Giftgasangriff in Syrien: Täter sind noch unbekannt

Seite 2: "Im Namen des wahren syrischen Volkes"

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Auch die al-Qaida hat Interessen in Syrien. Dass die syrische Armee einen Luftangriff auf Chan Schaichun geflogen hat, wird nicht bestritten. Seit einigen Wochen liefern sich die Dschihadisten mit der syrischen Armee Kämpfe im Gebiet Hama und Idlib. Der Angriff auf Chan Schaichun gehört in diesen Rahmen.

Dazu zwei Annahmen: Erstens die al-Qaida-Allianz Hayat al-Tahrir al-Sham ist für die syrische Armee und damit auch für die syrische Regierung der weitaus gefährlichere Gegner als der IS. Zweitens: Al-Qaida in Syrien versucht sich mit allen Mitteln, in der Selbstdarstellung und mit Gewalt, als Repräsentant der gesamten syrischen Opposition auszugeben, um behaupten zu können, dass sie im Namen des "wahren syrischen Volkes" (wie auch im Namen des "wahren Glaubens") handelt.

Machtkämpfe in Chan Schaichun

Ein kleiner Zoom auf den Ort Chan Schaichun: Dort, so berichtete der oben genannte Experte des syrischen Widerstands, Aymenn J. al-Tamimi, schon vor einiger Zeit, gibt es einen Machtkampf zwischen Hayat al-Tahrir al-Sham (HTS) und lokalen Vertretern eines nicht-dschihadistischen Widerstands gegen die Regierung, um die Sache kurz zu halten "non-HTS actors" genannt.

Letztere bildeten ein lokales Komitee, das Selbstverwaltung übte und sich gegen das "Ansinnen" der HTS, die Verwaltung zu übernehmen, sträubte. Wie erfolgreich der Widerstand der "non-HTS actors" war, ist im Augenblick nicht sicher zu sagen. Im Bericht von al-Tamimi wird die Auffassung wiedergegeben, dass dem Widerstand gegen die mächtige al-Qaida-Allianz kaum Chancen eingeräumt werden.

Ein Bericht von al-Masdar-News, die der Regierung in Damaskus nahesteht, weist immerhin darauf hin, dass sich al-Qaida in Chan Schaichun seiner Stellung so sicher fühlt, dass man Gefangene aus anderen Orten dahinverschleppt. Ob sich diese Gefangenen unter den Opfern des gestrigen Giftanschlags befinden, ist, wie so vieles andere, völlig im Dunkeln (zur Identität der geschätzt siebzig Todesopfer des Giftanschlages gibt es bislang noch gar keine Angaben).

Spuren in die Türkei?

Die Möglichkeit wird von manchen ins Feld geführt, die die Überzeugung vertreten, al-Qaida sei für den Giftanschlag verantwortlich. Das würde der These widersprechen, wonach der Angriff aus der Luft ausgeführt wurde, und bräuchte einen Nachweis, dass die al-Qaida-Truppe über die nötigen Chemikalien verfügt.

Auch dafür liegen keinerlei Beweise vor, nur Annahmen in Möglichkeitsräumen.

Sicher ist, dass die Entrüstung über den Giftgas-Angriff seitens der Miliz Ahrar al-Sham sehr groß ist. Sie ähnelt der allgemeinen Entrüstung in ihren Proklamationen. Die Hauptforderung heißt: "Chemical Assad muss gestoppt werden." Von Ahrar al-Sham ist bekannt, dass sie mit dem Kern von Hayat al-Tahrir al-Sham, der al-Nusra-Front, in vielerlei engen Kampfbündnissen stand.

Seit der Niederlage in Aleppo kam es zu Lagerkämpfen zwischen radikalen Dschihadisten und nicht ganz so radikalen Salafisten/Dschihadisten, in deren Folge sich Ahrar al-Sham aufsplittete. Es nicht klar, welcher Teil von Ahrar al-Sham, die im Süden Idlibs präsent ist und dort kämpft, mit der Hayat al-Tahrir al-Sham in näherer Verbindung steht. Nicht auszuschließen ist die Möglichkeit, dass sich Ahrar al-Sham über vorzügliche Verbindungen in die Türkei chemische Kampfstoffe besorgt.

Das klingt weit hergeholt, wäre aber mit ganz nüchternen Interessen der Oppositionsgruppen zu erklären und ebenfalls trocken damit, dass sich die Grenze zwischen der Türkei und Syrien, was die Versorgung von Milizen in Syrien anbelangt, öfter als durchlässig erwiesen hat.

Einseitiges al-Qaida-Narrativ?

Warum, so fragt al-Tamimi, gibt man sich bei Angriffen der USA etwa im Jemen, die zivile Opfer verursachen, nicht die Mühe, solche Anklagen als "al-Qaida-Narrativ" darzustellen?

Warum so ließe sich auch fragen, wird dieser Giftgasangriff anders als viele andere in der Vergangenheit, die von der Washingtoner Regierung übergangen wurden, so in den Vordergrund gerückt?

Weil er ein Politikum ist, das gegen eine Fortsetzung der Duldung der Herrschaft von Baschar al-Assad verwendet wird oder dafür, dass ihm enge Bedingungen gestellt werden.

Man darf gespannt sein, was die weitere Beweislage erbringt.