Giftgasangriff? Was ist in Duma am 7. April 2018 passiert?
Für die USA waren die Bilder der Weißhelme Beweis genug zur Bombardierung, ein investigativer US-Journalist hat sich bemüht, den Nebel des Krieges und der Propaganda vorurteilslos zu durchdringen
Passend zur Münchener Sicherheitskonferenz, wo die Veranstalter wie jedes Jahr einen drohenden Zusammenbruch, dieses Mal der "liberalen Weltordnung", beschwören, ist auf Intercept der Bericht von James Harkin, Direktor des Centre for Investigative Journalism und Mitglied des Shorenstein Center der Harvard University, erschienen, der sich noch einmal den angeblichen Giftgasangriff auf das syrische Duma (Douma) im April 2018 vorgenommen hat (Das lässt aufhorchen: Angeblicher Chemiewaffenangriff in Ost-Ghouta).
Er war bereits Anfang Juli 2018 nach Duma gereist, um sich die Lage vor Ort anzusehen. Seine Reportage ist Pflichtlektüre, auch wenn man letztlich zu anderen Schlüssen kommen mag. Klar ist auf jeden Fall, dass viele Menschen umkamen, letztlich ist es egal, ob sie Opfer einer chemischen Waffe oder einer normalen Bombe wurden.
Für ihn ist es eine Fallstudie für die Choreografie der neuen Propagandakriege im Zeitalter der Fake News. Eine "Desinformationswolke" habe die Ereignisse in Duma eingehüllt, während die großen Medien im Rückzug seien, hätten sich neue Informationsakteure an deren Stelle begeben. Aus Duma wären, nachdem Jaysh al-Sham 2013 die Führer der Violations Documentation Center verschwinden ließ und wahrscheinlich umbrachte, nur noch mit der Dschihadistengruppen abgesprochene Informationen herausgekommen, VDC sei nicht mehr vor Ort gewesen.
Der vermeintliche Giftgasangriff wurde Moskau und Damaskus schon vor jedem Beweis und nur aufgrund der schnell von den Weißhelmen verbreiteten Behauptungen, Fotos und Videos zugeschrieben, was dazu führte, dass die USA, Großbritannien und Frankreich gemeinsam Ziele des angeblichen syrischen Giftgasprogramms beschossen, noch bevor die OPCW-Inspektoren an den Ort des Vorfalls gelangt waren.
Obgleich Russland versuchte zu belegen, dass der Giftgasangriff von den Dschihadisten der Jaysh al-Sham als letzter Versuch, die drohende Niederlage abzuwenden, inszeniert worden sei, hielt man im Westen weitgehend und ohne dem nachzugehen daran fest. Das Narrativ ergänzte das zum Nervengiftanschlag auf die Skripals.
Während alle anderen Rebellengruppen nach einer Vereinbarung mit Damaskus vor der angekündigten Offensive abgezogen waren, weigerte sich Jaysh al-Sham zunächst. Der echte oder inszenierte Giftgasangriff konnte die Einnahme von Ostghuta durch die syrischen Truppen aber nicht verhindern, am Tag darauf zogen die Dschihadisten ab. Russische Soldaten waren bereits zwei Tage später in Duma und konnten angeblich keine Hinweise auf einen Giftgasangriff finden (Nach "Beweisen" Moskaus war der Chemiewaffenengriff in Douma inszeniert).
OPCW-Bericht: Kein Nervengift, aber Hinweise auf Chlorgas
Auch OPCW-Inspektoren von der Fact-Finding Mission (FFM) fanden nach einem Zwischenbericht vom Juli 2018 "keine phosphororganischen Nervengifte oder deren Zerfallsprodukte" in den Proben aus der Umgebung oder im Blut der Bewohner. Gefunden wurden nur "gechlorte organische Verbindungen", die aber keine Hinweise auf Giftgas belegen. Zudem berichtete OPCW, dass auch für die behaupteten Giftgasangriffe 2016 in Al-Hamadaniyah und Karm al-Tarrab keine eindeutigen Beweise vorliegen.
Im März 2017 sei hingegen "sehr wahrscheinlich" in Ltamenah (Hama) Sarin eingesetzt worden. Die Weißhelme machten die syrischen Regierung verantwortlich. Zweifel gibt es hingegen keine, dass in 2017 in Khan Scheichun (Idlib), schon damals kontrolliert von HTS, Sarin eingesetzt wurde, wohl aber, wer dafür verantwortlich war. OPCW-Inspektoren waren nicht vor Ort (Der OPCW-Bericht löst die Rätsel nicht). Noch keine Ergebnisse liegen für den von syrischer und russischer Seite behaupteten Giftgasangriff in Südaleppo Ende November 2018 vor. Moskau und Damaskus bezichtigen Dschihadisten aus der Idlib-Enklave. Westliche Regierungen waren hingegen hier schnell dabei, von einer Inszenierung zu sprechen (Konflikt über behaupteten Giftgasanschlag in Aleppo weitet sich aus).
Die Hinweise sollten nur zeigen, wie schwer es ist, in Kriegsgebieten einen Giftgasangriff zweifelsfrei nachzuweisen und gar, was nicht Aufgabe der OPCW ist, die Verantwortlichen dingfest zu machen. Schuldzuweisungen werden hier in der Regel aus politischen Gründen gemacht, die Verführung für "Rebellengruppen", die auch Giftgas verwendet haben, ist groß, diese Karte zu ziehen, weil man die Reaktion mehr oder weniger vorhersehen kann.
Duma, die Dschihadisten und die Weißhelme
Aus Ost-Ghouta, wo die Islamisten auch einen Teil der Wasserversorgung für Damaskus kontrollierten, wurde die Stadt immer wieder beschossen und starben viele Menschen in dem von der syrischen Regierung kontrollierten Stadtgebiet. Mit der Offensive im April nahm auch der Beschuss auf Ost-Ghouta zu und kam es zu schweren Luftangriffen. Am schwersten waren die letzten Angriffe am 7. April, um den Widerstand der Dschihadisten zu brechen.
Der erste Bericht, so Harkin, war vom regimefeindlichen Violations Documentation Center gekommen. Es wurde von einer Bombe berichtet, die Informationen kamen von Weißhelmen. Demnach war die Bombe um 16 Uhr in ein Haus gefallen und habe dort 25 Menschen getötet. Man habe Chlor gerochen. Um 19:30 soll eine weitere Bombe in ein Haus gestürzt sein. Nach einem Arzt der Syrian American Medical Society (SAMS) seien 43 Menschen getötet und 500 Menschen mit Symptomen einer chemischen Verbindung, wahrscheinlich Sarin, ins Krankenhaus gebracht worden. Eine Gruppe namens Douma Revolution habe dann die bekannten Fotos und Videos verbreitet, ebenso die Weißhelme.
Die Weißhelme gingen aus einem 2012 von der britischen Firma ARK gestarteten Programm mit Sitz in der Türkei hervor, mit dem Aktivisten für Propagandafilme über den Aufstand gegen die Assad-Regierung bezahlt wurden. Nach Informationen von Harkin berichteten sie auch über islamistische Gruppen, die Informationen wurden vom britischen Militär an das US Central Command weitergeleitet. Jetzt steht hinter den Weißhelmen Mayday Rescue, gegründet von einem früheren ARK-Mitarbeiter.
Es gebe keine Hinweise, dass Angehörige der Weißhelme weiter Informationen sammeln, sicher sei hingegen, "dass die von den Zivilverteidigungsmitarbeitern getragenen Kameras nur sehen, was die kontrollierenden Milizen sie sehen lassen, normalerweise die Bombardierungen der syrischen und russischen Luftwaffe. Das hat Skepsis unter einigen Beobachtern über die Zuverlässigkeit von deren Berichten entstehen lassen".
Zwei hoch umstrittene Gaskanister
Harkin verweist auch auf den OPCW-Bericht, nach dem keine Spuren von chemischen Waffen wie Sarin gefunden wurden. Gefunden wurden zwei gelbe Gaskanister, einer auf einem Bett und einer auf einem Balkon, beide waren in Filmen aufgetaucht. In der Umgebung wurden "gechlorte organische Verbindungen" und Spuren von Sprengstoff gefunden. Harkin berichtet, dass Duma bei seinem Besuch im Juli 2018 auf der Oberfläche weitgehend zerstört war, aber dass sich in den unterirdischen, von den Dschihadisten und ihren Gefangenen und Geiseln gebauten Anlagen und Tunnels auch das Krankenhaus befand, von dem die Bilder von angeblich durch den Chemiewaffenangiff Verletzten entstanden waren.
Ein junger Pfleger berichtete dann ähnlich, wie man dies von den Zeugen der Russen gehört hat, dass es zwar Verletzte oder auch ein Kind mit Atemproblemen gegeben habe, aber die Ursache sei Rauch und keine chemischen Waffen gewesen. Panik sei dann aufgekommen, als ein Mitglied der Weißhelme von Giftgas sprach und dann zwei Männer mit einem Schlauch die Leute abspritzten, während vier Männer die Szene gefilmt hätten. Die meisten der Toten seien schon vor dem ersten behaupteten Giftgasangriff eingeliefert worden. Die meisten der im Krankenhaus registrierten Opfer seien von Raketen getötet worden. Er sei auch schon von den OPCW-Inspektoren befragt worden. Er habe jedenfalls keine Giftgasopfer behandelt.
Harkin sprach auch mit einem der Gefangenen, die die unterirdischen Anlagen bauen mussten. Er war zuvor 2014 verschleppt und gefoltert worden. Für ihn sei es unsinnig, wenn die syrischen Tuppen, die nur ein paar hundert Meter noch entfernt gewesen seien, Giftgas eingesetzt hätten, wodurch sie sich selbst gefährdet hätten. Syrische Behördenmitarbeiter hätten ihm zwar gerne das Gefängnis und das Krankenhaus gezeigt, aber nicht die Stellen, wo die Angriffe stattgefunden haben sollen.
Ein Syrer habe ihn dann an das Haus gebracht, wo der Angriff stattgefunden haben soll. Es seien 50 Menschen getötet worden, nach dem Gestank sei es wahrscheinlich eine chemische Waffe gewesen. Das Haus tauchte auch in verschiedenen Filmen auf, in ihm wurde auf dem Balkon auch der Gaskanister gefunden. Harkin weist auf widersprüchliche Berichte auch von Überlebenden hin.
Ein Oppositionsreporter, der lieber seinen Namen wegen seiner Verbindungen zu "Rebellengruppen" nicht nennen wollte, sagte Harkin, es seien von Hubschraubern zwar Gaskanister bei der Bäckerei abgeworfen worden, aber die hätten nur zu Atemproblemen geführt. Die Toten in dem Haus seien vermutlich am Rauch erstickt.
Chlorgasbombe und Inszenierung
Die meisten Analysten und Experten würden davon ausgehen, dass die auf den Filmen zu sehenden Leichen und Gaskanister zuvor bewegt oder platziert worden seien, um den besten Effekt zu erzeugen. Nach einer Untersuchung von Forensic Architecture sollen die Kanister gedreht und bewegt worden sein, besonders auffällig sei dies bei dem auf dem Bett. Ziemlich sicher sei, dass die Kanister so nicht gefallen seien. Auch ein anonym bleibender OPCW-Inspekteur habe die Positionen als arrangiert bezeichnet, aber nicht ausgeschlossen, dass doch ein Angriff mit chemischen Waffen stattgefunden haben könnte.
Für Harkin ist ziemlich sicher nach den Aussagen von Zeugen, dass die syrische Armee auch in Duma Chlorgas verwendet hat, das in den Kanistern gewesen sein könnte. Der OPCW-Bericht wüde dies bestätigen. Chlorgas stinkt im Unterschied zum fast geruchlosen Sarin und wird nicht als Mittel zum Töten verwendet, sondern um Panik zu erzeugen. Es ist schwerer als Luft und sinkt schnell zu Boden, was den Menschen in dem getroffenen Haus zum Verhängnis geworden sein könnte.
Das sei auch die Meinung von Ex-MIT-Professor Theodore Postol, der unter Kritik gekommen ist, nachdem er selbst OPCW-Berichte und US-Regierungsdarstellungen über Sarin-Angriffe in Syrien wie in Khan als fragwürdig bezeichnete. Postol geht in dem Duma-Fall aber davon aus, dass beim Aufprall des Chlorgas-Kanisters das Gas in einer dichten und deswegen tödlichen Wolke schnell im Gebäude, aber auch außerhalb abgesunken ist.
Menschen, die aus dem Haus fliehen wollten, seien wieder umgekehrt, als sie das Gas auch außerhalb bemerkten und hätten versucht, nach oben zu flüchten, was normalerweise richtig sei, hier aber zur Falle wurde. Die Katastrophe sei einer sehr besonderen Konstellation an Umständen geschuldet, durch die das Chlorgas für die Menschen im Haus so tödlich wirkte, während andere davon kaum betroffen waren.
Es ist eine komplizierte Geschichte, beweisen kann auch Harkin nicht, was wirklich geschehen war. Aber seine Erkundungen und Überlegungen geben einen Einblick in die verworrene Situation, sind bestmögliche Aufklärung. Die Bombardierung und der Abwurf der Chlorgaskanister hat zusammen mit den Kameraleuten der Aktivisten, die wussten, wie der Westen und die internationale Gemeinschaft auf den Einsatz von chemischen Waffe reagieren, für ihn zu einem Gemisch von Panik und Propaganda geführt. Beide Strategien hätten funktioniert, da Duma eingenommen wurde und Trump syrische Ziele bombardieren ließ. Das ausgewogene Fazit, das Harkin zieht, ist allerdings, so richtig es ist, nicht wie üblich schwarz oder weiß zu machen, doch auch unbefriegend:
Welche Regierung hämmert auf seine Bürger mit Bomben und Chlorgas ein, um sie dazu zu zwingen, die Rebellen unter Druck zu setzen, ihre Stadt zu verlasse? Gleichzeitig schickte Jaish al-Sham Wagenladungen von improvisierten Raketen nach Damaskus und verschleppte Aktivisten und Angehörige religiöser Minderheiten, um Lösegeld zu erpressen oder sie verschwinden zu lassen. Zwischen diesen beiden gewaltsamen Wahrheiten beginnt die wirkliche Geschichte des syrischen Konflikts zu entstehen - nicht in einer verwirrenden Collage von Bildern aus einem Kriegsgebiet, die ängstigen oder in Wut versetzen sollen.
James Harkin
Empfohlener redaktioneller Inhalt
Mit Ihrer Zustimmmung wird hier eine externe Buchempfehlung (Amazon Affiliates) geladen.
Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen (Amazon Affiliates) übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.