"Gibt'n Problem mit Ihrem Familiennamen"
Die Abmahnwelle: Leben wir in einem Klima der Industrie-Repression?
Folgender Hörfunkspot geht derzeit in weiten Teilen der Republik über den Äther:
"Hallo?"
"Frau Tief?"
"Ja?"
"Gibt' n Problem mit Ihrem Familiennamen."
"Warum das?"
"Ja. ‚Tief' is' jetzt reserviert im Duden. Für T*********."
"Ja und?"
"Sie müssen sich anders nennen am Telefon. Entweder Müller, Kowalsky oder 42."
"Ja..."
"Also, Frau Tief, wer ist dort?"
"Hm... 42?"
"Komischer Name!"
Der Abspann, dass die Preise der Firma T********* so tiiiiief sind, entspricht wieder eher konventioneller Radiowerbung. Viel spannender ist das kleine Denkmal für Douglas Adams in seinem Todesjahr (Das Leben, das Universum und der ganze Rest). Na ja, eigentlich ein guter Deal: "Tief" ist schon o.k., aber wer möchte nicht den Sinn des Lebens am Klingelschild haben?
Aber am interessantesten ist doch, dass Radiowerbung hier eine Funktion wahrnimmt, die eigentlich der Politik oder der breiten politischen Presse zukäme, nämlich Missstände in die breite politische Diskussion zu überführen.
Es gibt durchaus legitime Interessen, Markennamen zu schützen. Interessen von Firmen, die gutes Geld in die Brand-Positionierung stecken, aber auch Interessen von Konsumenten, die auch gerne wirklich ein Qualitätsprodukt hätten, wenn V*** auf dem Staubsauger steht oder B*** auf der gewachsten Countryjacke oder A*** auf dem Motherboard.
Davon zu trennen ist jedoch der Abmahnwahn, der die Hirne so mancher Justiziare befallen hat. Wer keine Zeit hatte, die Meldungen der letzten Wochen zu verfolgen, eine kleine Kurzzusammenfassung der gröbsten Fälle: Besonders hervorgetan hat sich die Deutsche Telekom. Erst erhob sie Alleinvertretungsanspruch für die Farbe Magenta, indem sie einen Online-Verlag abmahnte, der Anzeigen in Magenta schaltete. Dann sollte es einer kleinen Agentur an den Kragen gehen, die seit 1988 den Namen t3 medien führt - denn "t", ob groß oder klein, soll telekomexklusiv sein. Dann sah man in den "Schwarzen Seiten", irgendeiner deutschen Goth-Website, eine Verwechslungsgefahr. für die eigenen "Gelben Seiten". Richtig, Abmahnung. Allerdings hat diesmal die Deutsche Telekom den absurden Schnellschuss der Rechtsabteilung eingesehen und die ganze Sache abgeblasen.
Das stinkt natürlich, weil kleine Unternehmen (oder im Goth-Fall sogar eine Privatperson) nicht durch die Rechtstitel, sondern durch die schiere Justizmacht eines Industriegiganten an die Wand gedrückt werden sollen.
Noch schlimmer steht es um die Fälle, die sich Multi-Millionär Michael Schumacher und sein Anwalt Dr. Nils Harder leisten. Die mahnten nämlich die Website eines Formel-Eins-Fans und Schülers namens Michael Stanka ab, die da die URL www.michas-formel1-site.de hatte. Tja, Pech für Micha Stanka, "gibt'n Problem mit ihrem Vornamen. 'Micha' is' jetzt reserviert", wenn man die Abmahnung allgemein verständlich zusammenfassen will.
Der Autor dieses Beitrags muss jetzt aber noch in eigener Sache hinzufügen, dass die Website vom Onkel des Schülers gehostet wurde, dass also nicht der Schüler, sondern die Firma des Onkels abgemahnt wurde. Hoffentlich habe ich vorhin nicht den Eindruck erweckt, Herr Millionär Michael Schumacher würde "arme mittellose Schüler" abmahnen. Dann bekäme ich nämlich vielleicht eine Abmahnung von Anwalt Dr. Nils Harder, wie AdvoGraf eine bekommen hat, weil man dort die "Geschäftsehre" von Herrn Schumacher verletzt habe.
Damit nähern wir uns in rasanten Schritten dem Ende der Pressefreiheit. Wenn mich alle Firmen abmahnen würden, deren "Geschäftsehre" ich in Artikeln verletzt habe, dann wäre mein Postkasten regelmäßig verstopft. Wir haben das Recht auf eine Gegendarstellung, und das mit gutem Grund. Aber wo kommen wir hin, wenn unliebsame Artikel mit einer kostenbewehrten Abmahnung bestraft werden? Bei AdvoGraf unterschrieb man übrigens, weil man viel zu verlieren, aber wenig zu gewinnen hatte.
Genau das ist das Problem - eine Abmahnung beinhaltet immer die Drohung, unerhört hohe Summen zu zahlen und sich auf Rechtsschereien einlassen zu müssen. Den Ärger scheut jeder, der Arbeit und Hobbies hat, und wer geht schon gerne ein finanzielles Risiko ein, wenn er nicht muss? Rechtsabteilungen dagegen haben ohnehin nichts Besseres zu tun, und manche böse Stimme meint sogar, dieser oder jener Anwalt würde seinen Lebensunterhalt durch Serienabmahnungen bestreiten.
Und was macht die Politik dagegen? Nichts. Wenn man den Jungs wenigstens vorwerfen könnten, sie redeten nur, handelten aber nicht. Aber leider sind wir nicht einmal soweit! Die ignorieren das Ganze einfach und merken nicht, wie Meinungs- und Pressefreiheit unterhöhlt, wie die Großen ungestraft und ohne Angst vor Folgen die Kleinen an die Wand drücken können.
Regierung und Opposition streiten lieber über die Mallorca-Flüge eines rolligen Verteidigungsministers (haben Politiker "Geschäftsehre" - ich hoffe nicht, sonst bin ich jetzt geliefert). Vor der Wahl protzte Joschka Fischer noch, dass er im Gegensatz zu Helmut Kohl mit dem Internet umzugehen verstehe. Wenn dem so sei, dann hat das jedenfalls keine augenfälligen Auswirkungen. Doch auch von der Opposition kommt nichts Besseres. Das Internetpapier der CDU zeugt nicht gerade von Kompetenz.
Zurück zur Firma T*********. Die wollen natürlich nicht die Bundesrepublik zum Besseren wandeln, sondern nur ihre tiiiiiiiiefen Preise in die Schädel der Radiohörer einprägen. Hinter der intelligentesten bekannten Radio-Werbung steckt übrigens die Stuttgarter Agentur Jung v. Matt.
Die PR-Abteilung von T********* dementierte heftigst alle Zusammenhänge mit Douglas Adams oder gar der Abmahnwelle. Soweit geht die Einschüchterung schon, dass man sich nicht mehr traut, offensichtliche Dinge offen zu bekennen. Leben wir in einem Klima der Industrie-Repression?
Übrigens ist T********* "der preisagressive Veranstalter für familienfreundliche Reisen im Mittelmeerraum", umgangssprachlich Mallorca-Discounter. Und da formt sich in meinem Hirn eine unausgegorene Idee: Wie wär's, wenn wir unseren liebestollen Minister zu einem Discount-Urlaub nach Mallorca schicken, das liegt bekanntlich im Mittelmeerraum. Mit dem Geld, das wir bei der Flugbereitschaft sparen, ließe sich eine Art staatlicher Rechtsschutz gegen Abmahnungen anschubfinanzieren. Und die eingesparte Diskussionszeit, wer wann wie oft wohin fliegen soll, ließe sich zu wichtigeren Gesprächen nutzen z.B. über die Abmahnpraxis.
PS: Trotz beharrlichen Bettelns und Nervens verweigerte T*********s PR-Abteilung standhaft die Erlaubnis, den Rundfunkspot als Sounddatei auf diese Seite zu setzen. Offensichtlich ist das einzig beabsichtigte Epitheton für T********* "tiiiiiieeeef" - die PR-Abteilung scheint eine Konnotation mit "intelligent" etc. für rufschädigend zu halten.