 sei von einem ukrainischen Flugzeug abgeschossen worden, vollständig blamiert und unglaubwürdig gemacht, machen es sich zu einfach. Denn auch sie argumentieren im Ungefähren und können keine Schlüsselbeweise vorlegen, wie es wahrscheinlich nur die westlichen Staaten mit ihrem Datenmaterial könnten.