Giftgas in Syrien: BBC gesteht Fake News ein
Internes Kontrollgremium korrigiert Vorwürfe gegen Kritiker der Organisation für das Verbot chemischer Waffen. Streit um mutmaßlich manipulierten Bericht
Im Rahmen einer seit Jahren laufenden Kontroverse um einen angeblichen Giftgasangriff in der syrischen Stadt Douma hat die britische BBC nun eingestanden, diffamierende Aussagen über Kritiker der Organisation für das Verbot chemischer Waffen (OPCW) erfunden und journalistische Standards verletzt zu haben. Das berichtet die britische Tageszeitung Daily Mail.
Die betroffenen Personen hatten beanstandet, dass die OPCW den Angriff im April 2018 umgehend der Führung von Baschar al-Assad anlastete und dieser These widersprechende Erkenntnisse zensierte. Die Organisation lieferte mit ihrem Bericht eine Rechtfertigung für Luftangriffe der USA, Großbritanniens und Frankreichs.
Nach dem angeblichen Angriff mit chemischen Waffen in Douma waren die Leichen von rund 50 Zivilisten geborgen worden. Die USA, Großbritannien und Frankreich bombardierten bereits wenige Tage nach den Ereignissen - noch während der OPCW-Ermittlungen - Einrichtungen der Assad-Regierung und der syrischen Armee.
In den folgenden Monaten kam es zu heftigen Auseinandersetzungen innerhalb der Organisation. OPCW-Experten, die an der Untersuchung beteiligt waren, warfen der Führungsriege vor, den Bericht so verändert zu haben, dass eine Verantwortung der Assad-Führung schlüssig erscheint.
Nach der einseitigen Darstellung im entsprechenden OPCW-Bericht informierte ein Mitarbeiter der sogenannten Fact-Finding-Mission in Douma und Damaskus im Herbst 2019 zunächst einen internen Expertenkreis über die Manipulationen.
Demnach hatte die OPCW-Führung systematisch alle Erkenntnisse übergehen oder gar zensieren lassen, die der Giftgasthese zuwiderliefen. Zudem wurde fast das gesamte FFM-Team ausgetauscht.
Dem Treffen mit dem OPCW-Inspekteur, das von der Wikileaks-nahen Courage-Foundation anberaumt worden war, waren monatelange Versuche der involvierten FFM-Mitglieder vorangegangen, die Manipulationen zu verhindern und einen Kompromisstext zu erarbeiten.
Von Ende Oktober bis Ende Dezember 2019 veröffentliche Wikileaks dann in vier Schüben umfangreiche interne Dokumente, die alle Vorwürfe bestätigen.
Einer der beiden Informanten war der ehemalige OPCW-Funktionär mit dem Pseudonym "Alex".
BBC bestätigt Fake News. Und die deutsche Presse?
Die BBC-Journalistin Chloe Hadjimatheou warf dem Mann in einer Radiodokumentation später vor, er habe interne Dokumente veröffentlicht, um eine von Wikileaks versprochene Belohnung in Höhe von 100.000 US-Dollar einzustreichen. Das Beschwerdegremium der BBC, die Executive Complaints Unit, stufte diesen Vorwurf nach Prüfung nun als Falschinformation ein.
Der Sender bestätigte zudem, dass sie keine Beweise für die Behauptung gibt, dass "Alex" den Giftgasangriff als gestelltes Szenario bezeichnet habe. Der Abrüstungsexperte und ein weiterer OPCW-Whistleblower hatten wiederholt betont, keine entsprechenden Rückschlüsse gezogen zu haben. Stattdessen drängten sie auf eine erneute Untersuchung.
Nach interner Prüfung der BBC wurde auch ein britischer Journalist von Vorwürfen Hadjimatheous entlastet. Das Gremium bestätigte, dass der Peter Hitchens, ein Kolumnist der Daily Mail nicht, wie in der Dokumentation behauptet, "die russische und syrische Regierungssicht zum Krieg" vertrete.
Die BBC-Gutachter stellten fest, dass die korrigierten Vorwürfe und Aussagen "eine Verletzung der Qualitätsstandards" darstellten. Dies gelte auch angesichts des Umstandes, dass es sich um ein aktuelles und kontroverses Thema gehandelt habe.
Hitchens begrüßte die Richtigstellung als "bedeutenden Sieg für die Wahrheit" Die Whistleblower aus der OPCW seien "stets von ihrer Verpflichtung gegenüber der wissenschaftlichen Wahrheit motiviert" gewesen. Sie hätten nie einen finanziellen Vorteil erwartet, sondern - ganz im Gegenteil - ihre Karriere aufs Spiel gesetzt.
Die BBC-Entscheidung wirft auch Fragen zur Berichterstattung in Deutschland auf. Zwar wurden hier keine falschen Beschuldigungen verbreitet wie in dem BBC-Beitrag. Das Boulevardblatt Bild stellte sich in der Debatte aber vehement auf die Seite der OPCW und berichtete von "angeblichen 'Whistleblowern'", die das Ergebnis der OPCW-Untersuchung als Fälschung "verunglimpften".
Bellingcat blamierte sich mit Bericht über OPCW und Syrien
Im November vergangenen Jahres erst hatte sich die auch von Nato-Mitgliedsstaaten finanzierte Internetseite Bellingcat in den Disput eingemischt – und offenbar schwer blamiert.
Bellingcat veröffentlichte damals einen angeblich geleakten Brief des OPCW-Generaldirektors Fernando Arias an einen der beiden ehemaligen Chemiewaffen-Inspekteure, die den Douma-Bericht beanstandet und später Informationen der Öffentlichkeit zugängig gemacht hatten.
Der Auszug eines maschinellen Schreibens, das in fünf Absätzen einige Thesen der umstrittenen Douma-Berichte wiederholt, belege, "dass ein Chemiewaffenangriff stattgefunden hat" und "dass jede Vorstellung einer Vertuschung durch die OPCW falsch ist", während "die Organisation entsprechend ihrem Mandat gehandelt hat", so Bellingcat.
Das Problem war aber nicht alleine, dass der geleakte Text eine solch weitreichende Interpretation gar nicht zuließ. Das Problem war auch nicht nur, dass Bellingcat in einem anonymen Text den bisher namentlich nicht bekannten Inspekteur "Alex" mit vollem Namen nannte. Das eigentliche Problem war, dass das angebliche Schreiben von Arias an den ehemaligen OPCW-Inspekteur nie abgeschickt worden war.
Nach Angaben von Bellingcat, dessen Rechercheure in der Vergangenheit auch mit dem Nachrichtenmagazin Der Spiegel zusammengearbeitet haben, wurde der Brief "im Juni 2019 von mehreren Mitgliedern der OPCW verfasst" und dann von Arias an den ehemaligen Inspekteur Brendan Whelan versandt.
Diese Behauptung war aber falsch, wie das englischsprachige Online-Portal Grayzone zuerst berichtete: Arias sandte im Juni 2019 zwar ein Schreiben an Whelan. Es ist aber nicht der Brief, den Bellingcat veröffentlichte.
Dies konnte damals auch Telepolis über eigene Quellen bestätigen. Tatsächlich enthält Arias' Brief keinen einzigen Satz des Schreibens, das Bellingcat veröffentlichte.
Nachfragen von Telepolis, ob Bellingcat die Echtheit des Dokuments überprüft hat, ließ das Portal damals unbeantwortet, ebenso wie zuvor im Fall von Grayzone. Auch die Pressestelle der OPCW reagierte nicht auf ein entsprechendes Auskunftsgesuch von Telepolis.